VG Würzburg

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Zitieren als:
VG Würzburg, Urteil vom 28.07.2014 - W 7 K 14.482 - asyl.net: M22184
https://www.asyl.net/rsdb/M22184
Leitsatz:

Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) ist im Hinblick auf ihre Verfassungsfeindlichkeit weiterhin als inhomogen anzusehen. Bei der Prüfung, ob die Mitgliedschaft einbürgerungsschädlich ist, ist auf ein glaubhaftes Bekenntnis zum einbürgerungsrechtlich unbedenklichen Reformflügel innerhalb der IGMG abzustellen. Das bloße Bekenntnis, ein religiöser, im Übrigen aber unpolitischer Mensch zu sein, reicht hierfür noch nicht aus.

Schlagwörter: IGMG, Islamische Gemeinschaft Milli Görüs, Milli Görüs, Verfassungsfeindliche Bestrebungen, Verfassungsschutz, Einbürgerung, Erbakan, Einbürgerungszusicherung, freiheitliche demokratische Grundordnung,
Normen: StAG § 11 S. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

2.5

Da sich die IGMG im Hinblick auf ihre Verfassungsfeindlichkeit weiterhin als inhomogen erweist, hängt die Frage, ob die Mitgliedschaft des Klägers seine Einbürgerung nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ausschließt, davon ab, welcher Richtung der IGMG sich der Kläger zurechnen lassen muss.

Aufgrund des Eindrucks, den die Kammer in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnen hat, ist sie davon überzeugt, dass dieser derjenigen Strömung innerhalb der IGMG angehört, die ausschließlich religiöse und damit einbürgerungsunschädliche Ziele verfolgt.

2.5.1

Der Kläger ist bereits im Alter von sechs Jahren, d.h. im Jahr 1990, Mitglied des ... Moschee-Vereins geworden, welcher der IGMG angehört. Dabei kann ihm seine Mitgliedschaft im Kindesalter nicht im Rahmen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG einbürgerungshindernd vorgehalten werden. Jedoch ist der Kläger wohl jedenfalls mit Erreichen der Volljährigkeit, also etwa ab dem Jahr 2003, als (aktives) Mitglied anzusehen. Seit 2008 ist er aufgrund seines Engagements im Rahmen der Kurban-Spendenkampagne auch Mitglied des Dachverbandes der IGMG. Auch wenn viel dafür spricht, dass der Kläger bereits zu einem Zeitpunkt bewusst der IGMG angehörte, als diese noch als homogen verfassungsfeindliche Organisation zu beurteilen war (vgl. BVerwG, U.v. 2.12.2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 28.3.2012 - 5 B 11.404 - juris Rn. 30 ff.; OVG Berlin-Bbg, U.v. 10.2.2011 - OVG 5 B 6.07 - juris; VGH BW, U.v. 11.6.2008 - 5 C 24.08 - juris; jeweils m.w.N.), kann diese Frage hier letztlich offen bleiben. Denn der Kläger erfüllt die insoweit strengeren Voraussetzungen bezüglich des Tatbestandsmerkmals der glaubhaften Abwendung von Bestrebungen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, welches zur Anwendung kommt, wenn der Ausländer der Organisation auch schon zu einem Zeitpunkt angehörte bzw. sie unterstützte, als sie bezogen auf die fehlende Akzeptanz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in ihrer Zielrichtung noch als eine einheitliche Bewegung anzusehen war. Erforderlich und ausreichend für den Wegfall des Ausschlusses nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist danach, dass der Einbürgerungsbewerber glaubhaft macht, für die einbürgerungsunschädlichen Reformbestrebungen einzutreten (BVerwG, U.v. 2.12.2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 20).

Der Kläger hat nach Überzeugung der Kammer glaubhaft gemacht, für die einbürgerungsunschädlichen Reformbestrebungen innerhalb der IGMG einzutreten.

2.5.2

Abwenden i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG a.E. verlangt dabei mehr als ein bloß äußeres zeitweiliges oder situationsbedingtes Unterlassen und setzt einen individuellen oder mitgetragenen kollektiven Lernprozess voraus, aufgrund dessen angenommen werden kann, dass mit hinreichender Gewissheit zukünftig die Verfolgung oder Unterstützung inkriminierter Bestrebungen - auch in Ansehung der durch die Einbürgerung erworbenen Rechtsposition - auszuschließen ist (BayVGH, B.v. 28.3.2012 - 5 B 11.404 - juris Rn. 37). Allerdings erfordert eine Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang weder ein "Abschwören" noch zwingend einen Austritt aus der IGMG. Hinreichend ist vielmehr bereits ein glaubhaftes Bekenntnis zu einem etwaigen einbürgerungsrechtlich unbedenklichen Reformflügel innerhalb der IGMG. Das bloße Bekenntnis, ein religiöser, im Übrigen aber unpolitischer Mensch zu sein, reicht hierfür noch nicht aus (OVG Berlin-Bbg, U.v. 10.2.2011 - OVG 5 B 6.07 - juris Rn. 32).

