VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Gerichtsbescheid vom 20.08.2014 - 1 K 537/14.KS.A - asyl.net: M22177
https://www.asyl.net/rsdb/M22177
Leitsatz:

Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG - hier für einen in Italien als Flüchtling anerkannten Antragsteller - ist, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann, wobei es unerheblich ist, ob ihr zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse entgegenstehen. Hat das Bundesamt es unterlassen, bei der zuständigen Kontaktstellte in Italien wegen der beabsichtigte Abschiebung anzufragen, ist diese Voraussetzung nicht erfüllt.

Schlagwörter: Dublinverfahren, systemische Mängel, Italien, Flüchtlingsanerkennung, sichere Drittstaaten, normative Vergewisserung, Abschiebung, Durchführbarkeit, Abschiebungsanordnung, Zurückschiebung, zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis,
Normen: AsylVfG § 26a, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Die Klage ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nur teilweise begründet.

Nach der Sach- und Rechtslage, wie sie sich zu dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) darstellt, ist die mit dem angegriffenen Bescheid unter Ziffer 1 getroffene Feststellung, wonach dem Kläger kein Asylrecht zustehe, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Folglich kann der Kläger hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt sein (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 26a AsylVfG kann sich ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist, nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen, was bedeutet, dass der betroffene Ausländer bei einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat aus dem persönlichen Geltungsbereich des Asylgrundrechts ausgeschlossen wird. Zugleich kommt damit grundsätzlich auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder die Gewährung subsidiären Schutzes nach näherer Bestimmung des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht in Betracht, soweit eine Berücksichtigung von Abschiebungsschutz gebietenden Umständen innerhalb des sogenannten Konzepts der normativen Vergewisserung stattgefunden hat (vgl. dazu und insbesondere auch zu außerhalb dieses Konzepts liegenden Umständen BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, Juris).

Vorliegend ist der Kläger von Italien aus nach Deutschland eingereist, wo er ein Asylverfahren durchlaufen hat, das mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgeschlossen worden ist. Dies ergibt sich aus einer dem Bundesamt übermittelten Bescheinigung des Ministero dell'Interno in Rom vom 17. Februar 2014, die sich bei dem Verwaltungsvorgang befindet (vgl. dort Blatt 62). Bei Italien handelt es sich um einen sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 2 AsylVfG, so dass die Zuerkennung einer materiellen Rechtsposition, deren Prüfung (und gegebenenfalls Gewährung) im Regelfall an das Stellen eines Asylantrages anknüpft, hier von vornherein ausgeschlossen ist.

Im vorliegenden Fall stellt sich auch weder die Frage nach etwaigen systemischen Fehlern des Asylverfahrens in Italien noch nach dem eventuellen Vorliegen von Umständen, die nicht vom Konzept der normativen Vergewisserung umfasst sind und die nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Rücküberstellungsfällen in Ausführung des Dublin II-Abkommens regelmäßig eine Rolle spielen (vgl. dazu etwa VG Regensburg, Beschluss vom 18. Juni 2012 - RN 9 E 12.30187 -, VG Ansbach, Beschluss vom 21. September 2011 - AN 11 S 11.30425 - und VG Düsseldorf, Beschluss vom 12. September 2011 - 6 L 866/11.A -, jeweils Juris). Die hier in Rede stehende Problematik ist für den vorliegenden Fall letztlich deshalb nicht entscheidend, weil dem Kläger durch den der Europäischen Union zugehörigen Staat Italien bereits Flüchtlingsschutz zuerkannt wurde. Der Kläger hat somit schon in Italien Schutz vor den ihm in seinem Heimatland Eritrea (angeblich) drohenden Gefahren erlangt und allein deshalb keinen Anspruch darauf, dass ihm Schutz vor diesen Gefahren (zusätzlich) auch noch in der Bundesrepublik Deutschland zugesprochen wird (vgl. dazu auch Urteil der Kammer vom 8. Mai 2014 - 1 K 838/13.KS.A -, nicht veröffentlicht).

Die Aufhebung von Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides kann der Kläger folglich nicht beanspruchen. Aus vorstehend erläuterten Gründen kann auch dem weitergehenden Begehren des Klägers, die Beklagte zur Prüfung seines Schutzersuchens nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-VO) zu verpflichten, kein Erfolg beschieden sein.

Die Klage ist jedoch begründet, soweit hiermit die Aufhebung von Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides erstrebt wird, mit der die Abschiebung des Klägers nach Italien angeordnet worden ist. Die Abschiebungsandrohung vermag einer rechtlichen Überprüfung im Klageverfahren nicht standzuhalten und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). An der insoweit gegenteiligen Auffassung, die der ablehnenden Entscheidung im vorangegangenen Eilverfahren zugrunde liegt, hält der Einzelrichter nach nochmaliger Befassung mit der Streitsache nicht länger fest.

