VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2014 - 11 B 2932/14 - asyl.net: M22414
https://www.asyl.net/rsdb/M22414
Leitsatz:

Eine Blaue Karte EU kann bei Wegfall der Voraussetzungen (insbesondere Verlust des Arbeitsplatzes) nachträglich befristet werden.

Die sofortige Vollziehung darf angeordnet werden, wenn der Ausländer Leistungen nach dem SGB II bezieht.

Eine nachtägliche Befristung darf nicht auf einen Zeitpunkt vor Zugang des Bescheides erfolgen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Blaue Karte EU, Blue Card, Wegfall der Voraussetzungen, Verlust des Arbeitsplatzes, SGB II, nachträgliche Befristung, Arbeitslosigkeit, Entzug des Aufenthaltstitels, Hochqualifizierte, Hochqualifiziertenrichtlinie,
Normen: AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 19a, RL 2009/50/EG Art. 13 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis nachträglich befristet werden, wenn eine für die Erteilung, Verlängerung oder Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen ist.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist diese Regelung auch für eine nach § 19a AufenthG erteilte Blaue Karte EU anwendbar. Dabei handelt es sich um einen Aufenthaltstitel, der weitgehend einer Aufenthaltserlaubnis entspricht. Mit der Ergänzung in § 4 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, wonach die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften auch auf die Blaue Karte EU angewandt werden, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist, wird sichergestellt, dass die allgemeinen Regelungen, die für die Aufenthaltserlaubnis gelten, auch auf die Blaue Karte EU Anwendung finden. Damit entspricht dieser Aufenthaltstitel auch hinsichtlich möglicher Befristungen der Aufenthaltserlaubnis. Sollte eine mehrfache Arbeitslosigkeit im Geltungszeitraum der Blauen Karte EU vorliegen bzw. länger als drei Monate andauern, kommt eine nachträgliche Befristung des Aufenthaltstitels in Betracht (Beck OK, AufenthG § 19a Rn. 17; Hailbronner, AufenthG § 19a, Rn. 28). Dafür spricht auch die Regelung des Art. 9 Abs. 1 b) Richtlinie 2009/50/EG, wonach eine Blaue Karte EU u.a. dann entzogen wird, wenn sich herausstellt, dass der Inhaber die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt nicht länger erfüllt.

Nachträgliche Fristverkürzungen nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG dürfen jedoch nicht rückwirkend auf einen Zeitpunkt vor Zugang der Fristverkürzungsentscheidung verfügt werden. Das Geltungsende darf frühestens auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung festgelegt werden. "Nachträglich" bedeutet nicht rückwirkend. Anderenfalls würde die Befristung wie eine Rücknahme wirken, die nur bei einem anfänglichen Fehlen von Genehmigungsvoraussetzungen möglich ist. Zudem wäre eine rückwirkende Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis widersinnig, da der Aufenthalt bislang rechtmäßig gewesen ist und diese bereits erhaltene Vergünstigung de facto nicht nachträglich entzogen werden kann (GK AufenthG, § 7 Rn. 396 f. m.w.N.). Somit war eine nachträgliche Befristung der dem Antragsteller ursprünglich rechtmäßig erteilten Blauen Karte EU für einen Zeitraum vor der Zustellung des Bescheides vom 13. August 2014 rechtlich nicht möglich.

Die Befristungsentscheidung kann auch nicht als Rücknahme (§ 48 VerVfG) aufrechterhalten umgedeutet werden. War die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zunächst rechtmäßig und sind die Voraussetzungen für die Erteilung erst später entfallen, kann die Frist nur gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nachträglich verkürzt werden. Auch kann der Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. August/1. Oktober 2014 als Widerruf rechtmäßig sein. Insoweit sind die besonderen Voraussetzungen des § 52 AufenthG offensichtlich nicht erfüllt.

Der Bescheid der Antragsgegnerin waren dahingehend auszulegen, dass jedenfalls eine Befristung zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen sollte. Das war hier die Zustellung des Bescheides vom 13. August 2014.

Soweit der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sich auf den Zeitraum ab dem 15. August 2014 bezieht, hat er keinen Erfolg.

Die nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis konnte ermessensfehlerfrei ab dem 15. August 2014 erfolgen. Die Antragsgegnerin hat festgestellt, dass zum 1. April 2014 das Dienstverhältnis des Antragstellers gekündigt wurde. Damit ist der Grund für die Erteilung der Blauen Karte EU nach § 19a AufenthG nachträglich entfallen. Der Antragsteller hat nicht geltend gemacht, dass er aktuell wieder die Voraussetzungen für eine Erteilung der Blauen Karte EU erfüllt. Die Antragsgegnerin hat die Blaue Karte EU nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ermessensfehlerfrei befristet. Dies insbesondere im Hinblick auf den Vertrauensschutz des Antragstellers. Sie hat nachvollziehbar ausgeführt, dass dieser sich noch nicht lange dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, so dass von einer tiefgehenden Verwurzelung nicht auszugehen ist und eine zumutbare Möglichkeit der Rückkehr in sein Heimatland besteht, zumal dort noch seine Frau und Kind leben.

Weiterhin hat die Antragsgegnerin auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO ausreichend und tragend begründet. Sie hat insoweit auf den Bezug von Leistungen des Antragstellers nach SGB II seit dem 1. April 2014 verwiesen. Dieses begründet grundsätzlich ein Sofortvollzugsinteresse für eine nachträgliche Befristung von Aufenthaltstiteln (GK AufenthG, § 7 Rn. 501 mw.N). Entgegen der Auffassung des Antragstellers gilt für die Blaue Karte EU nichts anderes. Wie sich aus § 19a AufenthG und Art. 1 der Richtlinie 2009/50/EG ergibt, ist deren wesentliche Voraussetzung eine Tätigkeit als Hochqualifizierter. Schon bei Wegfall dieser Voraussetzung ist nach Art. 9 Abs. 1 b der Richtlinie 2009/50/EG der Aufenthaltstitel zu entziehen. Die in Art. 9 Abs. 3 b und d der Richtlinie 2009/50/EU behandelte Sozialhilfebedürftigkeit ist deshalb ein über das öffentliche Interesse an der nachträglichen Befristung hinausgehender Gesichtspunkt.

Aus der Richtlinie 2009/50/EG folgen insoweit auch sonst keine hier relevanten Einschränkungen. Die nach Art. 13 Abs. 1 Richtlinie 2009/50/EG zu berücksichtigende Frist von drei Monaten Arbeitslosigkeit, die für einen Entzug des Aufenthaltstitels nicht ausreichend ist, hat die Antragsgegnerin jedenfalls mit der Änderungsverfügung vom 1. Oktober 2014 hinreichend berücksichtigt. [...]