LSG Niedersachsen-Bremen

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Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 - L 8 SO 129/14 B ER - asyl.net: M21986
https://www.asyl.net/rsdb/M21986
Leitsatz:

1. § 21 S 1 SGB 12 stellt zur Abgrenzung der Hilfesysteme nach dem SGB 2 und dem SGB 12 ("dem Grunde nach leistungsberechtigt" nach dem SGB 2) nicht allein auf das Kriterium der Erwerbsfähigkeit (§ 8 SGB 2) ab, sondern auf die Einbeziehung des Hilfesuchenden in den persönlichen Anwendungsbereich des SGB 2. Dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB 2 iS des § 21 S 1 SGB 12 ist ein Hilfesuchender, wenn die Leistungsvoraussetzungen nach §§ 7 ff SGB 2 erfüllt sind und auch sonst kein Leistungsausschluss nach dem SGB 2 vorliegt.

2. Die Leistungsausschlüsse nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12 ("Einreise zum Zweck des Sozialhilfebezugs", "Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsuche") sind auf Ausländer, die sich auf den Gleichbehandlungsanspruch aus Art 1 EFA berufen können, nicht anwendbar. Maßgeblich ist allein die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Ausländers in Deutschland.

3. Zur Beiladung und Verpflichtung von Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB 2 in sozialhilferechtlichen Gerichtsverfahren, die die Frage von Leistungsausschlüssen nach dem SGB 2 und dem SGB 12, insbesondere den Ausschluss Unionsangehöriger vom Arbeitslosengeld II gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB 2, betreffen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Sozialleistungen, Europäisches Fürsorgeabkommen, erwerbsfähig, Leistungsberechtigung, Unionsbürger, SGB II, SGB XII, freizügigkeitsberechtigt, Leistungsausschluss, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche, Gleichbehandlungsgebot, Gleichheitsgrundsatz, Diskriminierungsverbot, Inländergleichbehandlung,
Normen: EFA Art. 1, SGB XII § 21 S. 1, SGB II § 7 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Maßgaben haben die Antragsteller einen Anordnungsanspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII i.V.m. Art. 1 EFA sowie einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Dem geltend gemachten Sozialhilfeanspruch steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen. Danach erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Dem Rechtsstandpunkt des SG ist insoweit zuzustimmen, dass damit im Grundsatz erwerbsfähige Hilfesuchende und nicht erwerbsfähige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft i.S.d. § 7 Abs. 3 SGB II - wie hier auch die Antragsteller - dem Leistungssystem des SGB II zugewiesen sind, ohne dass daneben ein Anspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII besteht. Nach Auffassung des Senats stellt die Formulierung in § 21 Satz 1 SGB XII "dem Grunde nach leistungsberechtigt" nach dem SGB II zur Abgrenzung der Hilfesysteme des SGB II und des SGB XII aber nicht unmittelbar und auch nicht allein auf das Kriterium der Erwerbsfähigkeit ab, so dass es hier nicht maßgeblich darauf ankommt, ob die Antragstellerin zu 1 erwerbsfähig i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB II ist, sondern vielmehr ob sie als freizügigkeitsberechtigte Unionsangehörige von einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffen ist (dazu gleich).

