VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 24.10.2014 - RN 8 K 14.30034 (ASYLMAGAZIN 12/2014, S. 428 f.) - asyl.net: M22403
https://www.asyl.net/rsdb/M22403
Leitsatz:

Die Umdeutung eines "Dublin-Bescheides" in eine Entscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG kommt nicht in Betracht. Prozessual ist eine Umdeutung einer Anfechtungsklage in eine Verpflichtungsklage nicht möglich. Inhaltlich steht der Umdeutung entgegen, dass der umgedeutete Verwaltungsakt nicht auf das gleiche Ziel gerichtet ist. Bei dem Dublin-Bescheid geht es um einen Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, bei einem Zweitbescheid um das Herkunftsland.

Schlagwörter: Umdeutung, Dublin-Bescheid, Anfechtungsklage, Verpflichtungsklage, Fortführung des Verfahrens, Asylverfahren, Herkunftsstaat, Zielstaat, Zielstaatsbezeichnung, Dublinverfahren, Zweitantrag, Durchentscheiden,
Normen: AsylVfG § 31 Abs. 2, VwVfG § 47,
Auszüge:

[...]

3. Eine Umdeutung des maßgeblichen "Dublin-Bescheides" in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylVfG kommt nicht in Betracht.

a) Gegen eine Umdeutung sprechen bereits prozessuale Gründe. Die gegenständliche Klage gegen den streitbefangenen Dublin-Bescheid war von Anfang an zutreffend in Form einer hier statthaften Anfechtungsklage i.S.v. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zu erheben. Eine Verpflichtungsklage auf Anerkennung als Asylberechtigte etc. kam hingegen insoweit nicht in Betracht. Im Fall der Aufhebung des angefochtenen Bescheids ist das Bundesamt nämlich bereits nach § 31 Abs. 2 AsylVfG von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet; außerdem ginge den Klägern ansonsten eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris Rn. 21, 22 m.w.N.). Ziel der Klage ist damit letztlich die Durchführung eines Asylverfahrens beim Bundesamt. Im Fall einer Umdeutung der gegenständlichen Dublin-Entscheidung in eine Ablehnung eines Zweitantrags wäre das zutreffende Klageziel hingegen eine Verpflichtung zur Asylanerkennung bzw. zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; eine Klage mit dem bloßen Ziel der Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens wäre dann demgegenüber nicht statthaft (vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 101. EL Juni 2014, § 71a Rn. 40). Somit würde mit einer Umdeutung der Dublin-Entscheidung in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylVfG über den allein von der Klägerseite zu bestimmenden Streitgegenstand hinausgegriffen (vgl. VG Regensburg, U.v. 21.10.2014 - RO 9 K 14.30217). Die Klägerseite muss sich von der Beklagten aber keinen weiteren Streitgegenstand aufdrängen lassen, den sie nicht will (vgl. OVG Saarland, B.v. 12.9.2014 - 2 A 191/14 - juris Rn. 11).

b) Auch liegen die Voraussetzungen des § 47 VwVfG für eine Umdeutung nicht vor.

Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.

aa) Die von der Beklagten ins Feld geführte Umdeutung der Ziffer 1 des inmitten stehenden Verwaltungsaktes scheitert schon daran, dass ein Bescheid nach § 71a AsylVfG nicht in der geschehenen Verfahrensweise hätte erlassen werden dürfen. Denn das hierzu nach § 71a Abs. 1 a. E. i.V.m. § 24 Abs. 1 Sätze 1 und 3 AsylVfG gesetzlich verpflichtete Bundesamt hat die Kläger zu keinem Zeitpunkt zu den im Rahmen des § 71a Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Tatsachen (materielle Fluchtgründe) und Umständen (Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) angehört. Ausweislich des vorgelegten Behördenakts kam es im Einklang mit § 24 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG ausschließlich zu einer Befragung nur zur Identitätsklärung von Seiten der Regierung von Oberbayern. Gelegenheit zum Vortrag materieller Fluchtgründe oder zur Klärung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bestand nie. Damit ist offensichtlich ausgeschlossen, dass sich die Beklagte auf Basis der gegebenen Aktenlage jemals auch nur hilfsweise mit der Frage hätte auseinandersetzen können, ob ein Fall des § 71a Abs. 1 i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegt oder nicht. Von der Anhörung konnte auch nicht nach § 71a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG abgesehen werden, da bei dieser Sachlage insbesondere mit Blick auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen sei, nicht möglich ist (vgl. VG Regensburg, U.v. 21.10.2014 - RO 9 K 14.30217).

