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VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 03.06.2014 - 10 C 13.696 - asyl.net: M21996
https://www.asyl.net/rsdb/M21996
Leitsatz:

Eine Regelung, die eine Duldung (weiter) einschränkt (hier weitere Aufenthaltsbeschränkung), muss aufenthaltsrechtlichen Zwecken dienen und in diesem Sinne sachgereicht sein, also nicht im Widerspruch zum Zweck der Duldung stehen und die verfassungsrechtlichen Vorgaben wahren, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn sie in erster Linie Sanktionscharakter hat und sich vornehmlich als schikanös darstellt.

Schlagwörter: Prozesskostenhilfe, räumliche Beschränkung, Landkreis, Duldung, Sanktion, Sanktionscharakter, sachgerecht, schikanös, Auflage,
Normen: AufenthG § 61 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2,
Auszüge:

[...]

Die Klage des Klägers ist als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO statthaft.

Sein Antrag ist nämlich nicht wie vom Erstgericht angenommen auf Anfechtung der Nebenbestimmung zur Duldung des Klägers vom 11. Januar 2012 gerichtet mit der Folge, dass sich die Klage mit dem zeitlichen Ablauf dieser Duldung am 11. April 2012 erledigt hat und die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig wäre. Denn bei der Beschränkung des Aufenthalts des Klägers im Zusammenhang mit einer Duldung handelt es sich um eine selbständig anfechtbare Auflage, die erstmals der mit Bescheid vom 16. Dezember 2009 erteilten Duldung des Klägers als Nr. 3 des Bescheids beigefügt war. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger zwar Klage erhoben, jedoch nur gegen dessen Nr. 1 (Verbot der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) und Nr. 2 (Gewährung von Duldungen jeweils für einen Monat), nicht aber gegen Nr. 3, die noch weitere Bedingungen und Auflagen enthielt. Nachdem die Nr. 3 des Bescheids vom 16. Dezember 2009 aber nicht angefochten worden ist, ist sie bestandskräftig geworden.

Der Kläger hat zwar mit der gleichzeitig mit dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe erhobenen Klage beantragt: "Die Aufenthaltsbegrenzung zur Duldung vom 11. Januar 2012 wird aufgehoben". In seiner Klagebegründung, in der er darauf verwiesen hat, dass die Beklagte dem Kläger derzeit jeweils Duldungen mit der Nebenbestimmung: "Der Aufenthalt ist beschränkt auf: Stadt- und Landkreis C." erteile, die Beschränkung des Aufenthalts rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze, verweist der Kläger aber ausdrücklich darauf, dass aus seinem Vorbringen die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage folge. Dies trifft auch zu, denn in Fällen, in denen eine selbständig anfechtbare Auflage bestandskräftig geworden ist, kann der Betroffene eine Klage auf Aufhebung der bestandskräftigen Aufenthaltsbeschränkung erheben, die entweder auf eine Rücknahme der (bestandskräftigen) Auflage gerichtet ist oder auf eine Abänderung für die Zukunft (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2005 – 10 ZB 04.3454 – juris Rn. 4; B.v. 23.8.2007 – 24 ZB 05.1403 – juris Rn. 18, 20). Der Kläger konnte demgemäß, weil die streitgegenständliche Auflage gemäß § 51 Abs. 6 AufenthG auch nach Wegfall der ihm erstmals erteilten und mit dieser Auflage versehenen Duldung in Kraft geblieben ist, Klage auf Verpflichtung der Beklagten erheben, diese Auflage für die Zukunft – so wohl das Begehren des Klägers – aufzuheben. Diese Auslegung entspricht auch den der Klageerhebung vorausgehenden Anträgen des Klägers vom 17. März 2011 und 9. November 2011, mit denen der Kläger beantragt hat, "dass ich mich frei in Bayern bewegen kann" bzw. "beantrage ich meine Bewegungsfreiheit aufs Land Bayern zu erweitern".

Die Klage ist auch ansonsten zulässig. Die Beklagte hat die Anträge des Klägers (wohl) mit Schreiben vom 21. März 2011 bzw. 10. November 2011 abgelehnt, ohne den Schreiben eine Rechtsbehelfsbelehrung beizufügen. Damit konnte er innerhalb der Jahresfrist des § 74 Abs. 2 i.V. mit § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO Verpflichtungsklage erheben. Sieht man in den Schreiben der Beklagten demgegenüber keine Entscheidung über die Anträge des Klägers, wäre die Verpflichtungsklage dennoch als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat die Verpflichtungsklage des Klägers auch Aussicht auf Erfolg, denn es spricht vieles dafür, dass die Beklagte die den Duldungen des Klägers bisher beigefügte Auflage mit der Beschränkung seines Aufenthalts auf die Stadt und den Landkreis C. aufheben muss, weil der Kläger einen Anspruch auf Streichung dieser Auflage hat.

Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt. Damit ist gesetzlich festgelegt, dass sich der Kläger als vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer nur im Bereich des Landes Bayern aufhalten darf. Nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG können die Ausländerbehörden aber weitere Bedingungen und Auflagen anordnen. Von dieser Befugnis hat die Beklagte dadurch Gebrauch gemacht, dass sie in der Nr. 3b des Bescheids vom 16. Dezember 2009 den Aufenthalt des Klägers räumlich auf die Stadt und den Landkreis C. beschränkt hat. Eine solche Regelung, die eine Duldung (noch weiter) einschränkt, muss im Einzelfall ihre Rechtfertigung in dem Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden. Sie muss aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen und in diesem Sinne sachgerecht sein, also nicht im Widerspruch zum Zweck der Duldung stehen und die verfassungsrechtlichen Vorgaben wahren, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn sie in erster Linie Sanktionscharakter hat und sich vornehmlich als schikanös darstellt. Diese, die frühere Rechtslage betreffende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, ist im Grundsatz nach wie vor gültig (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2006 a.a.O., Rn. 40). Die Ausländerbehörde hat eine Ermessensentscheidung zu treffen und die öffentlichen und privaten Interessen unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten angemessen abzuwägen. Dabei muss sie auch würdigen, welche Zeitspanne der Ausländer den Beschränkungen bereits ausgesetzt ist. Je länger die Beschränkungen dauern, ohne dass sich eine Beendigung des Abschiebungshindernisses abzeichnet, umso eher wird sich ihre weitere Aufrechterhaltung als unangemessen erweisen (vgl. BVerwG, B.v. 28.12.1990 – 1 B 14/90 – juris Rn. 10).

Ausgehend davon bestehen zumindest erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Beschränkung zum hier maßgeblichen Zeitpunkt. Die Ausländerbehörde hat die vorgenommene Beschränkung im Bescheid vom 16. Dezember 2009 damit begründet, dass zum einen der Ausländerbehörde die baldige Beschaffung von Heimreisepapieren für den Kläger ermöglicht werden solle und sie zudem auch kurzfristig Maßnahmen nach § 49 oder § 82 Abs. 4 AufenthG gewährleisten solle. Da der Kläger ohnehin vollziehbar ausreisepflichtig sei, bestünden keine privaten Interessen an einer ungehinderten Reisetätigkeit im Bundesgebiet. Im Übrigen sei sein Aufenthalt auch während des Asylverfahrens lediglich auf den Bereich eines Landkreises beschränkt gewesen. Es könne nicht angehen, dass jemand durch rechtswidriges Verhalten (gemeint ist die fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisepapieren bzw. eines Nationalpasses bzw. bei der [Wieder-]Einbürgerung) weitergehende Rechte ableiten kann.

Diese Begründung vermag die seit nunmehr viereinhalb Jahren dauernde Beschränkung des Aufenthalts des Klägers zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl nicht mehr zu tragen. Denn weder sind aus den vorgelegten Akten Maßnahmen der Ausländerbehörde ersichtlich, die auf eine baldige Beschaffung von Heimreisepapieren für den Kläger hinweisen. Die Ausländerbehörde hat, soweit ersichtlich, in den letzten Jahren keine beachtlichen Aktivitäten unternommen, um Heimreisepapiere für den Kläger zu beschaffen. Auch erschließt sich dem Senat nicht, welche kurzfristigen Maßnahmen nach § 49 oder § 82 Abs. 4 AufenthG nicht gewährleistet wären, wenn der Kläger, der ohnehin seinen Wohnsitz im Bereich der Beklagten hat, das Stadtgebiet oder den Landkreis kurzfristig verlässt, um in Bayern unterwegs zu sein. Ein Aufenthalt außerhalb Bayerns ist ihm bereits nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht gestattet, so dass eine "ungehinderte Reisetätigkeit im Bundesgebiet" ohnehin nicht ohne Genehmigung nach § 61 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stattfinden kann. Es ist auch nicht ersichtlich, warum eine Beschränkung des Aufenthalts des Klägers auf das genannte Gebiet noch geeignet bzw. erforderlich sein soll, die Beschaffung von Heimreisepapieren zu beschleunigen oder effektiver zu gestalten. Der Kläger war offensichtlich stets für die Behörde erreichbar, nie untergetaucht und auch ansonsten sind keine Verstöße gegen behördliche Auflagen aus den Akten ersichtlich. Damit sind aufenthaltsrechtliche Gründe, welche zwingend einen Daueraufenthalt im genannten Gebiet erfordern, nicht erkennbar. Aber auch die aus anderen Schriftstücken ersichtliche Auffassung der Beklagten, eine weitere Integration des Klägers sei dann zu befürchten, wenn er sich in ganz Bayern und nicht nur im Bereich von Stadt und Landkreis C. aufhalte, teilt der Senat nicht. Denn es ist nicht erkennbar, wieso eine Integration des Klägers in der Stadt und im Landkreis C. nicht erfolgen könne, sondern nur dann, wenn er sich im gesamten Freistaat Bayern aufhalte. [...]