1. Die Art. 4 Abs. 1 und 7 Abs. 1 Richtlinie 2011/51/EU sind dahin auszulegen, dass ein Familienangehöriger des bereits langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie nicht von der Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie befreit werden kann, wonach sich der Drittstaatsangehörige zur Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgehalten haben muss.
2. Art. 13 Richtlinie 2011/51 ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht gestattet, einem Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie eine langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU unter günstigeren Voraussetzungen als denen der Richtlinie auszustellen.
[...]
Zur ersten Frage:
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 dahin auszulegen ist, dass ein Familienangehöriger des bereits langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie von der Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie befreit werden kann, wonach sich der Drittstaatsangehörige zur Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgehalten haben muss.
Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass in der mit der Richtlinie 2003/109 geschaffenen Regelung klar festgelegt ist, dass die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nach dieser Richtlinie einem besonderen Verfahren unterliegt und außerdem von der Erfüllung der in Kapitel II der Richtlinie angegebenen Voraussetzungen abhängt (Urteil Kamberaj, C-571/10, EU:C:2012:233, Rn. 66).
So hat der Gerichtshof ausgeführt, dass nach Art. 4 der Richtlinie 2003/109 die Mitgliedstaaten die Erteilung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen vorbehalten, die sich unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben. Art. 5 dieser Richtlinie verlangt für die Zuerkennung dieser Rechtsstellung den Nachweis, dass der Drittstaatsangehörige, der diese Rechtsstellung beantragt, über ausreichende Einkünfte sowie eine Krankenversicherung verfügt. Art. 7 der Richtlinie schließlich legt die für die Erlangung dieser Rechtsstellung geltenden verfahrensrechtlichen Voraussetzungen fest (Urteil Kamberaj, EU:C:2012:233, Rn. 67).
Nichts im Wortlaut dieses Art. 7 oder irgendeiner anderen Vorschrift der Richtlinie 2003/109 lässt aber die Annahme zu, dass ein Familienangehöriger im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie für die Erlangung der von dieser Richtlinie vorgesehenen Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten von der Voraussetzung des ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats während der letzten fünf Jahre vor der Stellung des entsprechenden Antrags befreit werden könnte.
Aus einer Zusammenschau der Art. 4 und 7 im Licht des sechsten Erwägungsgrundes der Richtlinie 2003/109 ergibt sich im Gegenteil, dass diese Aufenthaltsvoraussetzung eine unabdingbare Voraussetzung für die Erteilung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten ist.
Zum einen ist nämlich darauf hinzuweisen, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/109 eine ausdrückliche Verweisung auf die in ihren Art. 4 und 5 aufgezählten Voraussetzungen enthält. Daher sind dem vom Drittstaatsangehörigen bei den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats gestellten Antrag Unterlagen beizufügen, aus denen hervorgeht, dass er diese Voraussetzungen und damit insbesondere die Aufenthaltsvoraussetzung erfüllt. Zum anderen sollte nach dem sechsten Erwägungsgrund dieser Richtlinie die Dauer des Aufenthalts im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats das Hauptkriterium für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sein. In diesem Erwägungsgrund heißt es weiter, dass der Aufenthalt rechtmäßig und ununterbrochen sein sollte, um die Verwurzelung der Person im Land zu belegen.
So hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass namentlich aus den Erwägungsgründen 4 und 6 der Richtlinie 2003/109 hervorgeht, dass deren vorrangiges Ziel die Integration von Drittstaatsangehörigen ist, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Singh, C-502/10, EU:C:2012:636, Rn. 45).
Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass es, wie sich aus Art. 4 Abs. 1 und dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/109 ergibt, die Dauer des ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts von fünf Jahren ist, die belegt, dass die betreffende Person im Land verwurzelt und damit langfristig ansässig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Singh, EU:C:2012:636, Rn. 46).
Folglich ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 vorgesehene Voraussetzung des ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats während der letzten fünf Jahre vor der Stellung des entsprechenden Antrags eine unabdingbare Voraussetzung für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nach dieser Richtlinie ist, so dass ein Drittstaatsangehöriger einen Antrag nach Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie zwecks der Erlangung dieser Rechtsstellung nur dann stellen kann, wenn er selbst persönlich diese Voraussetzung erfüllt.
Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof unterbreiteten Akte hervor, dass sich die Klägerin des Ausgangsverfahrens im Zeitpunkt der Stellung ihres Antrags auf Ausstellung einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung – EU weniger als zwei Jahre lang im italienischen Hoheitsgebiet aufgehalten hatte. Daher ist nicht ersichtlich, dass sie die Voraussetzung des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 erfüllte, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Im Übrigen enthält diese Richtlinie zwar Vorschriften zum Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen im Sinne ihres Art. 2 Buchst. e. Diese Vorschriften stellen jedoch auf den Sonderfall der Familienangehörigen eines Drittstaatsangehörigen ab, der die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem ersten Mitgliedstaat hat und sein Aufenthaltsrecht in einem zweiten Mitgliedstaat ausübt. Somit legt Art. 16 der Richtlinie 2003/109 das Recht und die Voraussetzungen dafür fest, dass die besagten Angehörigen den in diesem zweiten Mitgliedstaat Aufenthaltsberechtigten begleiten oder ihm nachreisen können.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 4 Abs. 1 und 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 dahin auszulegen sind, dass ein Familienangehöriger des bereits langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie nicht von der Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie befreit werden kann, wonach sich der Drittstaatsangehörige zur Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgehalten haben muss.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 13 der Richtlinie 2003/109 dahin auszulegen ist, dass er einem Mitgliedstaat gestattet, einem Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie eine langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU unter günstigeren Voraussetzungen als denjenigen der Richtlinie auszustellen.
Hierzu ist vorab festzustellen, dass die Möglichkeit eines solchen Drittstaatsangehörigen, einen Aufenthaltstitel ausgestellt zu bekommen, ohne die in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehene Voraussetzung des ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat zu erfüllen, unter die in Art. 13 der Richtlinie 2003/109 vorgesehene Möglichkeit fallen kann, die es den Mitgliedstaaten gestattet, dauerhafte oder unbefristete Aufenthaltstitel unter günstigeren Voraussetzungen als denjenigen dieser Richtlinie auszustellen.
Ausweislich des 17. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2003/109 fördert die Harmonisierung der Bedingungen für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang heißt es an gleicher Stelle, dass dauerhafte oder unbefristete Aufenthaltstitel, für deren Erteilung günstigere als die in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen gelten, nicht das Recht auf Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten begründen.
Somit lässt Art. 13 der Richtlinie 2003/109 den Mitgliedstaaten zwar die oben erwähnte Möglichkeit, doch kann es sich dabei nach dem eindeutigen Wortlaut des zweiten Satzes dieser Vorschrift nur um "Aufenthaltstitel" handeln, die "nicht das Recht auf Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten gemäß Kapitel III [dieser Richtlinie] [begründen]".
Wie sich insbesondere aus Art. 2 Buchst. b in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 ergibt, verleiht eine langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ihrem Inhaber grundsätzlich das Recht, sich länger als drei Monate im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten als desjenigen, der ihm die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat, aufzuhalten.
Folglich kann es sich bei einem Aufenthaltstitel, der einem Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109 von einem Mitgliedstaat nach Art. 13 dieser Richtlinie unter günstigeren Voraussetzungen als denen des Unionsrechts ausgestellt würde, in keinem Fall um eine langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU im Sinne der genannten Richtlinie handeln. [...]