Kinder von anerkannten Flüchtlingen, die selbst keinen Flüchtlingsstatus haben, können weder nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG noch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG analog die Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit verlangen.
(Amtlicher Leitsatz)
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Die Kläger haben keinen Einbürgerungsanspruch aus § 10 StAG. Nach § 10 Abs. 1 StAG hat ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, unter den dort genannten Voraussetzungen einen Anspruch auf Einbürgerung. Dazu gehört nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG, dass er seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Von dieser Voraussetzung wird nach § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann.
Ein Grund für die – auch nur vorübergehende – Hinnahme von Mehrstaatigkeit ist nicht gegeben. Unmittelbar auf § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG können sich die Kläger nicht berufen, da sie weder als Flüchtlinge anerkannt sind noch Reiseausweise für Flüchtlinge nach Art. 28 der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) i.V.m. § 1 Abs. 3 AufenthV besitzen.
Aber auch eine analoge Anwendung dieser Regelung auf minderjährige Kinder, deren Eltern als Flüchtlinge anerkannt worden sind (siehe hierzu Berlit, in GK-StAG Rn. 243.1 zu §12 StAG; Hailbronner/Renner/Maaßen, StAG, 5. Aufl., Rn. 46 zu § 12 StAG) scheidet aus. Es fehlt bereits an der Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke. Denn dem Gesetzgeber war das Problem bekannt, dass Kinder von anerkannten Flüchtlingen wegen verspäteter Asylantragstellung nicht den Flüchtlingsstatus im Wege des Familienasyls erlangen konnten. Der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hatte bereits am 13.05.1997 entschieden, dass das Kind eines Asylberechtigten, das in Deutschland vor der Anerkennung geboren worden ist, gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG in der bis 31.10.1997 gültige Fassung (im Folgenden: AsylVfG 1992) Anspruch auf Familienasyl hat, wenn der Familienasylantrag unverzüglich – d.h. in der Regel innerhalb von zwei Wochen – nach der Geburt gestellt worden ist (BVerwG, U. v. 13.05.1997 – 9 C 35/96 – BVerwGE 104, 362-367). § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG 1992 gewährte den im Bundesgebiet geborenen Kindern einen Anspruch auf Familienasyl unabhängig von dem Zeitpunkt ihrer Geburt. § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG 1992 unterschied insbesondere nicht danach, ob die im Bundesgebiet geborenen Kinder vor oder nach der Anerkennung der Eltern auf die Welt gekommen sind. Der Anspruch auf Familienasyl ergab sich vielmehr für die einen wie für die anderen aus § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG 1992. Für nach der Anerkennung der Eltern im Bundesgebiet geborene Kinder sah § 26 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG 1992 lediglich eine besondere Antragsfrist vor; sie mussten ihren Asylantrag innerhalb eines Jahres nach der Geburt stellen. Diese Vorschrift stellte jedoch keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar (BVerwG, U. v. 13.05.1997 – 9 C 35/96 – BVerwGE 104, 362, Rn. 6).
Das bedeutet, dass der Asylantrag für Kinder, die – wie die Kläger – vor der Anerkennung der Eltern im Bundesgebiet geboren wurden, unverzüglich nach der Geburt zu stellen war, da der Einreise ins Bundesgebiet als Bezugspunkt der Unverzüglichkeit der Antragstellung die Geburt im Bundesgebiet entsprach.
Der Gesetzgeber hat mit der ab dem 28.08.2007 geltenden Fassung des § 26 AsylVfG auf die Antragsfrist für im Bundesgebiet geborene Kinder verzichtet. Dabei wurde in den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 16/5065, S. 422) ausgeführt, dass die Regelung, wonach minderjährige ledige Kinder eines Asylberechtigten den Antrag (auf Familienasyl) innerhalb eines Jahres nach der Geburt zu stellen haben, sich in der Rechtspraxis nicht bewährt habe und deshalb aufgehoben werde. Auch wenn der Gesetzgeber die Kinder, die vor Anerkennung eines Elternteils im Bundesgebiet geboren wurden, nicht ausdrücklich in Blick genommen hatte, so zeigt die Entstehungsgeschichte des § 26 AsylVfG doch, dass das Problem der verspäteten Antragsstellung im Rahmen der Gewährung von Familienasyl dem Gesetzgeber spätestens seit 2007 bekannt war.
Aus der Verwaltungsvorschrift des Baden-Württembergischen Ministeriums für Integration zum Staatsangehörigengesetz vom 08.07.2013 (Az. 2-1010.1/1) ergibt sich zudem, dass das Problem der minderjährigen Kinder von Flüchtlingen, die selbst keinen Flüchtlingsstatus erlangt haben, für den Bereich der Einbürgerung bekannt gewesen ist. Denn unter Ziffer 12.1.2.3.2.5 wird dieser Fall dahingehend geregelt, dass minderjährigen Kindern der durch § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG begünstigten Personengruppen die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit in der Regel nicht zugemutet werden kann. Eine entsprechende Regelung findet sich in den Hessischen Verwaltungsvorschriften zum StAG nicht.
Kannte der Gesetzgeber das Problem der Antragsfristversäumung im Rahmen des Familienasyls und regelt eine Verwaltungsvorschrift Die Folgeprobleme für das Einbürgerungsverfahren, so fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hätte ohne weiteres Zeit gehabt, die Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 StAG, die wegen ihres Ausnahmecharakters ohnehin analogiefeindlich ist, für Altfälle anzupassen.
