VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 20.11.2014 - 6 A 262/13 - asyl.net: M22551
https://www.asyl.net/rsdb/M22551
Leitsatz:

Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Personen, die einer Vereinigung des früheren Präsidenten Gbagbo zuzurechnen sind, verfolgt werden. Für Personen, die bereits Opfer von Bedrohungen wurden, ist jedoch die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, erneut Opfer von Übergriffen zu werden.

Schlagwörter: Côte d’Ivoire, Laurent Gbagbo, politische Verfolgung,
Normen: AsylVfG § 3, AsylVfG § 3 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass die Klägerinnen die Republik Côte d'Ivoire im Februar 2011 wegen einer ihnen unmittelbar drohenden politischen Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylVfG verlassen haben und dass sie im Fall der Rückkehr in ihr Heimatland befürchten müssen, mit politischen Verfolgungsmaßnahmen überzogen zu werden. Die Klägerin zu 1.) war in der mündlichen Verhandlung in der Lage, ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren bezüglich ihrer politischen Betätigung und der erlittenen Verfolgung zu konkretisieren und bildhaft darzustellen. Sie konnte anschaulich und nachvollziehbar schildern, wie sie sich in einer patriotischen Frauengruppe, die dem damaligen Präsidenten der Republik Côte d'Ivoire Laurent Gbagbo nahe stand, engagiert hat und weitere Teilnehmerinnen namentlich benennen. Darüber hinaus schilderte sie den Überfall auf ihren Sohn am 18. Dezember 2010 sowie die Zerstörung ihres Frisörgeschäftes am 19. Dezember 2010, die anschließenden Bedrohungen in ihrem Wohnviertel und die Flucht der Familie in Übereinstimmung mit ihrem Ehemann und Sohn, die in der mündlichen Verhandlung getrennt von ihr angehört wurden. Insgesamt war die Schilderung der Klägerin zu 1.) emotional, in sich stimmig mit verschiedenen Unterbrechungen, Einschüben und zeitlichen Sprüngen, wie es für ein tatsächlich erlebtes und aus der Erinnerung wiedergegebenes Geschehen, nicht aber für ein erfundenes typisch ist.

Zwar ist grundsätzlich nicht von einer Verfolgung von Personen allein auf Grund der Zugehörigkeit zu einer dem früheren Präsidenten zuzurechnenden Vereinigung auszugehen, da die entmachtete Partei Laurent Gbagbos FPI politisch nicht verboten und teilweise als Oppositionspartei aktiv ist und von 46% der ivorischen Bevölkerung gewählt wurde (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Côte d'Ivoire: Situation der Flüchtlinge", Themenpapier, Stand: 10. Februar 2014. Punkt 4; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Braunschweig vom 5.11,2012; jeweils aufgeführt in der Erkenntnismittelliste des Gerichts zur Republik Côte d'Ivoire). Auch allein die illegale Ausreise und die Asylantragstellung in Deutschland führt nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen nicht dazu, dass die betreffenden Personen im Falle einer Rückkehr strafrechtlich verfolgt werden oder sonstigen Repressalien ausgesetzt sind (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Braunschweig vom 5.11.2012). Doch ist im Falle der Klägerinnen, die bereits Opfer von willkürlicher Plünderung und Bedrohung geworden sind, die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie erneut Opfer von Übergriffen von staatlichen oder nicht staatlichen Akteuren werden. Diese Wahrscheinlichkeit wird im Falle der Klägerinnen noch dadurch erhöht, dass sie auf Grund ihres Glaubens und ihrer ethnischen Zugehörigkeit, die sich auch in ihren Namen widerspiegelt und damit offensichtlich ist, als besonders gefährdet in Bezug auf willkürliche Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen anzusehen sind (vgl. Amnesty Report 2013 Côte d'Ivoire; Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Côte d'Ivoire: Situation der Flüchtlinge", Themenpapier, Stand: 10. Februar 2014. Punkt 6.1). Von einem Schutz durch die ivorische Justiz kann nicht ausgegangen werden. Diese ist seit dem Machtwechsel im Herbst 2011 sehr einseitig tätig geworden und hat ausschließlich Angehörige des ehemaligen Regimes von Präsident Gbagbo verfolgt und zur Rechenschaft gezogen. Menschenrechtsverletzungen, die von Anhängern des jetzigen Präsidenten Quattara und den ehemaligen Rebellen begangen wurden, bleiben bis heute ungesühnt (vgl. Auskunft des GIGA, Institut für Afrika-Studien an das Verwaltungsgericht Braunschweig vom 9.10.2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Côte d'Ivoire: Situation der Flüchtlinge", Themenpapier, Stand: 10. Februar 2014. Punkt 3). Für das Vorliegen der Voraussetzungen für internen Schutz im Sinne § 3e AsylVfG bestehen keine Anhaltspunkte. Die Klägerin zu 1.) hat dazu in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sie zwar die Möglichkeit erwogen hätten, bei ihrer Schwester auf dem Land Zuflucht zu nehmen, doch auch hier keine Sicherheit vor Verfolgung garantiert gewesen wäre. [...]