OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 26.05.2014 - 2 B 226/14 (= ASYLMAGAZIN 7-8/2014, S. 269 ff.) - asyl.net: M21987
https://www.asyl.net/rsdb/M21987
Leitsatz:

Eine Ausländerin, die jahrelang illegal in Deutschland bei ihrer Familie lebte und nunmehr hier einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet hat, kann auf die Nachholung des Visumsverfahrens auch dann verwiesen werden, wenn beide zwar derzeit von öffentlichen Leistungen leben, aber alles dafür spricht, dass im Bundesgebiet lebende Familienangehörige ihr die fehlenden finanziellen Mittel zur Verfügung stellen würden.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: deutscher Ehegatte, Visumsverfahren, illegaler Aufenthalt, Sozialleistungen, Sozialhilfebezug, Vorabzustimmung, Familienangehörige, Türkei, türkische Staatsangehörige, freiwillige Ausreise, Regelvoraussetzung, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Nachholung des Visumsverfahrens,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2 2. Alt., AufenthG § 11, AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1,
Auszüge:

[...]

Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor: Ihre Abschiebung sei gemäß § 60 a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Außerdem sei ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen und deshalb könne sie die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen. Sie habe in Deutschland einen Deutschen geheiratet. Unstreitig habe sie sich bis zur Erteilung der Duldung illegal in Deutschland aufgehalten. Die Duldung sei zwar nicht erteilt worden, damit sie heiraten könne, dies sei aber in Kauf genommen worden. Da sie und ihr Ehemann zurzeit von staatlicher Hilfe lebten, sei klar, dass sie wirtschaftlich lediglich das tägliche Leben und den täglichen Bedarf sicherstellen könnten. Für Reisen und Ähnliches reiche diese staatliche Alimentierung nicht. Es sei insofern nicht nachvollziehbar, dass das Gericht nicht darüber "diskutiere", dass aus tatsächlichen Gründen eine Ausreise bereits unmöglich sei. Zwar halte das Gericht fest, dass die Nachholung des Visumsverfahrens für sie, die Antragstellerin, mit Kosten verbunden sei, es werde aber vorgetragen, dass dies zu den normalen Risiken einer Einreise ohne das erforderliche Visum gehöre. Dabei verkenne es völlig, dass die Einreise ohne Visum damals nicht zum Zwecke der Heirat erfolgt sei, sondern zum Zwecke des Zusammenlebens mit der Familie, wobei klar gewesen sei, dass sie, wenn sie erwischt würde, mit einer Abschiebung rechnen könne. Soweit das Gericht darauf verweise, dass sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen könne, nicht über die nötigen finanziellen Mittel für die Reisekosten zu verfügen, und auf die Unterstützung durch ihren deutschen Ehemann sowie die im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen verweise, sei dies beinahe "zynisch", wenn es wisse, dass der Ehemann zum jetzigen Zeitpunkt nur Leistungen durch das Jobcenter erhalte. Allen Beteiligten dürfte klar sein, dass wenn sie in der Türkei einen Visumsantrag stellte, dieser positiv beschieden werden müsse, damit die eheliche Gemeinschaft mit ihrem deutschen Ehemann in Deutschland wiederhergestellt werden und sie dauerhaft hier bleiben könne. Es sei auch klar, dass ihr Hauptschulabschluss nachweise, dass sie der deutschen Sprache mächtig sei und die deutsche Kultur kenne. Dass sie selbst sofort Arbeit aufnehmen und damit ihren Lebensunterhalt sichern könne, habe sie durch ein zu den Akten gereichtes Schreiben nachgewiesen. Es sei deshalb behördliche Willkür, von einem Menschen nur wegen des Bestehens einer "Paragraphen-Kette" zu verlangen, dass er sich auf eine Reise in ein Land begebe, in dem er keine Bezugspersonen und keinerlei Möglichkeit des Broterwerbs habe, und diesen Menschen dazu zu verpflichten, dort bei der deutschen Botschaft einen Visumsantrag zu stellen, was wiederum mit Kosten verbunden sei, um dann auf eigene Kosten wieder nach positiver Bescheidung zurückreisen zu können. Der Antragsgegner wisse, dass sie für dieses Verfahren kein Geld habe. Der Verweis darauf, dass Dritte diese Kosten übernehmen könnten, sei rechtlich nicht relevant, weil der Ehemann, der hierzu verpflichtet sein könnte, amtsbekannt ohne Habe sei und "die Familie" keinerlei Verpflichtung habe, ihr hierfür Geld zu geben. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts stellten die Visumsvorschriften keine Strafvorschriften dar und dienten nicht dazu, falsches Verhalten zu sanktionieren, sondern seien geschaffen worden, um eine Zuwanderung zu steuern. Sie, die Antragstellerin, dürfe nicht dafür bestraft werden, dass sie früher einmal illegal eingereist sei. Kein einziges die Sicherheit des Staates oder die allgemeine Ordnung o.ä. betreffendes Kriterium begründe eine Ausreisepflicht einer Person, die, wie alle Beteiligten wüssten, eigentlich ein Bleiberecht habe.

Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO die gerichtliche Prüfung durch den Senat begrenzende Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine von der erstinstanzlichen Entscheidung abweichende Beurteilung ihres Rechtsschutzbegehrens. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO glaubhaft gemacht.

Nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und ihm keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Voraussetzungen sind im Falle der Antragstellerin nicht erfüllt. Wie das Verwaltungsgericht bereits eingehend und zutreffend dargelegt hat, steht der Antragstellerin entgegen ihrer Meinung derzeit - noch – kein Anspruch auf Erteilung einer ehebedingten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz zu. Denn die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz voraus, dass der Ausländer mit einem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumsantrag gemacht hat. Da die Antragstellerin 2002 mit einem Besuchsvisum eingereist ist und sich in der Folge weiter illegal im Bundesgebiet aufgehalten hat, erfüllt sie diese Regelvoraussetzung offensichtlich nicht. Zwar kann von dieser Voraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. Aufenthaltsgesetz abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis(vgl. zum Begriff etwa BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 – 1 C 17/09 -, juris, zu § 39 Nr. 3 AufenthV) erfüllt sind. Einen solchen kraft Gesetzes entstehenden Rechtsanspruch hat die Antragstellerin, die durch ihren Aufenthalt ohne Aufenthaltstitel und ohne Pass in Deutschland gegen die Strafvorschriften des § 95 Aufenthaltsgesetz verstoßen und damit einen Ausweisungsgrund im Sinne des § 55 Abs. 2 Nummer 2 Aufenthaltsgesetz erfüllt hat, durch ihre Eheschließung mit Blick auf den Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz jedoch nicht erwerben können; denn bei Vorliegen eines Ausweisungsgrunds ist über einen Aufenthaltstitel nach behördlichem Ermessen zu entscheiden(vgl. GK-AufenthG, § 5 RN 54).

Entgegen der Meinung der Antragstellerin liegen auch die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. Aufenthaltsgesetz nicht vor, denn vorliegend ist nicht ersichtlich, dass ihr wegen besonderer Umstände des Einzelfalls die - mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbare (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4.12.2007- 2 BvR 2341/06 -, InfAuslR 2008, 239) - Nachholung des Visumsverfahrens unzumutbar wäre. Die Antragstellerin beruft sich im Wesentlichen darauf, dass ihr die finanziellen Mittel für die Nachholung des Visumsverfahrens fehlten. Zwar ist aktenkundig, dass sie und ihr Ehemann von öffentlichen Leistungen leben und diese sicherlich keine größeren Aufwendungen zulassen. Damit steht jedoch keineswegs fest, dass sie sich die erforderlichen finanziellen Mittel nicht beschaffen könnte. Zunächst ist zu sehen, dass angesichts der Tatsache, dass sich der Antragsgegner in seinem Schreiben vom 19.12.2013 zur Abgabe einer Vorabzustimmung im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz bereit erklärt hat und damit offensichtlich auch das Vorliegen eines Ausweisungsgrunds unter Verhältnismäßigkeitsaspekten in ihrem Fall zutreffend nicht als Hindernis für eine Aufenthaltserlaubniserteilung ansieht, lediglich mit einer kurzen Dauer des Visumsverfahrens zu rechnen ist, so dass sich die entstehenden notwendigen Kosten - Fahrt-, Unterkunfts- und Verwaltungskosten - in einem überschaubaren Rahmen halten lassen. Dass die Antragstellerin ersichtlich zudem in einen funktionierenden Familienverband eingebunden ist, belegt schon die Tatsache, dass dieser für ihren Lebensunterhalt von Januar 2002 bis September 2013 - nach Aktenlage datiert ihr Antrag auf Gewährung öffentlicher Leistungen vom 18.9.2013 – aufgekommen ist. Auch wenn es die Antragstellerin auf den entsprechenden Hinweis des Verwaltungsgerichts abgelehnt hat, Näheres zu ihrer Familie ("wer immer das sein mag") mitzuteilen, kann daher davon ausgegangen werden, dass diese bereit und in der Lage ist, ihr die erforderlichen finanziellen Mittel zur Nachholung des Visumsverfahrens zur Verfügung zu stellen, zumal die Antragstellerin Aussicht auf eine Stelle als Hauswirtschafterin hat und nach Rückkehr aus der Türkei aus eigenem Einkommen ein entsprechendes Darlehen zurückzahlen könnte, wobei sie ihr Ehemann, sobald auch er wieder über ein Arbeitseinkommen erzielt, unterstützen könnte. Dass bei dieser Sachlage weder die Nachholung des Visumsverfahrens als unzumutbar, noch die freiwillige Ausreise – zur Vermeidung einer Abschiebung mit den entsprechenden (auch Kosten-) Folgen nach § 11 Aufenthaltsgesetz – als tatsächlich unmöglich angesehen werden kann, liegt daher auf der Hand.

Soweit die Antragstellerin schließlich die Nachholung des Visumsverfahrens als Strafmaßnahme für ihren illegalen Aufenthalt in Deutschland ansieht, verkennt sie, dass die Durchführung eines Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz eine Regelvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels darstellt und die Antragstellerin insoweit durch die verlangte Nachholung für ihr illegales Vorverhalten nicht bestraft, sondern lediglich nicht belohnt wird. [...]