Die Kläger können aber auch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG keine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit verlangen. Eine vom ausländischen Staat gestellte Bedingung ist im Sinne dieser Vorschrift unzumutbar, wenn sie schon abstrakt-generell betrachtet nach den Wertungen der deutschen Rechtsordnung nicht hinnehmbar ist. Nach verbreiteter Ansicht ist sie darüber hinaus unzumutbar, wenn sie sich konkret-individuell betrachtet für den Einbürgerungsbewerber in nicht hinnehmbarer Weise auswirkt (BVerwG, U. v. 21.02.2013 – 5 C 9/12 – BVerwGE 146, 89, Rn. 17). Ob die darüber hinaus erforderliche individuelle Prüfung des Vorliegens besonders schwieriger Bedingungen ebenfalls von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 StAG gefordert wird oder als gesonderter Prüfungsschritt im Rahmen des § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG zu erfolgen hat, kann das Gericht offenlassen. Denn es kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass das nach jemenitischen Recht bestehende Erfordernis der Registrierung der Geburt der Kläger abstrakt oder konkret betrachtet unzumutbar wäre.
Insbesondere führt der Umstand, dass die Eltern der Kläger aufgrund ihres Flüchtlingsstatus nicht in der Lage sind, in ihr Heimatland zurückzukehren, um dort die für die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit erforderliche Registrierung der Kläger vorzunehmen, nicht dazu, dass im konkreten Einzelfall eine unzumutbare oder besonders schwierige Bedingung anzunehmen ist. Denn die Kläger vermögen die erforderliche Registrierung in ihrem Heimatland mit Erlangung der Volljährigkeit selbst nachzuholen.
Dass die Kläger bis zu ihrem 18. Lebensjahr und damit vergleichsweise lange auf die Einbürgerung warten müssen, stellt keine atypische Belastung dar (BVerwG, U. v. 21.02.2013 – 5 C 9/12 – BVerwGE 146, 89 LS 2). Auch können Umstände, die rechtspolitisch eine vorzeitige Einbürgerung erwägenswert erscheinen lassen, wie z.B. die vorangegangene Einbürgerung der Geschwister der Kläger, ihr Aufwachsen in Deutschland und ihre weitgehende Integration ins deutsche Gesellschaftsleben, für die Annahme einer besonderen Belastungssituation nicht ausreichen.
Liegen die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 4 StAG nicht vor, so bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob die Kläger über die erforderlichen Deutschkenntnisse verfügen, was insbesondere beim Kläger zu 1 fraglich erscheint.
Kommt mithin eine Einbürgerung der Kläger nach § 10 StAG unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit nicht in Betracht, so scheidet auch eine Einbürgerung auf der Grundlage des § 8 StAG aus. Nach dieser Vorschrift kann im Einzelfall aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte von den Voraussetzungen in § 8 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 StAG abgesehen werden.
Eine besondere Härte im Sinn des § 8 Abs. 2 StAG liegt nicht vor. Der Begriff der "besonderen Härte" muss im Lichte des einbürgerungsrechtlichen Verfahrens betrachtet werden, denn sie soll durch die Einbürgerung vermieden werden. Eine solche Härte muss durch atypische Umstände des Einzelfalles bedingt sein und gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen werden und deshalb durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (BVerwG, U. v. 20.03.2012 – 5 C 5.11 – BVerwGE 142, 145). Als Beispiel für einen Härtefall, der durch diese Ausnahmeregelung vermieden werden kann und soll, führt der Gesetzgeber die Konstellation an, dass etwa die ausländische Ehefrau aufgrund einer zur Durchführung eines Entlassungsverfahrens erteilten Einbürgerungszusicherung aus ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit ausgeschieden ist, nun aber ihrer Einbürgerung mangelnde Unterhaltsfähigkeit entgegensteht und sie dadurch staatenlos geworden ist (BT-Drs. 15/420, S. 116). Dieser Beispielsfall zeigt zum einen, dass der Gesetzgeber für die Annahme einer "besonderen Härte" mehr verlangt, als dass Gründe vorliegen, die einer Einbürgerung zwar grundsätzlich entgegenstehen, von denen jedoch unter bestimmten Umständen – wie etwa im Falle der nicht zu vertretenden Inanspruchnahme von Sozialleistungen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG) – abgesehen werden kann. Zum anderen verdeutlicht er die Zielrichtung der Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 StAG: Sie soll es ermöglichen, solchen Härten zu begegnen, die gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen werden bzw. durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend abgemildert würden (vgl. BVerwG, U. v. 20.03.2012, a.a.O.; HessVGH, B. v. 21.10.2008 - 5 A 1820/08.Z -; VGH BW, U. v. 06.11.2013 - 1 S 244/13 -; VGH BW., U. v. 06.05.2009 - 13 S 2428/08 -; OVG BB, B. v. 11.06.2009 - OVG 5 M 30.08 -; SaarlOVG, B. v. 10.06.2010 - 1 A 88/10 -; alle in juris). Daran gemessen sind hier keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Versagung der Ermessenseinbürgerung die Kläger gegenüber anderen Einbürgerungsbewerbern in vergleichbarer Lage besonders hart trifft. Es wird nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich, dass die Versagung der Einbürgerung negative Auswirkungen auf die familiären Lebensverhältnisse der Kläger hätte. [...]