OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.10.2014 - 10 A 11170/13 - asyl.net: M22460
https://www.asyl.net/rsdb/M22460
Leitsatz:

Bei der Zustellung durch die Post mittels Einschreiben mit Rückschein gilt die Zustellung an dem Tag als bewirkt, den der Rückschein angibt. Bei einem Einschreiben durch Übergabe gilt das Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt.

(Amtlicher Leitsatz)

Ergänzender Leitsatz der Redaktion:

Auch wenn der dritte Tag nach Aufgabe eines Briefes zur Post auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen Feiertag fällt, gilt dieser und nicht der nächste Werktag als Tag der Bekanntgabe. Bei dem "dritten Tag" handelt es sich nämlich nicht um das Ende einer Frist, sondern um einen Zeitpunkt.

Schlagwörter: Zustellung, Einschreiben, Einschreiben mit Rückschein, Zustellungsfiktion, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Klagefrist, Fristversäumnis, Asylverfahren,
Normen: AsylVfG § 10, VwZG § 4 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Gemäß § 74 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG – war die Klage innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung zu erheben. Voraussetzung für das In-Gang-Setzen der Klagefrist ist daher zunächst eine wirksame Zustellung, § 31 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG. Die Form der Zustellung richtet sich nach dem Verwaltungszustellungsgesetz – VwZG – unter Berücksichtigung der Sondervorschrift des § 10 – AsylVfG – (HK-AuslR/Wolff, 1. Aufl. 2008, AsylVfG § 31, Rn. 14). Zuzustellen war gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG an den Bevollmächtigten der anwaltlich vertretenen Klägerin, nachdem dieser sich unter Vorlage einer Vollmacht bestellt hatte.

Die Beklagte konnte die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben vornehmen. § 4 Abs. 1 VwZG sieht hierzu zwei Zustellungsarten vor: die Zustellung mittels Einschreiben durch Übergabe oder mittels Einschreiben mit Rückschein. Die Beklagte hat sich vorliegend für die Zustellung mittels Übergabeeinschreiben entschieden.

Für diesen Fall greift nach § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG eine gesetzliche Zugangsfiktion. Der Bescheid gilt am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (1). Dies folgt aus dem eindeutigen Wortlaut (a), der Gesetzgebungshistorie (b) sowie dem Sinn und Zweck des Gesetzes (c). Ein früherer Zugang – auch wenn er nachgewiesen und unstreitig ist – ändert an dem Eintritt der Fiktion hingegen nichts (2).

1. a) Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VwZG genügt zum Nachweis der Zustellung der Rückschein. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG greift im Übrigen die Drei-Tages-Fiktion. Mit dieser Regelungstechnik macht der Gesetzgeber deutlich, dass nur bei der Verwendung eines Rückscheins das dort angegebene Datum als dasjenige der Zustellung gilt. In allen anderen Fällen – also dem Fall des Übergabeeinschreibens oder den Fällen, in denen der Rückschein keinen Beweis erbringen kann – gilt das Einschreiben hingegen als am dritten Tage nach Aufgabe zur Post zugestellt.

b) Dass diese nach dem Wortlaut angeordnete Rechtsfolge auch genau so gewollt war, ergibt sich eindeutig aus den Gesetzesmaterialien. Der Gesetzgeber hat § 4 VwZG durch das Gesetz zur Novellierung des Verwaltungszustellungsrechts vom 12. August 2005 (BGBl. I 2354) neu gefasst. Durch diese Neuregelung wurde einerseits das so genannte "Einwurf-Einschreiben" als Möglichkeit der formellen Zustellung ausgeschlossen und andererseits das Einschreiben mit Rückschein eingeführt. Hierzu ist in der Gesetzesbegründung ausgeführt:

"Zum Nachweis der Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein genügt der Rückschein. Die Zustellung gilt an dem Tag als bewirkt, den der Rückschein angibt. Die Fiktion der Zustellung gilt nur für Einschreiben mittels Übergabe und für Zustellungen, bei denen der Rückschein den Beweisanforderungen nicht genügt oder verloren gegangen ist" (BT-Drs. 15/5216 S. 12).

