Ein in Deutschland lebender türkischer Staatsangehöriger, der Bediensteter eines türkischen öffentlichen Arbeitgebers ist, hat keinen Anspruch auf Kindergeld.
[...]
1. Trotz des Wohnsitzes des Klägers und seiner Kinder in B scheidet ein Kindergeldanspruch gemäß §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 EStG aus, weil der Kläger nicht die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG erfüllt.
Nach § 62 Abs. 2 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld nur, wenn er
1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a) nach § 16 oder § 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
b) nach § 18 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,
c) nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland in seinem Heimatland oder nach den §§ 23 Buchst. a, 24, 25 Abs. 3-5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt
oder
3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und
a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und
b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.
Im Streitfall erfüllte der Kläger, der als türkischer Staatsbürger unstreitig nicht freizügigkeitsberechtigt war, keine dieser Voraussetzungen, da er lediglich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 AufenthG besaß. Ihm war eine unselbstständige Erwerbstätigkeit gemäß § 18 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 1 a.F. BeschV a.F. nur als Lehrkraft beim A im Bezirk der Arbeitsagentur B und längstens bis zum Ablauf des Aufenthaltstitels gestattet. Selbstständige Erwerbstätigkeit war nicht gestattet. Hierbei handelt es sich um einen Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 2 b EStG einen Anspruch des Klägers auf Kindergeld ausschließt.
Der Senat hat keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 EStG. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor. Die Erwägung des Gesetzgebers, das Kindergeld nur Ausländern zu gewähren, die aufgrund eines Aufenthaltstitels einen rechtmäßigen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland begründet haben und bei denen im Unterschied zu lediglich geduldeten Ausländern auch eine langfristige Integration ihrer Familien in Deutschland beabsichtigt ist, stellt einen hinreichenden sachlichen Grund für die vorgenommene Differenzierung dar (vgl. BFH-Urteile vom 15.3.2007 III R 93/03, BFHE 217, 443, BStBl II 2009, 905 und III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298; vom 22.11.2007 III R 54/02, BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913; vom 21.2.2008 III R 79/03, BFHE 220, 439, BStBl II 2009, 916; BFH-Beschluss vom 23.12.2013 III B 88/13, BFH/NV 2014, 517).
2. Ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld ergibt sich auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgebot des VEA.
Zwar besteht gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a VEA für türkische Staatsbürger ab einem Aufenthalt im Bundesgebiet von wenigsten 6 Monaten grundsätzlich ein Anspruch auf Kindergeld unter denselben Voraussetzungen wie für einen deutschen Staatsbürger, sodass die Einschränkungen des § 62 Abs. 2 EStG nicht eingreifen (BFH-Urteil vom 17.6.2010 III R 42/09, BFHE 230, 337, BFH/NV 2010, 2168). Denn nach Art. 4 Buchst. a des Sozialabkommens Türkei, das sich u.a. auf Kindergeld für Arbeitnehmer bezieht (Art. 2 Abs. 1 Buchst. e) und für Staatsangehörige der Parteien gilt (Art. 3 Buchst. a), stehen Staatsangehörige der anderen Vertragspartei, die sich im Gebiet einer Vertragspartei gewöhnlich aufhalten, bei der Anwendung der Rechtsvorschriften einer Vertragspartei deren Staatsangehörigen gleich, soweit dieses Abkommen nichts anderes bestimmt.
Jedoch ist das VEA wegen der spezielleren und zeitlich nachfolgenden Vorschriften des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl II 1965, 1170) i.d.F. des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969, BGBl II 1972, 2, des Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974, BGBl II 1975, 374 und des Zusatzabkommens vom 2. November 1984, BGBl II 1986, 1040 (Sozialabkommen Türkei) auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar. Das rund zehn Jahre nach dem VEA bilateral abgeschlossene Sozialabkommen Türkei regelt die Rechte und Ansprüche nach dem VEA von in Deutschland tätigen türkischen Bediensteten eines türkischen öffentlichen Arbeitgeber bzw. einer amtlichen Vertretung genauer und geht diesem deshalb in seinem besonderen Regelungsgehalt nach den allgemeinen Auslegungsregeln vor (BFH-Urteil vom 8.8.2013 VI R 45/12, BFHE 242, 349, BStBl II 2014, 836).
Bei Anwendung dieser Rechtsprechung, der der Senat folgt, sind die Regelungen des VEA und die Rechtsvorschriften von Deutschland für die Bewilligung von Kindergeld auf den Kläger nicht anwendbar, weil für ihn nach Art. 8 des Sozialabkommens Türkei die Rechtsvorschriften der Türkei anzuwenden sind.
Nach Art. 8 Abs. 1 des Sozialabkommens Türkei gelten für einen Staatsangehörigen einer Vertragspartei, der von dieser oder einem Mitglied oder einem Bediensteten einer amtlichen Vertretung dieser Vertragspartei im Gebiet der anderen Vertragspartei beschäftigt wird, die Rechtsvorschriften der ersten Partei.
