Das für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG normierte Erfordernis, über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache zu verfügen, ist mit Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vereinbar.
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
Das Erfordernis der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG ist mit Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen der früheren EWG und der Türkei (Zusatzprotokoll) vereinbar.
§ 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls enthält eine sogenannte Stillhalteklausel, nach der die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen werden. Nach dem Urteil des EUGH vom 10. Juli 2014 (C 138/13) steht Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, wonach Ehegatten von in einem Mitgliedsstaat wohnenden türkischen Staatsangehörigen, wenn sie zum Zwecke der Familienzusammenführung in das Hoheitsgebiet dieses Staates einreisen wollen, vor der Einreise nachweisen müssen, dass sie einfache Kenntnisse der Amtssprache dieses Mitgliedsstaat erworben haben. Nach Auffassung des EUGH stellt eine Regelung, die eine Familienzusammenführung erschwert, indem sie die Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme der Ehegatten türkischer Staatsangehöriger im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats im Vergleich zu denjenigen verschärft, die galten, als das Zusatzprotokoll in Kraft trat, eine neue Beschränkung für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch türkische Staatsangehörige i. S. v. Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls dar. Diese Entscheidung des EUGH ist auf den vorliegenden Fall nicht zu übertragen.
Die Stillhalteklausel des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls verleiht einem türkischen Staatsangehörigen kein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Sie verbietet nur (neue) Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrsb (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 – 1 C 8/09 –, Juris Rd-Nr. 19).
Das Spracherfordernis des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenhtG stellt aber keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit i. S. d. Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls dar, denn dadurch wird das Recht, in jedem Ort in einem Mitgliedsstaat der EU Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, nicht tangiert. Der Entscheidung des EuGH vom 10. Juli 2014 ist schon nicht zu entnehmen, dass sprachliche Voraussetzungen für die Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels unzulässig wären, wenn der Ehegatte des türkischen Staatsangehörigen bereits ins Bundesgebiet eingereist ist und die Familienzusammenführung somit schon erfolgt ist. Erst recht unbedenklich ist das Spracherfordernis, wenn es – wie hier – um die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, also um einen unbefristeten Aufenthaltstitel geht.
Die Klägerin verfügt seit mehr als zwanzig Jahren über ein Aufenthaltsrecht in Deutschland. Ihr Aufenthalt ist – sofern keine wesentliche Änderung in ihren persönlichen Verhältnissen eintritt – auch in Zukunft rechtlich nicht gefährdet. Die Nichterfüllung der sprachlichen Integrationsvoraussetzungen führt lediglich dazu, dass ihr eine Niederlassungserlaubnis nicht erteilt wird. Damit wird ihr Aufenthalt in Deutschland und die Familienzusammenführung mit ihrem in Deutschland lebenden türkischen Ehemann – anders als in dem vom EUGH entschiedenen Fall – in keiner Weise erschwert. [...]