c) Dieses Ergebnis entspricht schließlich auch dem Sinn und Zweck der jeweiligen Zustellform. Nur beim Einschreiben mit Rückschein erhält der Absender bestimmungsgemäß die handschriftliche Bestätigung der Übergabe und des Übergabezeitpunkts mitgeteilt, während er bei dem Übergabeeinschreiben lediglich eine Einlieferungsbescheinigung bekommt, die den Stempel des Tages der Einlieferung trägt. Eine Rückmeldung über den tatsächlichen Zeitpunkt der Übergabe erhält er demgegenüber nicht. Mittlerweile lässt sich dieser Zeitpunkt zwar auch bei dem Übergabe-Einschreiben durch eine Online-Abfrage auf der Internet-Seite der Post feststellen. Hierbei handelt es sich aber lediglich um ein Serviceangebot der Post, nicht hingegen um eine bestimmungsgemäße und vom Gesetzgeber in Rechnung zu stellende Rücknachricht an den Absender.

Im Ergebnis ist nach der Reform des Zustellungsrechts somit für die Fristberechnung zu unterscheiden: Wird per Einschreiben mit Rückschein zugestellt, gilt als Zustellungsdatum das auf dem Rückschein eingetragene Datum. Für eine Zugangsfiktion ist kein Raum (ebenso VG Bremen, Urteil vom 13. September 2013 – 2 K 809/12 –; Engelhardt/App, VwVG - VwZG, 10. Aufl. 2014, § 4 Rn. 8; Sadler, VwVG, VwZG, 7. Aufl. 2010, § 4 Rn. 11; Weidemann in PdK-Bund, Bd. A 18 BU 2.3, Stand Sept 2007; vgl. auch den Anwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen zur Abgabenordnung, AEAO 2014 zu § 122 Ziff. 3.1.2). Wird mit Übergabeeinschreiben zugestellt, verbleibt es dagegen bei der schon vor der Reform bestehenden Rechtslage: Das Schreiben gilt erst als mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post zugestellt.

Entgegen der Ansicht der Klägerin folgt aus der Kommentierung von Hailbronner zu § 10 Abs. 4 AsylVfG nichts anderes. In dieser Vorschrift ist nämlich, anders als in § 4 VwZG, ausdrücklich bestimmt, dass die Zustellung mit der Übergabe an den Ausländer bewirkt ist. Das oben dargestellte Ergebnis ist auch nicht deshalb untragbar, weil der Prozessbevollmächtigte den Tag der Aufgabe zur Post nicht kennen und die Frist deshalb nicht berechnen könnte. Der Tag der Aufgabe des Einschreibens ist nämlich auf dem Umschlag vermerkt. In der Praxis wird dieser Umschlag mit einem Aufkleber (Label) versehen, der das Aufgabedatum sowie die Vermerke "Einschreiben" oder "Einschreiben Rückschein" trägt. Zur Klarstellung sei angemerkt, dass das Datum auf dem Briefumschlag – und nicht etwa ein gegebenenfalls abweichender Vermerk in der Verwaltungsakte nach § 4 Abs. 2 Satz 4 VwZG – den maßgeblichen Zeitpunkt der "Aufgabe zur Post" im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG darstellt (vgl. auch Sadler, a.a.O., § 4 VwZG Rn. 12).

2. Damit bleibt für das Übergabeeinschreiben auch die gefestigte Rechtsprechung zu § 4 VwZG alter Fassung anwendbar, nach der ein früherer Zugang, sei er auch unstreitig und gesichert, am Eintritt der Fiktion nichts ändert. Etwas anderes lässt sich nämlich dem Wortlaut der Norm nicht entnehmen und würde zu erheblicher Rechtsunsicherheit bei der Fristbestimmung führen (BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1965 – VII C 170.64 – BVerwGE 22, 11 [13]; ebenso BSG, Urteil vom 19. März 1957 – 10 RV 609/56 – BSGE 5,53, bestätigt durch BSG, Urteil vom 06. Dezember 1996 – 13 RJ 19/96 – BSGE 79, 293; Engelhardt/App, a.a.O., § 4 VwZG Rn. 8; Sadler, a.a.O., § 4 VwZG Rn. 21; Weidemann in PdK-Bund, a.a.O., 2.2.2).

