VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 10.11.2014 - A 4 K 139/14 - asyl.net: M22574
https://www.asyl.net/rsdb/M22574
Leitsatz:

Es lässt sich nicht feststellen, dass sich die Sicherheitslage für tamilische Volkszugehörige in Sri Lanka, die in das Blickfeld von Militär und Geheimdienst geraten sind, in einem solchen Ausmaß stabilisiert hat, dass die Annahme gerechtfertigt wäre, es handele sich um eine erhebliche und dauerhafte Änderung der verfolgungsbedingten Umstände.

Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, LTTE, Widerruf, Flüchtlingseigenschaft, Flüchtlingsanerkennung, Asylanerkennung, Widerruf der Flüchtlngseigenschaft, Wegfall der Umstände,
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 73,
Auszüge:

[...]

Darüber hinaus setzt der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung voraus, dass der Betreffende auch nicht wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung hat (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 05.06.2012 - 10 C 4.11 -, juris RdNr. 20 ff.).

Diese Anforderungen sind hier zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht erfüllt. Nach den dem Gericht vorliegenden Auskünften und Erkenntnissen lässt sich nicht feststellen, dass sich die Sicherheitslage für tamilische Volkszugehörige in Sri Lanka, die ins Blickfeld von Militär und Geheimdienst geraten sind, in einem solchen Ausmaß stabilisiert hat, dass die Annahme gerechtfertigt wäre, es handele sich um eine erhebliche und dauerhafte Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass sich die Sicherheitslage in Sri Lanka im Ganzen verbessert hat, mag auch die Menschenrechtslage weiterhin instabil sein. Nach wie vor gibt es zwar Einschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte und es fehlt an Rechtssicherheit, staatliche Stellen, insbesondere Militär und CID bleiben weitgehend straflos bei Übergriffen gegen Tamilen und die Korruption ist weit verbreitet. Gleichwohl hat sich die Lage für die tamilische Bevölkerung im Großen und Ganzen seit 2009 - und wohl auch seit der Anerkennung des Klägers im Jahr 2010 - gebessert. Zwar hat es in jüngerer Vergangenheit erneut ernst zu nehmende Berichte über extralegale Tötungen gegeben, die von Menschenrechtsorganisationen auch staatlichen Sicherheitskräften zugeschrieben werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Sri Lanka vom 30. Oktober 2013, S. 9). Diese Berichte und Ereignisse markieren aber sehr deutlich die Ausnahme und nicht die Regel. Dem entsprechend kann auch eine Gruppenverfolgung der tamilischen Bevölkerung - sei sie regional oder örtlich begrenzt - allein aufgrund der Volkszugehörigkeit nicht angenommen werden (vgl. hierzu statt vieler: VGH Bad.-Württ, Urteil vom 09.11.2010 - A 4 S 693/19 -, juris). Das alles hat das Bundesamt zutreffend ausgeführt und bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Vertiefung.