Hat sich ein in Art. 8 Abs. 1 des Sozialabkommens Türkei genannter Arbeitnehmer vor Beginn der Beschäftigung gewöhnlich in dem Beschäftigungsland aufgehalten, so kann er binnen drei Monaten nach Beginn der Beschäftigung die Anwendung der Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes wählen. Die Wahl ist gegenüber dem Arbeitgeber zu erklären. Die gewählten Rechtsvorschriften gelten vom Tage der Erklärung ab (Art. 8 Abs. 2 des Sozialabkommens Türkei). Nach Art. 9 des Sozialabkommens Türkei kann auf gemeinsamen Antrag des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers die zuständige Behörde oder die von ihr bezeichnete Stelle der Vertragspartei, deren Rechtsvorschriften nach den Artikeln 5 bis 8 anzuwenden wären, die Befreiung von diesen Rechtsvorschriften zulassen, wenn die in Betracht kommende Person den Rechtsvorschriften der anderen Vertragspartei unterstellt wird.
Im Streitfall war der Kläger während seiner Beschäftigung beim A in B vom 1.9.2007 bis 9.7.2012 beim Kultusministerium der Türkei angestellt und wurde damit vom Vertragsstaat Türkei in Deutschland beschäftigt. Für diesen Fall verweist ihn das bilaterale Sozialabkommen mit der Türkei auf die in Art. 2 Abs. 2 aufgeführten türkischen Rechtsvorschriften. Aufgrund der Geltung der Rechtsvorschriften der Türkei nahm der Kläger weder selbst als Beschäftigter noch als Familienangehöriger eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am deutschen System der sozialen Sicherheit teil, da die in Art. 2 Abs. 1 Sozialabkommen Türkei genannten deutschen Vorschriften über die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung nicht anzuwenden waren. Da er jedenfalls in der Zeit bis 9.7.2012 nicht in das deutsche Sozialversicherungssystem eingegliedert, wurden die Beiträge zu den gesetzlichen Sozialversicherungen auch tatsächlich nicht in Deutschland, sondern in der Türkei einbehalten und abgeführt. Insoweit waren auch die in Art. 2 Abs. 1 e) aufgeführten deutschen Vorschriften über das Kindergeld für Arbeitnehmer auf ihn nicht anwendbar.
Der Senat kann dabei offen lassen, ob die Voraussetzungen für die (Options-) Möglichkeiten gemäß Art. 8 Abs. 2 bzw. Art. 9 Sozialabkommen Türkei zur Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit vorgelegen haben. Denn der Kläger hat jedenfalls für den hier streitigen Zeitraum bis Juni 2011 von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht, da er weder die Anwendung der Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes Deutschland gewählt (Art. 8 Abs. 2 Sozialabkommen Türkei) noch einen Antrag auf Befreiung von den Rechtsvorschriften der Türkei gestellt hat (Art. 9 Sozialabkommen Türkei).
Da im Streitfall die spezielleren und späteren Regelungen im Sozialabkommen Türkei die Regeln des VEA verdrängen, kommt es nicht mehr darauf an, dass der Kläger für die Monate Januar und Februar 2008 auch die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 Buchst. d VEA nicht erfüllte, da er am 1.9.2007 eingereist war und daher erst ab 1.3.2008 "wenigstens sechs Monate" im Gebiet des Vertragsstaates Bundesrepublik Deutschland wohnte.
3. Ein Anspruch auf Kindergeld ergibt sich auch nicht aus Art. 10 ARB 1/80.
In Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80 räumen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft den türkischen Arbeitnehmern, die ihren regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt. Nach 10 Abs. 2 dieser Vorschrift haben die in Abs. 1 genannten türkischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen vorbehaltlich der Art. 6 und 7 in gleicher Weise wie die Arbeitnehmer aus der Gemeinschaft Anspruch auf Unterstützung der Arbeitsämter bei der Beschaffung eines Arbeitsplatzes.
Danach fällt das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG bereits dem Wortlaut nach nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 10 Abs. 1 ARB 1/80, der sich lediglich auf "das Arbeitsentgelt und die sonstigen Arbeitsbedingungen" bezieht. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Assoziationsrat EWG/Türkei hierunter auch das Kindergeld erfassen wollte. Hiergegen spricht insbesondere, dass er das Kindergeld als Familienleistung allein in dem am gleichen Tag beschlossenen, insbesondere auf Art. 39 Zusatzprotokoll gestützten ARB 3/80 geregelt hat (so z.B. Urteil des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 29. Januar 2002 B 10/14 EG 8/99 R, SozR 3-7833 § 1 Nr. 27 für das Erziehungsgeld). Insoweit lässt sich aus Art. 10 ARB 1/10 ein Anspruch auf Kindergeld nicht herleiten (noch offen gelassen: BFH-Urteil vom 15.7.2010 III R 6/08, BFHE 230, 545, BStBl II 2012, 883).
