VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 08.10.2014 - 1 B 68/14 - asyl.net: M22398
https://www.asyl.net/rsdb/M22398
Leitsatz:

1. Ein Ausländer kann durch die formale Gestaltung eines Gesuchs oder die Beschränkung der zu prüfenden Anspruchsgrundlagen nicht die Prüfung asylrechtserheblicher Umstände durch die Ausländerbehörde erzwingen.

2. Trägt ein Ausländer asylrechtserhebliche Umstände vor, ist allein das BAMF zu deren Prüfung berufen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Asylrelevanz, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylgesuch, zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, Syrien, subsidiärer Schutz, Prüfungsbefugnis, inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, Ausländerbehörde, Dublinverfahren, asylerhebliche Umstände,
Normen: AufenthG § 71 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 71, AsylVfG § 14, AsylVfG § 24 Abs. 2, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, AsylVfG § 13, AsylVfG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Rechtsgrundlage für die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung ist § 81 Abs. 5 AufenthG. Voraussetzung ist u.a., dass eine Fiktionswirkung im Sinne des § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG durch die Beantragung

eines Aufenthaltstitels ausgelöst wurde. Der Antrag des Antragstellers vom 14.05.2014 auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG hat indes keine Fiktionswirkung ausgelöst.

Eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 S.1 AufenthG wurde nicht ausgelöst, da der Antragsteller "lediglich" über ein Schengen-Visum als Aufenthaltstitel verfügte (vgl. § 81 Abs. 4 S. 2 iVm § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).

Auch nach § 81 Abs. 3 AufenthG konnte der Antrag keine Fiktionswirkung auslösen. Schon seinem Wortlaut nach ist § 81 Abs. 3 AufenthG nicht anwendbar, da Voraussetzung ist, dass der Ausländer "sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen". Der Antragsteller verfügte jedoch über einen Aufenthaltstitel in Form des Schengen-Visums (vgl. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 iVm § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Auch für eine entsprechende Anwendung ist kein Raum, da andernfalls der in § 81 Abs. 4 S. 2 AufenthG angeordnete Ausschluss ad absurdum geführt würde.

2. Der Hilfsantrag ist ebenfalls unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch hinsichtlich einer Duldung (§ 60a Abs. 2 iVm § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG) glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2 ZPO).

Ein Anordnungsanspruch scheitert jedoch nicht schon an der Zuständigkeit des Antragsgegners. Für die Prüfung von Abschiebungsverboten ist grundsätzlich die Ausländerbehörde sachlich zuständig (§ 71 Abs. 1 S. 1 AufenthG). Erst die Stellung eines Asylantrages im engeren Sinn (§ 14 AsylVfG) führt nach § 24 Abs. 2 AsylVfG dazu, dass die Zuständigkeit für die Feststellung von Abschiebungsverboten im Sinn des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG auf das BAMF übergeht. Die bloße Stellung eines Asylgesuchs (§ 13 AsylVfG) schließt es nicht grundsätzlich aus, dass die Ausländerbehörde über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen entscheidet (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1998, 264; NVwZ 2006, 830 [831]).

Liegt jedoch ein Asylgesuch im Sinn des § 13 AsylVfG vor, ist die Prüfungsbefugnis der Ausländerbehörde beschränkt. Umstände, die dem Entscheidungsmonopol des BAMF angehören, darf die Ausländerbehörde nicht berücksichtigen. Dies betrifft alle Umstände, die der Sache nach auf Schutz vor politischer Verfolgung oder internationalen Schutz (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylVfG) gerichtet sind. Zielstaatsbezogene Umstände kann der Ausländer daher nur im Asylverfahren vor dem BAMF geltend machen (vgl. BVerwG, NVwZ 2006, 830 [831]). Die Prüfungskompetenz der Ausländerbehörde ist damit auf sog. inlandsbezogen Abschiebungshindernisse beschränkt. Dem Ausländer steht kein Wahlrecht zu, ob die zielstaatsbezogenen Umstände in einem asylrechtlichen oder in einem ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahren geprüft werden (vgl. BVerwG, NVwZ 2006, 830 [831]). Dass der Ausländer explizit keine Prüfung nach den Anspruchsgrundlagen des AsylVfG durch das BAMF will, führt nicht dazu, dass kein Asylgesuch mehr vorliegt. Maßgeblich ist allein, ob das Vorbingen materiell als Asylbegehren iSd § 13 AsylVfG zu qualifizieren ist (BVerwG, NVwZ 2006, 830 [831]).

Der Antragsteller macht als Duldungsgründe allein die Bürgerkriegslage in Syrien geltend, und damit ist sein Begehren materiell auf Gewährung subsidiären Schutzes (vgl. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylVfG) gerichtet. Dies gehört nicht nur zur Prüfungsbefugnis des Antragsgegners als Ausländerbehörde. Sonstige Umstände, aus denen sich ein Duldungsgrund ergeben könnte, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. [...]