2.5.3

Der Kläger hat sowohl in den sicherheitsrechtlichen Befragungen durch die Beklagte als auch in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, in die ... IGMG-Moschee durch seinen Vater hineingewachsen zu sein. Dementsprechend findet sich ein großer Teil seines sozialen Umfelds in dieser Moschee-Gemeinde. Er hat überzeugend dargelegt, dass er die IGMG-Moschee in erster Linie besucht, um seinen religiösen Verpflichtungen nachzukommen. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass der Kläger auch in weitere - nicht der IGMG zugehörige - Moscheen geht und für ihn die Möglichkeit des Gebets, nicht eine (politische) Ideologie der IGMG im Vordergrund steht. Seine Mitarbeit an der Kurban-Spendenkampagne in den Jahren 2008 und 2009 sowie die damit verbundenen Auslandsreisen in den Kosovo hat er ebenfalls überzeugend aus seinem religiösen Selbstverständnis begründet. Als junges Mitglied seiner Gemeinde und aufgrund seiner Englischkenntnisse habe er sich verpflichtet gefühlt, für die Gemeinschaft insoweit tätig zu sein. Hierdurch ist auch seine Mitgliedschaft im Dachverband der IGMG zu erklären, die nämlich Voraussetzung für die Begleitung der Kurban-Spendenkampagne war. Seine darüber hinaus andauernde Mitgliedschaft im Dachverband hat er damit begründet, dass dieser seine Moschee in ... im Falle finanzieller Notsituationen unterstützen würde. Aus diesem Grunde leiste er auch weiterhin monatliche Mitgliedsbeiträge in Höhe von ca. 10,00 EUR. Der Kläger hat im Verwaltungs- und Klageverfahren keinerlei Erklärungen abgegeben, die ihn in die Nähe der politischen, konservativen, an den Vorstellungen Erbakans und der Saadet Partisi anknüpfenden Ausrichtung der IGMG rücken. So geht auch das Bayerische Staatsministerium des Innern in seiner Stellungnahme vom 31. Januar 2013 davon aus, dass der Kläger selbst keine verfassungsfeindlichen Ambitionen verfolgt und das Gebet für ihn vorrangig ist.

Der Kläger hat sich eindeutig zu den Werten des Grundgesetzes und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung positioniert. So hat er sich in der mündlichen Verhandlung aufgrund seiner Persönlichkeit und seines Werdegangs als hoch integriert erwiesen. Befragt nach seiner dem Einbürgerungswunsch zugrundeliegenden Motivation gab er glaubhaft an, dass die Erlangung des Wahlrechts und die Möglichkeit der Mitbestimmung in einem demokratischen Staat für ihn maßgeblich seien. Grundrechte, wie vor allem das Recht auf Leben, die Religionsfreiheit und die Meinungsfreiheit hätten für ihn einen besonders hohen Stellenwert. Zwar achte er die Regeln des Islam, dies aber nur insoweit, als sie mit den Gesetzen der Bundesrepublik nicht in Konflikt gerieten. Körperliche Strafen nach der Scharia hat er ausdrücklich abgelehnt.

Der Kläger räumte ein, den Namen Erbakan zu kennen und auch von bestimmten Zielen der IGMG, wie der Abschaffung des laizistischen türkischen Staats, und der Beobachtung der IGMG durch den Verfassungsschutz gehört, sich aber nicht näher damit befasst zu haben. Auch sei früher in der Schweinfurter IGMG-Moschee zeitweise Literatur mit verfassungsfeindlichen Inhalten ausgelegt worden. Dies sei aber mittlerweile nicht mehr der Fall, es würden auch entsprechende Kontrollen der dort bereitgestellten Literatur durchgeführt. Der Kläger versicherte überzeugend, dass er, falls er entsprechende Literatur finden würde, diese entfernen ließe.

Schließlich engagiert er sich in der Hausaufgabenbetreuung durch die IGMG-Gemeinde. Diese diene dazu, vor allem türkischstämmigen Kindern und Jugendlichen eine (höhere) Schulbildung und damit bessere Integrationschancen zu ermöglichen. Der Kläger ist hierzu nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Ausbildung (Abitur) besonders qualifiziert. In diesem Rahmen engagiert er sich auch als Mentor von Jugendlichen, berät sie in schulischen, beruflichen und allgemeinen Lebensfragen. Der Kläger brachte zum Ausdruck, dass er hierbei versucht, seine eigene Haltung, die religiösen Pflichten mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Einklang zu bringen, weiterzugeben. Er sieht dabei die Moschee-Gemeinde vor allem auch als Stütze, um zu verhindern, dass Jugendliche in die Kriminalität abdriften.

Die Identifikation des Klägers mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, sein eigener persönlicher Werdegang und sein konkretes Engagement in der IGMG zeigen klar, dass er die politische und ideologische Ausrichtung Erbakans und der Milli Görüs Bewegung ablehnt und der einbürgerungsunschädlichen Reformrichtung innerhalb der IGMG zuzuordnen ist. Er ist als Kind in die IGMG hineingewachsen, ohne in näheren Kontakt mit deren politischer Zielsetzung zu gelangen. Die ... IGMG-Moschee stellte vielmehr für ihn von Anfang an seinen religiösen und sozialen Bezugspunkt dar. Darüber hinaus setzt er sich aktiv für die Integration der Gemeindemitglieder ein. Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung bemerkenswert offen gezeigt, seine Angaben waren in sich stimmig, nachvollziehbar und glaubhaft. Damit kann zur Überzeugung der Kammer mit hinreichender Gewissheit angenommen werden, dass hinsichtlich des Klägers auch zukünftig die Verfolgung oder Unterstützung von Bestrebungen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG - auch in Ansehung der durch die Einbürgerung erworbenen Rechtsposition - auszuschließen ist. [...]