VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 31.07.2014 - 8 K 20031/13 Me - asyl.net: M22187
https://www.asyl.net/rsdb/M22187
Leitsatz:

Bei der gerichtlichen Prüfung, ob der Betroffene nach der Konversion in Afghanistan verfolgt wird, kommt es nicht entscheidungserheblich auf das theologische Wissen des Betroffenen, sondern auf die religiöse Prägung und seine bisherige Glaubenspraxis, seine Glaubensidentität an, um daraus eine Prognose für sein Verhalten im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland zu treffen.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Afghanistan, Konvertiten, Nachfluchtgründe, Nachfluchtgrund, Glaubenswechsel, Konversion, Christen, Taufe, theologisches Wissen, Glaubensüberzeugung,
Normen: AsylVfG § 3,
Auszüge:

[...]

Soweit als Nachfluchtgrund ein Glaubenswechsel geltend gemacht wird, muss der Kläger die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden können, dass die Konversion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswechsel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht (vgl. OVG NRW, B. v 30.07.2009 - 5 A 1999/07.A -, juris). Nur dann ist davon auszugehen, dass der Kläger durch seine neue Religion anhaltend geprägt ist, diese auch im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland beibehalten und weiter ausüben wird. Eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung liegt nämlich nur dann vor, wenn im Hinblick auf dessen persönliche Umstände anzunehmen ist, dass er auch nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Dies wird dabei umso mehr der Fall sein, als ihm diese religiösen Betätigungen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sind (vgl. EuGH, U. v. 05.09.2012, a.a.O.).

Im Rahmen der Prüfung geht es dabei allerdings weniger um die Frage, ob der Kläger tatsächlich Christ geworden ist, weil dies bereits durch die Taufe belegt wird. Die Prüfung, ob der Ausländer die Voraussetzungen für die Taufe erfüllt, stellt einen innerkirchlichen Vorgang dar, der allenfalls bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen Missbrauch gerichtlich zu untersuchen sein wird. Auch kommt es nicht entscheidungserheblich auf das theologische Wissen des Klägers an, da auch dies nicht den Christen ausmacht und keine Aussagekraft dazu hat, wie der Kläger seinen Glauben tatsächlich ausübt. Entscheidend sind vielmehr die religiöse Prägung des Klägers und seine bisherige Glaubenspraxis, mithin seine Glaubensidentität. Hieraus lässt sich eine Prognose für das Verhalten des Klägers im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland treffen. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, U. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 -).

Nach Überzeugung des Gerichts steht fest, dass sich der Kläger vom muslimischen Glauben abgewandt und dem christlichen Glauben ernsthaft und mit innerer Überzeugung zugewandt hat. Dies ergibt sich zum einen aus den im Verfahren vorgelegten Dokumenten und zum anderen aus seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung.

Bereits in den Behördenakten befindet sich eine Bestätigung des Pfarrers ... vom 13.12.2013, in dem dieser ausführt, dass der Kläger regelmäßig in der Bibel lese und immer mit Fragen zu ihm komme, die er sich dazu notiert hätte. Er sei dankbar für alles, was er über den christlichen Glauben habe lernen können. Er erweitere ständig sein Wissen und seine Erfahrungen und könne auch anderen mit ihren Glaubensfragen zur Verfügung stehen. Er arbeite in den Gottesdiensten bei Lesungen und Gebeten mit. Sein Glaube sei für ihn zu einer tragenden Kraft geworden. Auch in der Gemeinschaftsunterkunft suche er Kontakt zu Gemeinden und Pfarrern. Er habe unterstützt, dass sich in seinem Haus ein kleiner Bibelkreis treffen könne. Er nehme auch regelmäßig an einem in den Seminarräumen der Kirche stattfindenden Treffen von Christen aus dem persischen Sprachraum teil. Weiterhin hat der Kläger durch Vorlage seiner Taufurkunde belegt, dass er am 11.09.2011 in der Evangelischen Kirche ... getauft und damit ein Mitglied der christlichen Gemeinschaft geworden ist. Auch aus den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung zeigt sich, dass seine Konversion auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruht. So hat er überzeugend dargelegt, aus welchen Gründen er zum christlichen Glauben konvertiert ist. Er berichtet, dass er regelmäßig am Gemeindeleben teilnehme, die Gottesdienste besuche und häufig an Veranstaltungen in der Gemeinde in teilnehme z.B. an einem Sing-und Bibelkreis. Dies wird auch bestätigt durch die von ihm vorgelegten Fotos, die ihn u.a. bei seiner Taufe, bei Treffen in der Gemeinde, bei einer Lesung, mehreren Konfirmationsfeiern in der Gemeinde und Gottesdienstes in den Jahren 2012 bis 2014 zeigen. Pfarrer ... ergänzt in der mündlichen Verhandlung seinen schriftlichen Vortrag dahingehend, dass der Kläger vor kurzem in einem Camp vor 2000 Menschen von seinem Glauben berichtet habe.

Das Gericht ist aufgrund dessen auch davon überzeugt, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner inneren Glaubenseinstellung am christlichen Glauben festhalten würde. Er würde seinen Glauben nicht verleugnen oder diesen wieder ganz abzulegen, um zumindest den Anschein eines gläubigen Moslems zu erwecken. Für den Kläger gehört es zu seiner neuen Religion und deren Regeln, zu Gottesdiensten zu gehen und mit anderen Gläubigen zusammen zu beten.

Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen zur Lage in Afghanistan besteht für den Kläger bei einer Rückkehr und einem Bekanntwerden seiner Konversion in Afghanistan eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass er wegen des Abfalls vom islamischen Glauben abschiebungsschutzrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt ist, die der Regierung Afghanistans zumindest zuzurechnen wären.

Der Islam ist in Afghanistan nach Art. 2 der neuen afghanischen Verfassung die Staatsreligion. Die in der Verfassung verankerte Religionsfreiheit gilt ausdrücklich nur für die Anhänger anderer Religionen als des Islam. Demnach besteht Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionswahl beinhaltet, für Muslime nicht. Die Konversion wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, das mit der Todesstrafe sanktioniert wird. Zur tatsächlichen Situation von Konvertiten und deren Zahl in Afghanistan ist kaum etwas bekannt, da sie ihr Bekenntnis meist geheim halten. Es gibt für sie keine offene Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens. Selbst zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen Nichtregierungsorganisationen abgehalten werden, erscheinen sie nicht. Nach einer Sendung im privaten Fernsehen über Christen im Jahre 2010 verlangte der stellvertretende Generalsekretär des Parlaments eine öffentliche Hinrichtung der Konvertiten. Im Oktober 2010 wurde in Mazar-i-Scharif ein Afghane verhaftet, weil er ein Neues Testament an einen Muslimen weitergegeben hatte (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan vom 10.01.2012)

Entdeckten Konvertierten droht in Afghanistan die Ermordung sogar durch Angehörige der eigenen Familie, des eigenen Clans und durch Angehörige extremistischer islamistischer Gruppen. Sofern die Abkehr eines Muslimen von seinem bisherigen Glauben den Behörden bekannt wird, drohen dem Betroffenen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit Verhaftung, Misshandlung oder extralegale Hinrichtung und förmliche Verurteilung zum Tod (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte: "Situation christlicher Konvertierten in Afghanistan vom 27.02.2008"). [...]