VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Beschluss vom 14.10.2014 - 6 L 2474/14.GI.A - asyl.net: M22338
https://www.asyl.net/rsdb/M22338
Leitsatz:

Wird für eine Klage gegen die Ablehnung eines Asylantrags nach der Dublin III-Verordnung die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt, so beginnt der Lauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist mit dem ablehnenden gerichtlichen Beschluss im Eilverfahren.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, Fristbeginn, Hemmung der Frist, Überstellungsfrist, Rechtsmittel, Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Suspensiveffekt, aufschiebende Wirkung, Unterbrechung, Unterbrechung der Frist,
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 2 S. 2, VwGO § 80 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

Es liegen keine gegenüber der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Beschlusses des erkennenden Gerichts vom 29.04.2014 veränderten oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachten Umstände vor (vgl. zu diesem Maßstab: Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 80 Rdnr. 196), die zu einer Stattgabe bezüglich der Begehren des Antragstellers führen könnten. Insoweit beruft sich der Antragsteller zu Unrecht unter Bezugnahme auf den zur Verordnung 343/2003/EG (Dublin-II-VO) ergangenen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vorn 08.09.2014 (Az. 13 A 1347/14.A, juris) auf einen Ablauf der sechsmonatigen Frist für eine Überstellung des Antragstellers nach Italien. Vielmehr ist diese Frist nach der vorliegend anzuwendenden Verordnung 604/2013/EU im Falle des Antragstellers noch nicht abgelaufen, da für deren Beginn der Beschluss des erkennenden Gerichts vom 29.04.1014 in dem Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage maßgeblich ist.

Gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin-III-VO beginnt die sechsmonatige Überstellungsfrist nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahnmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gem. Art. 27 Abs. 3 aufschiebende Wirkung hat. Ferner sehen nach Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c Dublin-III-VO die Mitgliedsstaaten vor, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat, bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Üherstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen. Dabei sorgen die Mitgliedsstaaten für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist. In der Bundesrepublik Deutschland ist seit Inkrafttreten des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG eine Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zulässig. Dementsprechend führt auch erst der Wegfall dieser aufschiebenden Wirkung durch einen den Eilantrag ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO zum Beginn der Frist des Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO (vgl. dazu VG Dresden, Beschluss vom 19.08.20,14. Az.: A 2 L 681/14; VG Cottbus, Beschluss vom 14.08.2014, Az.: 5 231/14; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 19.09.2014, Az.: 6 L 586/14.A; jeweils juris; Funke/Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 227).

Allein ein solches Verständnis der maßgeblichen Vorschriften der Dublin-III-VO wird deren Zweck gerecht, einerseits effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, andererseits aber auch den Gerichten den nötigen Zeitaufwand für eine Prüfung des Rechtsschutzbegehrens zu gewähren; denn ohne die Berücksichtigung des Zeitablaufs eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO auch bei einer ablehnenden Entscheidung des Gerichts könnte die Überstellungsfrist ablaufen, ohne dass eine Überstellung des Betroffenen jemals rechtlich möglich gewesen wäre (siehe VG Dresden, Beschluss vom 13.08.2014; VG Cottbus, Beschluss vom 14.08.2014; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 19.09.2014; jeweils a.a.O.; vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014, Az.: A 11 S 1285/14, juris, der allerdings keine Unterbrechung, sondern lediglich eine Hemmung der ursprünglich durch die Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs in Lauf gesetzten Überstellungsfrist durch das Eilverfahren annimmt). Hervorzuheben ist dabei, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur der sechsmonatigen Überstellungsfrist in Art. 20 Dublin-II-VO (Urteil vom 29.01.2009 - Petrosian - NVwZ 2006, 639) angesichts des Ziels, dass die Mitgliedstaaten über eine Frist von sechs Monaten verfügen sollen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung nutzen sollen, die Frist für die Durchführung der Überstellung erst zu laufen beginnen kann, wenn grundsätzlich vereinbart und sichergestellt ist, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen wird, und wenn lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben. Letzteres wäre nicht gewährleistet, wenn ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, dem Kraft Gesetzes (§ 34a Abs. 2 AsylVfG) aufschiebende Wirkung zukommt, im Falle einer ablehnenden Entscheidung des Gerichts auf den Ablauf der Überstellungsfrist ohne Einfluss wäre. [...]