Das Bundesamt hat die hier in Frage stehende Anordnung auf § 34a Abs. 1Satz 1 AsylVfG gestützt. Danach ordnet das Bundesamt dann, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es insoweit nicht (§ 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG).

Zwar stellt § 34a Abs. 1 AsylVfG für die vorliegend streitbefangene Anordnung der Abschiebung nach Italien damit grundsätzlich eine tragfähige Rechtsgrundlage zur Verfügung. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Abschiebungsanordnung nach vorgenannter Bestimmung - anders als die Abschiebungsandrohung gem. § 34 AsylVfG - tatbestandsmäßig voraussetzt, dass die Abschiebung in den Drittstaat durchgeführt werden kann. Folglich dürfen der Abschiebung keine zu berücksichtigenden Gründe entgegenstehen, wobei es hierfür unerheblich ist, ob es sich um zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse handelt (vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 22. August 1986 - BVerwG 1 C 34.83 -, Juris; BVerfG, Urteil vom 14. März 1996, a.a.O.).

Als Festsetzung eines Zwangsmittels darf die Abschiebungsanordnung folglich erst dann ergehen, wenn alle Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Abschiebung nach §§ 26a i.V.m. 34a AsylVfG erfüllt sind. Im Rahmen der Prüfung des Merkmals "sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann" hat das Bundesamt auch die Übernahmebereitschaft des Drittstaates festzustellen und hierbei insbesondere die Frage zu klären, ob eine Rückführung in allernächster Zeit möglich sein wird (vgl. dazu VG Ansbach, Urteil vom 6. Juli 2012 -AN 3 K 12.30111 -).

Dieser Frage ist das Bundesamt offensichtlich nach Erhalt der Mitteilung des Ministero dell`Interno in Rom vom 17. Februar 2014, wonach der Kläger in Italien bereits als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht weiter nachgegangen, obgleich hierzu nach vorstehend erläuterten Grundsätzen Anlass bestanden hätte.

Im angefochtenen Bescheid findet sich keinerlei Hinweis darauf, dass Italien einer etwaigen Überstellung des Klägers positiv gegenübersteht oder insoweit sogar vorab seine Zustimmung erklärt hätte. Entsprechendes kann auch aus dem Verwaltungsvorgang nicht entnommen werden. Ein in diese Richtung gehender Erklärungsgehalt kann insbesondere auch der dabei befindlichen - einzigen - offiziellen Stellungnahme italienischer Stellen in Form des dem Bundesamt übermittelten Antwortschreibens des Ministero dell'Interno nicht beigemessen werden. Hiermit haben die italienischen Behörden das Bundesamt nach Hinweis auf die bereits erfolgte Flüchtlingsanerkennung des Klägers darauf verwiesen, dass das Asylverfahren des Klägers in Italien damit abgeschlossen sei und der Fall angesichts der dargestellten Sachlage nicht mehr in die Kompetenz der angeschriebenen Behörde falle. Für den Fall einer beabsichtigten späteren Abschiebung des Klägers nach Italien sei eine vorherige Kontaktaufnahme mit den zuständigen italienischen Kontaktstellen erforderlich, die an eine von zwei abschließend in dem Schreiben aufgeführten Fax-Nummern zu richten sei. Dass im Hinblick darauf eine Kontaktaufnahme erfolgt, ein formelles Übernahmeersuchen an die betreffende Stelle gerichtet und ein solches Ersuchen durch italienische Stellen akzeptiert worden wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Damit ist zumindest gegenwärtig nicht geklärt, ob der Kläger tatsächlich nach Italien abgeschoben werden kann (ebenso für einen vergleichbaren Sachverhalt bereits VG Kassel, Urteil vom 26. September 2012 - 1 K 562/12.KS.A -, bestätigt durch Hess. VGH, Beschluss vom 16. Juli 2013 - 10 A 2158/12.Z.A -, beide nicht veröffentlicht).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der vorliegend streitbefangene Bescheid vom 28. Februar 2014 mit Abschluss des vorangegangenen Eilverfahrens mit für den Kläger negativem Ausgang - und damit über eine Zeitspanne von mehreren Monaten - vollziehbar war, ohne dass vorgetragen oder sonst ersichtlich ist, dass im Hinblick auf eine etwaige Abschiebung des Klägers nach Italien weitergehende Schritte unternommen worden wären. Das spricht ebenfalls dafür, dass die Abschiebung nicht durchgeführt werden kann. [...]