Indes stellt sich im vorliegenden Frage nicht die abstrakte Frage der Verbesserung der Menschenrechtslage, sondern es bedarf der Klärung, ob ein Ausländer, der - wie der Kläger - im Jahr 2009 festgenommen und in ein Lager verbracht worden ist, dessen Familie von Militär, Polizei und Geheimdienst als "Kämpferfamilie" eingestuft worden ist, der während seiner Internierung wiederholt Folter und Übergriffe erfahren und sich dem Lager durch Flucht entzogen hat, nunmehr hinreichend sicher vor Verfolgung ist. Hierzu verhält sich der angefochtene Bescheid nicht hinreichend. Es mag sein, dass der Kläger, hätte er sich dem "Screening" bis zum Ende unterzogen und den Rehabilitierungsprozess durchlaufen, heutzutage aus dem Lager entlassen worden wäre und wieder in seinem Heimatort lebte. Diese Frage stellt sich aber nicht. Denn der Kläger hat sich dem "Screening" durch Flucht entzogen und er hat glaubwürdig und nachvollziehbar dargelegt, dass auch heute noch nach ihm gefragt wird und dass zwei weitere Brüder Sri Lanka mittlerweile verlassen mussten. Insofern hätte der Klärung bedurft, wie mit dem Kläger bei seiner Wiedereinreise über den Katunayake International Airport verfahren wird, hierbei berücksichtigend, dass der Kläger - wovon das Bundesamt in dem Anerkennungsbescheid selbst ausgegangen ist, nachdem es seinen Vortrag als glaubhaft angesehen hat - einer "Kämpferfamilie" angehört, sich zur Unterstützung der LTTE bekannt und sich dem Rehabilitierungsprozess nach erlittener Folter durch Flucht entzogen hat. Vor diesem Hintergrund vermag das erkennende Gericht nicht mit der gebotenen Überzeugungsgewissheit anzunehmen, die vom Bundesamt selbst für hinreichend wahrscheinlich gehaltene Sicherheitsüberprüfung durch Einreisebehörde (DIE) und Kriminalpolizei (CID) am Flughafen werde ohne weitere Probleme abgewickelt. Im Gegenteil zeigt das Bundesamt selbst die Möglichkeit "kurzfristiger Festnahmen" auf, da die Sicherheitskräfte eine Reorganisation der Tamil Tigers befürchteten (Bescheid S. 8). Das Bundesamt meint sodann, es sei davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner Befragung am Flughafen den etwaigen Verdacht der LTTE-Mitgliedschaft ausräumen könne, er müsse also keine staatlichen oder nichtstaatlichen Repressionen befürchten (ebenda). Diese Sichtweise leuchtet dem erkennenden Gericht nicht ein. Denn es geht eben nicht um die vom Bundesamt verneinte Frage, ob tamilische Rückkehrer generell mit unverhältnismäßig langer Haft, Misshandlung oder Folter rechnen müssen. Sondern es geht um die Frage, ob nach dem Muster des Klägers ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden geratene Tamilen Entsprechendes zu befürchten haben. Dafür sprechen eine ganze Reihe von Erkenntnissen.

Mitte 2013 wurden zwei aus der Schweiz rückgeführte Sri Lanker verhaftet. Bisher ist keine Anklageerhebung erfolgt. Die Schweiz hatte anschließend die Rückführungen ausgesetzt, dies Mitte Mai 2014 aber wieder aufgehoben. Das Auswärtige Amt berichtet in seinem Lagebericht (Stand Juni 2014) darüber, dass in einer neueren Studie vom März 2014, die auf 40 Zeugenaussagen basiere, dargelegt werde, dass es zu Verhaftungen am Flughafen oder am Heimatort sowie anschließend zu Misshandlungen, Folter und Vergewaltigungen gekommen sei. Es gebe ein systematisches Muster von Festnahmen, Vergewaltigungen und sexueller Gewalt durch sri-lankische Sicherheitskräfte gegen LTTE-verdächtige Rückkehrer (a.a.O., S. 11 und 12). Die Hälfte der dokumentierten Fälle soll in den Jahren 2013/2014 stattgefunden haben. Die meisten Opfer seien freiwillig nach Sri Lanka zurückgekehrt, dort dann aber verhaftet und misshandelt und schließlich gegen Geldzahlungen freigelassen worden. Die Interviews der Opfer, die offenbar gegen Bezahlung über Schleppernetzwerke erneut ins Ausland gelangten, fanden außerhalb Sri Lankas statt und sind durch medizinische Untersuchungen untermauert (AA, Lagebericht Stand Juni 2014, S. 12). Vor diesem Hintergrund vermag das erkennende Gericht nicht anzunehmen, der LTTE-verdächtige, auch nach Auffassung des Bundesamts vor seiner Ausreise mehrfach gefolterte Kläger werde bei seiner Wiedereinreise über den Flughafen hinreichend sicher vor politischer Verfolgung sein. Die Voraussetzungen für einen Widerruf von Asyl- und Flüchtlingsanerkennung liegen damit nicht vor. [...]