VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 02.10.2014 - 6 L 1166/14 - asyl.net: M22470
https://www.asyl.net/rsdb/M22470
Leitsatz:

1. Zu den Anforderungen an die Erteilung eines Aufenthaltstitels für Inhaber einer italienischen Aufenthaltserlaubnis.

2. § 39 Nr. 6 AufenthV setzt voraus, dass der Inhaber einer italienischen Aufenthaltserlaubnis sich im Zeitpunkt der Antragstellung noch berechtigterweise im Bundesgebiet aufhält.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, EU-Mitgliedstaat, Italien, italienische Aufenthaltserlaubnis, gewöhnlicher Aufenthalt, nationales Visum, Visum, Kurzaufenthalt, Ausweisungsgrund, Sicherung des Lebensunterhalts, Aufenthaltstitel, Bundesgebiet, deutscher Aufenthaltstitel, deutscher Ehegatte, Visumsverfahren, Schengen-Staat, Abschiebungshindernis, Visumspflicht,
Normen: AufenthV § 39 Nr. 6, AufenthV § 39, AufenthG § 60a, AufenthG § 60a Abs. 3 S. 1, AufenthG § 6 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 6,
Auszüge:

[...]

Es ist nicht erkennbar oder glaubhaft gemacht, dass die Abschiebung des Antragstellers gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich oder ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen wäre und er deshalb die Aussetzung seiner Abschiebung beanspruchen könnte.

Der Antragsteller kann sich nach derzeitigem Erkenntnisstand insbesondere nicht auf das Bestehen eines sicherungsbedürftigen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von §§ 27, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG berufen. Zwar erfüllt er die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Anspruchsnorm, da er seit dem 14.01.2014 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Auch hat der Antragsteller durch Vorlage eines Zertifikats der Berlitz Deutschland GmbH vom 08.09.2014 über das Vorliegen des Berlitz Sprachlevels I , das dem Sprachniveau der Stufe A 1 der elementaren Sprachanwendung des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens des Europarats entspricht, nunmehr nachgewiesen, dass er über die nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Deutschkenntnisse verfügt. Der Erteilung einer Aufenthalts - erlaubnis an den Antragsteller steht indes entgegen, dass er ohne das für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderliche Visum eingereist ist. Der Antragsteller war aufgrund seiner italienischen Aufenthaltserlaubnis zwar berechtigt, auf der Grundlage von § 15 AufenthV i.V.m. Art 21 Abs. 1 SDÜ ohne Visum in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Aufgrund dieses Aufenthaltstitels durfte er sich jedoch berechtigterweise lediglich für einen Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten im Bundesgebiet aufhalten. Für den von ihm nunmehr angestrebten Daueraufenthaltszweck der Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau im Bundesgebiet bedurfte der Antragsteller aber eines grundsätzlich vor der Einreise einzuholenden, dem angestrebten Aufenthaltszweck entsprechenden nationalen Visums nach § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteile vom 16.11.2010, 1 C 17.09, NVwZ 2011, 495, und vom 11.01.2011, 1 C 23.09, NVwZ 2011, 871, m.w.N.; ferner OVG des Saarlandes, u.a. Beschluss vom 23.09.2010, 2 B 257/10; ebenso Hamburgisches OVG, Beschluss vom 25.03.2013, 3 BS 90/13, InfAusR 2013, 371, sowie Sächsisches OVG, Urteil vom 16.10.2008, 3 A 94/08, zitiert nach juris).

Der Antragsteller war auch nicht berechtigt, die von ihm begehrte Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nach Maßgabe der auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beruhenden Bestimmung des § 39 AufenthV nach der Einreise ins Bundesgebiet einzuholen. Die in § 39 AufenthV normierten Voraussetzungen, nach denen über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern kann, liegen nicht vor. Insbesondere sind im Fall des Antragstellers die Voraussetzungen der Regelung in § 39 Nr. 5 AufenthG nicht erfüllt. Danach kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er aufgrund einer Eheschließung im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Zwar ist der Aufenthalt des Antragstellers nach Aktenlage seit dem 03.02.2014 ausgesetzt, und er hat im Bundesgebiet am 14.01.2014 die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossen, die Grundlage für den geltend gemachten Aufenthaltstitel ist. Allerdings wurde dem Antragsteller die zuletzt am 18.09.2014 befristet bis zum 17.10.2014 erteilte Duldung nach § 60a AufenthG allein zum Zwecke der Vorbereitung seiner Abschiebung erteilt. Dies lässt sich ihrer Nebenbestimmung entnehmen, wonach die Duldung ungeachtet ihrer Gültigkeit am Tag der Abschiebung des Antragstellers erlischt. Ob auch eine solche Duldung dem Anwendungsbereich der Bestimmung des § 39 Nr. 5 AufenthV unterfällt (ablehnend etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2010, 4 BS 220/10, InfAusR 2011, 108, sowie VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.03.2008, 11 S 378/08, zitiert nach juris), kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls hat der Antragsteller aufgrund seiner Eheschließung im Bundesgebiet keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben. Zwar handelt es sich bei der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG grundsätzlich um eine gebundene, d.h. nicht im Ermessen der Behörde stehende Rechtsvorschrift. Da sich der am 29.06.2013 ins Bundesgebiet eingereiste Antragsteller aufgrund seiner italienischen Aufenthaltserlaubnis aber lediglich für einen Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten im Bundesgebiet aufhalten durfte, sein Aufenthalt mithin seit Ablauf des 29.09.2013 illegal war, hat er einen Ausweisungsgrund im Verständnis von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht, da dieses Verhalten einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften darstellt, mit der Folge, dass der Antragsteller die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, von der gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Rahmen des behördlichen Ermessens abgesehen werden kann, nicht erfüllt. Dieser Ausweisungsgrund ist auch im Rahmen von § 39 Nr. 5 AufenthV zu berücksichtigen und steht der Annahme eines strikten Rechtsanspruchs im Sinne dieser Vorschrift entgegen. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn auch alle Regelerteilungsvoraussetzungen gegeben sind und der Behörde kein Ermessen mehr zusteht (so ausdrücklich BVerwG, Urteile vom 16.11.2010, 1 C 17.09, a.a.O., und vom 16.12.2008, 1 C 37.07, BVerwGE 132, 382, m.w.N.).