3. Das am 24. Februar 2013 zur Post gegebene Übergabeeinschreiben gilt daher als am 27. Februar 2013 zugestellt, vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG, § 57 VwGO, § 222 Zivilprozessordnung – ZPO –, § 188 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der 27. Februar 2013 ein Sonntag war. Auch wenn der dritte Tag nach Aufgabe eines Briefes zur Post auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen Feiertag fällt, gilt dieser und nicht der nächste Werktag als Tag der Bekanntgabe. Bei dem "dritten Tag" handelt es sich nämlich nicht um das Ende einer Frist, sondern um einen Zeitpunkt (ebenso BSG, Urteil vom 19. März 1957 – 10 RV 609/56 – BSGE 5, 53 und juris-Rn. 19; BayVGH, Beschluss vom 23. Juli 1990 – 19 B 88.185 – NJW 1991, 1250; OVG NRW, Beschluss vom 07. März 2001 – 19 A 4216/99 – NVwZ 2001, 1171; OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 7 PA 184/06 – Juris; Sadler, a.a.O., § 4 Rn. 13). Somit begann die Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylVfG gemäß § 58 Abs. 1, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO und § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB – am 28. Januar 2013 zu laufen. Sie endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 11. Februar 2013, eines Montags, da das reguläre Fristende auf einen Sonntag fiel.

Selbst wenn man der vom Bundesfinanzhof unter Aufgabe der älteren Rechtsprechung vertretenen Ansicht folgen wollte, nach der es sich bei der Drei-Tages-Fiktion um eine Frist handelt (BFH, Urteil vom 14. Oktober 2003 – IX R 68/98 –, BFHE 203, 26) würde sich an diesem Ergebnis vorliegend nichts ändern. Dann verschöbe sich der Zeitpunkt der Zustellung zwar gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO auf Montag den 28. Februar 2013. Sie endete dann allerdings regulär am 11. Februar 2013, ohne dass es beim Fristende zur Anwendung des § 222 Abs. 2 ZPO käme. Damit war die am 18. Februar 2013 erhobene Klage in jedem Fall verspätet.

II.

Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin hinsichtlich der Versäumung der Klagefrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dabei ist das Verschulden eines Vertreters dem Vertretenen als eigenes Verschulden zuzurechnen, § 173 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO.

Vorliegend ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Versäumung der Klagefrist unverschuldet gewesen wäre. Ursache für die vorliegende Fristversäumnis war eine fehlerhaft berechnete Klagefrist. Zu dem Zeitpunkt, zu dem der damalige Prozessbevollmächtige durch seine Rechtsanwaltsfachangestellte von den Vorgängen informiert worden war, lief die Klagefrist noch. Es hätte dem Rechtsanwalt oblegen, die Fristenberechnung nachzuvollziehen und dabei festzustellen, dass er am selben Tage noch fristwahrend hätte Klage erheben können. Es ist auch weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass dem Rechtsanwalt eine taggleiche Klageerhebung nicht mehr möglich gewesen sein sollte. Hierzu hätte ein Fax genügt. Einer Klagebegründung hätte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht bedurft, § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG. Eine taggleiche Klageerhebung war zudem nach dem von der Kanzlei selbst vorgesehenen System keine Besonderheit. Die Akte wäre dem Prozessbevollmächtigten auch dann, wenn seine Rechtsanwaltsfachangestellte die Frist richtig berechnet hätte, erst am Morgen den 11. Februar 2014 vorgelegt worden. Hätte er es versäumt, das Verfahren zu bear - beiten, wäre er ebenfalls erst nach Kontrolle des Fristenbuchs am Nachmittag hierauf hingewiesen worden. [...]