VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17.12.2014 - 18a L 1808/14.A - asyl.net: M22531
https://www.asyl.net/rsdb/M22531
Leitsatz:

Der Erlass einer Abschiebungsanordnung setzt voraus, dass die Rückübernahmebereitschaft feststeht. Hat Bulgarien das Wiederaufnahmeersuchen nach der Dublin-VO wegen der Gewährung Flüchtlingsschutzes abgelehnt und ein Ersuchen nach dem Rückübernahmeabkommen erbeten, steht die Rückübernahmebereitschaft noch nicht fest und eine Abschiebungsanordnung ist rechtswidrig.

Schlagwörter: Abschiebungsanordnung, Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, Flüchtlingsanerkennung, Bulgarien, Rückübernahmebereitschaft, Rückübernahmeabkommen, Übernahmeersuchen,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Des Weiteren bestehen ernstliche Zweifel, ob die in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG niedergelegten Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung tatsächlich erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt in Fällen, in denen der Ausländer - wie hier - in einen sicheren Drittstaat oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Letzteres erfordert u.a., dass die Übernahmebereitschaft des Drittstaats, in den abgeschoben werden soll, abschließend geklärt ist (vgl. HambOVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 - NVwZ 2011, S. 512 = Juris Rn. 10); OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 1. Februar 2012 - 2 S 6.12 - Juris Rn. 4; VG Frankfurt/M., Urteil vom 1. September 2014 - 8 K 2365/14.A - Juris; VG Trier, Beschlüsse vom 19. Juli 2011 - 5 L 971/11.TR - Juris Rn 7 und vom 16. April 2014 - 5 L 569/14.TR - Juris Rn. 52; Beschluss der Kammer vom 10. November 2014 -18a L 1524/14.A -; Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblatt, AsylVfG, § 34a, Rn. 16.

Eine solche - positive - Klärung der Übernahmebereitschaft kann das erkennende Gericht im vorliegenden Streitfall nicht feststellen. Vielmehr hat der bulgarische Staat das auf die so gen. Dublin-III-Verordnung - Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 S. 31) - gestützte Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamtes vom 21. Oktober 2014 (Bundesamtsakte Bl. 72, 74) mit der Begründung, die Antragstellerin sei in Bulgarien bereits unter dem 12. Mai 2014 der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden (Bundesamtsakte Bl. 80), gerade ausdrücklich mit Schreiben vom 30. Oktober 2013 abgelehnt.

Zwar kann es unter Umständen ausreichen, dass zwischen der Bundesrepublik und dem Drittstaat, hier also dem bulgarischen Staat, eine gesicherte Verwaltungsübung dergestalt besteht, dass unter bestimmten Voraussetzungen und bei Vorliegen bestimmter Beweismittel hinsichtlich eines Voraufenthalts im Drittstaat Flüchtlinge ohne Weiteres und vor allem unverzüglich übernommen werden (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Loseblatt, Stand Juni 2014; Rn. 20 zu § 34a AsylVfG).

Für eine solche ständige Verwaltungsübung zwischen der Beklagten und dem bulgarischen Staat ist hier jedoch nichts ersichtlich. Die Übernahme von Personen, die nicht die deutsche oder die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzen, setzt nach Abschnitt II. des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Bulgarien über die Übernahme und Durchbeförderung von Personen - Rückübernahmeabkommen - (BGBl. 2006 II, S. 259 ff.) ausdrücklich ein Übemahmeersuchen voraus, in dem das Vorliegen der Übernahmevoraussetzungen nachzuweisen oder glaubhaft zu machen ist. Entsprechend dieser Regelung hatten die bulgarischen Behörden im vorliegenden Fall bei Ablehnung des auf die Dublin-Verordnung gestützten Wiederaufnahmeersuchens ein Übernahmeersuchen nach dem Rückübernahmeabkommen erbeten. Angesichts dieses ausdrücklichen Verweises auf ein gesondertes Übernahmeersuchen kann ein solches auch nicht mit Blick auf eine etwaige Erfüllung der rechtlichen Voraussetzungen des Rückübernahmeabkommens als entbehrlich angesehen werden.

Im Rahmen der Interessenabwägung fällt zudem ins Gewicht, dass für die Antragstellerin, sofern ihr Rechtsschutz versagt würde, sie aber später in der Hauptsache obsiegen sollte, möglicherweise bereits mit der Zurückschiebung nach Bulgarien irreparable Rechtsbeeinträchtigungen eintreten können (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. März 2012 - 1 B 234/12. A -, Juris, m.w.N. [...]