Ferner ordnet § 71a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 24 Abs. 2 AsylVfG eine Entscheidung des Bundesamtes auch im Zweitantragsverfahren darüber an, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hinsichtlich des Zielstaates der Abschiebungsandrohung vorliegen. Dieser Gesichtspunkt mag zwar mit Blick auf die Dublin-Regularien und die nach §§ 27a, 34a AsylVfG angeordnete Abschiebung in den ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat im durchgeführten Verwaltungsverfahren berechtigterweise keine Rolle gespielt haben. Allerdings käme diesem Aspekt im Rahmen eines Zweitantrages gewichtige Bedeutung zu, nachdem der nach den oben genannten Bestimmungen geforderten Entscheidung nicht die Umstände im ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat, sondern in erster Linie im Herkunftsstaat zugrunde zu legen wären (VG Regensburg, U.v. 21.10.2014 - RO 9 K 14.30217).

Eine Umdeutung der Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides (Anordnung der Abschiebung in den ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat) in eine Anordnung der Abschiebung in das Herkunftsland wäre angesichts der Tatbestandsvoraussetzungen des § 34a AsylVfG offensichtlich rechtswidrig. Eine Umdeutung in eine Androhung des Abschiebung in das Herkunftsland nach § 34 AsylVfG führte dazu, dass der umgedeutete Verwaltungsakt nicht mehr im Sinne von § 47 Abs. 1 VwVfG auf das gleiche Ziel gerichtet wäre.

bb) Ziffer 1 des vorliegenden Bescheides kann auch deshalb nicht in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG umgedeutet werden, weil seine Rechtsfolgen entgegen § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes.

Weitere Rechtsfolge eines Verwaltungsakts nach § 27a AsylVfG ist nach § 34a AsylVfG die Anordnung der Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat. Asylantragstellern verbliebe dann die Möglichkeit, auch nach Durchführung der Abschiebung aus Deutschland in diesen Staat nach Maßgabe entsprechender nationaler Regelungen weiterhin um Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat nachzusuchen, etwa durch Stellung eines Folgeantrages (vgl. dazu Art. 2 Buchst. q und Art. 40 bis 42 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Asylverfahrensrichtlinie; Umsetzungsfrist bis 20. Juli 2015, vgl. Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie). Hingegen geht mit dem Erlass eines die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG verneinenden Bescheids die in aller Regel unmittelbar den Herkunftsstaat als Zielstaat benennende Androhung der Abschiebung einher (vgl. § 71a Abs. 4 i.V.m. § 34 AsylVfG und § 59 AufenthG; VG Regensburg, U.v. 21.10.2014 - RO 9 K 14.30217).

cc) Ein "Herbeiführen" der Voraussetzungen für eine Umdeutung im gerichtlichen Verfahren scheidet aus. Zwar ist grundsätzlich bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde im Falle eines gebundenen begünstigenden Verwaltungsaktes regelmäßig die dem Rechtsschutzbegehren der Klagepartei allein entsprechende Verpflichtungsklage die richtige Klageart. Das Gericht hat die Sache grundsätzlich spruchreif zu machen und darf sich nicht auf eine Entscheidung über die Aufhebung des den begünstigenden Verwaltungsakt ablehnenden Bescheids beschränken, weil dies im Ergebnis einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde gleichkäme (vgl. BVerwG, U.v. 7.3.1995 - 9 C 264.94 - juris). Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz findet allerdings auf behördliche Entscheidungen, die auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, nach Überzeugung des Gerichts keine Anwendung. Denn ist das Asylbegehren in der Sache - in dem durch § 71a AsylVfG gezogenen Rahmen - noch gar nicht geprüft worden und wäre nunmehr das Gericht verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen, ginge der Klagepartei eine Tatsacheninstanz verloren, die mit den umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattet ist (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris). Das gilt etwa für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG), zur umfassenden Sachaufklärung sowie zur Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Abs. 2 AsylVfG i.V.m. § 87b Abs. 3 VwGO vorgesehen ist. Ungeachtet dessen führte ein Durchentscheiden des Gerichts im Ergebnis dazu, dass das Gericht nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern anstelle der Exekutive erstmalig selbst sich mit dem Antrag sachlich auseinandersetzte und entschiede, was im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) und den klaren Wortlaut des Gesetzes in § 71a Abs. 1 a. E. AsylVfG nicht akzeptabel wäre, da eine Entscheidung, die der Gesetzgeber mit dem Asylverfahrensgesetz der Exekutive zur Prüfung zugewiesen hat, ausschließlich vom Gericht getroffen würde (vgl. zum Vorstehenden VG Regensburg, U.v. 18.7.2013 - RN 5 K 13.30027 - juris).

c) Ist nach dem Vorstehenden eine Umdeutung des streitbefangenen Verwaltungsaktes nicht zulässig, kann der Auffassung der Beklagten nicht gefolgt werden, eine Aufhebung des maßgeblichen Bescheides brächte der Klägerseite keinen rechtlichen Vorteil. Das Rechtsschutzbedürfnis für die erhobene Klage ist gegeben (VG Regensburg, U.v. 21.10.2014 - RO 9 K 14.30217). [...]

Einsender: RA Franz Auer, Regensburg, RBK