Einen Rechtsanspruch des Antragstellers auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht zudem gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG entgegen, dass sein Lebensunterhalt nicht als gesichert anzusehen ist. Zwar war dem Antragsteller ausweislich der in seinen jeweiligen Duldungen enthaltenen Nebenbestimmungen eine Erwerbstätigkeit bislang nicht gestattet. Der Antragsteller hat indes auch nicht nachweisen können, dass er nach Erteilung einer zur Arbeitsaufnahme berechtigenden Aufenthaltserlaubnis eine Tätigkeit wird wahrnehmen können, mit der sein Lebensunterhalt gewährleistet wäre. Der bloße Hinweis des Antragstellers darauf, dass er die Möglichkeit habe, bei einem Verwandten als Friseur zu arbeiten, reicht hierfür jedenfalls nicht aus. Ebenso wenig ist die Annahme gerechtfertigt, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers durch seine deutsche Ehefrau gesichert werden könnte, zumal diese derzeit ebenfalls auf öffentliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angewiesen ist (vgl. das Schreiben des Jobcenters im Regionalverband A-Stadt vom 02.07.2014, ausweislich dessen der deutschen Ehefrau des Antragstellers Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2014 bis 30.11.2014 bewilligt worden sind, Bl. 196 ff. der Ausländerakte des Antragsgegners).

Im Weiteren scheidet für den Antragsteller auch die Berechtigung aus § 39 Nr. 6 AufenthV aus, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und auf Grund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind; § 41 Abs. 3 AufenthV findet Anwendung. Der in § 41 Abs. 3 Satz 1 AufenthV benannte Zeitraum von drei Monaten, innerhalb dessen der Aufenthaltstitel nach der Einreise zu beantragen ist, entspricht dabei dem Zeitraum, in welchem sich ein Drittausländer gemäß § 15 AufenthV i.V.m. Art. 21 Abs. 1 SDÜ höchstens im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei frei bewegen darf, sofern er Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels ist. Der Antragsteller hätte daher, um sich mit Erfolg auf § 39 Nr. 6 AufenthV berufen zu können, den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis innerhalb des Dreimonatszeitraums, in dem er sich berechtigterweise im Bundesgebiet hatte aufhalten dürfen, stellen müssen. Dies war indes, wie aufgezeigt, nicht der Fall, da der Antragsteller am 29.06.2013 in das Bundesgebiet eingereist ist, den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis allerdings erst am 01.02.2014 gestellt hat. Im Zeitpunkt der Antragstellung war mithin der Dreimonatszeitraum, in dem sich der Antragsteller berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten durfte und innerhalb dessen er den von ihm nunmehr begehrten Aufenthaltstitel hätte beantragen müssen, abgelaufen (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.01.2011, 18 B 1662/10, zitiert nach juris, sowie Hessischer VGH, Beschluss vom 30.07.2013, 6 B 1170/13, InfAuslR 2013, 424, m.w.N.).

Zwar kann von dem Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Weiteren auch dann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Indes steht dem Antragsteller, wie dargelegt, wegen der Verwirklichung eines Ausweisungsgrundes nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG sowie der fehlenden Sicherung seines Lebensunterhalts ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht zu, und es sind auch keine besonderen Umstände dargetan oder ansonsten ersichtlich, die es dem Antragsteller unzumutbar machten, das Bundesgebiet vorübergehend zur Nachholung des Visumverfahrens zu verlassen. Allein der Umstand, dass die Eheleute möglicherweise eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht hierfür auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.01.2011, 1 C 23.09, a.a.O., und vom 16.11.2010, 1 C 17.09, a.a.O.).

Dass im Fall des Antragstellers zudem und erst recht nicht die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach Maßgabe des § 28 Abs. 2 AufenthG oder der Vorschrift des § 9 Abs. 2 AufenthG in Betracht kommt, hat der Antragsgegner in dem angefochtenen Bescheid vom 04.08.2014 ebenfalls zutreffend festgestellt. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO vollinhaltlich Bezug genommen, zumal der Antragsteller den diesbezüglichen Ausführungen des Antragsgegners im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht entgegengetreten ist. [...]