4. Ein Anspruch auf Kindergeld folgt auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 ARB 3/80.
Nach Art. 3 ARB 3/80 haben Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluss gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt. Diese Norm, die in ihrem sachlichen Anwendungsbereich u.a. auch Familienleistungen umfasst (Art 4 ARB 3/80), gilt nach der Rechtsprechung des EuGH unmittelbar in den Mitgliedstaaten, sodass sich jeder Einzelne unmittelbar darauf berufen kann, und konkretisiert das in Art. 9 Assoziierungsabkommen EWG/Türkei verankerte allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit für den besonderen Bereich der sozialen Sicherheit (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15.7.2010 III R 6/08, BStBl. II 2012, 883 unter Hinweis auf die EuGH-Urteile vom 4.5.1999 C-262/96, Sürül, Slg. 1999, I-2685; vom 14.3.2000 C-102/98 und C-211/98, Kocak und Örs, Slg. 2000, I-1287; vom 28.4.2004 C-373/02, Öztürk, Slg. 2004, I-3605).
Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob der Kläger als "Arbeitnehmer" im Sinne des Art. 1 b) ARB 3/80 anzusehen ist und damit überhaupt gem. Art. 2 ARB 3/80 in den persönlichen Geltungsbereich des Beschlusses fällt. Zweifel ergeben sich insoweit, weil der Kläger in Deutschland gegen kein einziges Risiko des in Art. 1 b ARB 3/10 genannten allgemeinen oder besonderen Systems der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder – nach einer zuvor bereits bestehenden Pflichtversicherung - freiwillig weiterversichert war. Zwar soll nach dem insoweit vom Kläger angeführten Urteil des EuGH vom 4.5.1999 C-262/96, Sürül, Slg 1999, I-2685 eine Person schon dann die Arbeitnehmereigenschaft besitzen, "sofern sie auch nur gegen ein einziges Risiko in einem allgemeinen oder besonderen System der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert" ist. Diesem Urteil lag aber – anders als hier - ein Sachverhalt zugrunde, in dem hinsichtlich der dortigen Klägerin wegen der Betreuung und Erziehung eines Kindes Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als bezahlt galten und der Ehemann der Klägerin von seinem Arbeitgeber gegen Arbeitsunfälle pflichtversichert war, sodass es auf die für die Arbeitnehmereigenschaft hier notwendige Voraussetzung der freiwilligen "Weiterversicherung" nicht ankam.
Selbst wenn der Kläger als Arbeitnehmer im Sinne des ARB 3/80 anzusehen ist, ist der Beschluss gemäß Art. 9 ARB 3/10 in Verbindung mit Art. 17 der VO (EWG) 1408/71 nicht auf den Kläger anzuwenden, da Deutschland und die Türkei in Art. 8 des Sozialabkommen Türkei für bestimmte Personengruppen, unter die der Kläger fällt, abweichend vom ARB 3/80 die Anwendung des türkischen Rechts vereinbart haben.
Nach Art. 9 ARB 3/80 bestimmt sich nach Art. 13 Abs. 1 und 2 Buchst. a) und b), Art. 14, 15 und 17 der VO (EWG) Nr. 1408/71, welche Rechtsvorschriften auf die in der Gemeinschaft beschäftigten türkischen Arbeitnehmer anzuwenden sind.
Soweit die Art. 14 bis 17 nicht etwas anderes bestimmen, unterliegt zwar nach der allgemeinen Regelung in Art. 13 Abs. 2 a der VO (EWG) Nummer 1408/71, eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats im Lohnoder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat.
Jedoch können nach Art. 17 ARB 3/80 zwei oder mehr Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden dieser Staaten oder die von diesen Behörden bezeichneten Stellen im Interesse bestimmter Personengruppen oder bestimmter Personen Ausnahmen von den Artikeln 13 bis 16 vereinbaren. Diese Verweisung in Art. 9 ARB 3/80 auf Art. 17 ARB 3/80 ermöglicht es, für den Anwendungsbereich der ARB 3/80 Ausnahmen vom allgemeinen Geltungsbereich zu vereinbaren.
Von dieser Möglichkeit haben die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei in dem zuletzt am 2.11.1984 geänderten Art. 8 des Sozialabkommens Türkei Gebrauch gemacht, indem sie für Personen, die vom Vertragsstaat Türkei im Vertragsstaat Deutschland beschäftigt werden, die Anwendung der Rechtsvorschriften der Türkei vereinbart haben. Da der Kläger – wie oben dargelegt - zu diesem Personenkreis gehört, sind für ihn trotz Vorliegens der in Art. 3 ARB 3/80 genannten Voraussetzungen die deutschen Vorschriften über Kindergeld nicht anzuwenden. [...]