Das Tatbestandsmerkmal "dem Grunde nach leistungsberechtigt" nach dem SGB II i.S.d. § 21 Satz 1 SGB II grenzt nur allgemein die Leistungssysteme nach dem SGB II und dem SGB XII nach dem Kriterium der Erwerbsfähigkeit ab. Die konkrete Auslegung der Norm orientiert sich danach, ob der Hilfesuchende in den persönlichen Anwendungsbereich des SGB II einbezogen ist, weil er die Leistungsvoraussetzungen nach §§ 7 ff. SGB II erfüllt und auch sonst kein Leistungsausschluss nach dem SGB II vorliegt. Der Senat schließt sich insoweit der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juli 2012 - L 9 AS 563/12 B ER - juris Rn. 59; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. November 2006 - L 20 B 248/06 AS ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Juni 2007 - L 9 B 80/07 AS ER -; Sächsisches LSG, Beschluss vom 4. Januar 2011 - L 7 SO 28/10 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juni 2012 - L 14 AS 933/12 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. November 2012 - L 19 AS 1917/12 B ER - juris Rn. 28; LSG Hamburg, Beschluss vom 14. Januar 2013 - L 4 AS 332/12 B ER - juris Rn. 9; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. November 2013 - L 19 AS 578/13 B ER - juris Rn. 15; Eicher in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 21 Rn. 35; Coseriu in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 Rn. 35; Greiser in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Anhang zu § 23 - Die Sozialhilfe als Gegenstand des Europäischen Rechts Rn. 97 f.; Grube in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 21 Rn. 5; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 23 Rn. 27a; Schumacher in: Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand: Oktober 2013, § 21 SGB XII Rn. 17b; Peters in: Estelmann, SGB II, Stand: Februar 2014, § 7 Rn. 17; Classen in: Berlit/Conradis/Sartorius (Hrsg.), Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl. 2013, Kapitel 34, S. 730, Rn. 53; wohl auch Hahn/Knickrehm in: Eicher, SGB II, § 5 Rn. 17; Groth in: BeckOK SGB XII § 21 Rn. 3; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 - L 15 AS 365/13 B ER - juris Rn. 65; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. August 2013 - L 13 AS 203/13 B ER - juris Rn. 18; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juni 2012 - L 20 AS 1322/12 B ER - juris Rn. 43; Adolph in: Adolph, SGB II/SGB XII, Stand: März 2014, § 21 SGB XII Rn. 12; Thie in: LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 21 Rn. 5; wohl auch Hohm in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 21 Rn. 9) an, nach der von dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II betroffene Personen nicht "dem Grunde nach leistungsberechtigt" nach dem SGB II sind.

Für ein solches Verständnis spricht zunächst der Wortlaut des § 21 Satz 1 SGB II. Die Formulierung "dem Grunde nach leistungsberechtigt" nach dem SGB II stellt nicht ausdrücklich auf die Erwerbsfähigkeit i.S.d. § 8 SGB II als übergeordnetes Abgrenzungskriterium der Leistungssysteme des SGB II und des SGB XII ab. Nach dem allgemeinen und auch juristischen Sprachgebrauch der Begriffe "dem Grunde nach" und "der Höhe nach" leistungsberechtigt (vgl. hierzu auch Eicher in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 21 Rn. 26) ist ersterer grundsätzlich so zu verstehen, dass der persönliche und sachliche Anwendungsbereich eines Gesetzes eröffnet sein muss, also sowohl die positiven Leistungsvoraussetzungen vorliegen als auch die negativen (z.B. Leistungsausschluss) nicht gegeben sind, ohne dass hierdurch eine Aussage über einen Anspruch auf Leistungen "der Höhe nach" getroffen ist (auf den "Zahlungsanspruch" stellt allerdings die Parallelvorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII ab, vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II).

Sprachlich lässt sich der Norm ein weitergehendes Verständnis, nach dem individuelle, in der Person liegende Versagensgründe nach dem SGB II gleichwohl die Leistungsberechtigung "dem Grunde nach" unberührt lassen, nicht entnehmen (anders bei der Abgrenzung des SGB II zum System der Ausbildungsförderung nach § 7 Abs. 5 SGB II, der auf die "dem Grunde nach" förderungsfähige Ausbildung - nicht Person - abstellt, vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22. August 2012 - B 14 AS 197/11 R - juris Rn. 14). Ein solches Verständnis kann allenfalls aus den Gesetzesmaterialien zum Erlass des SGB XII hergeleitet werden, nach denen § 21 Satz 1 SGB II zur Vermeidung von Schnittstellen "an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren im Zweiten Buch näher bezeichneten Angehörigen" anknüpft (BT-Drs. 15/1514, S. 59 zu § 21). Die daraus ersichtliche Funktion als Abgrenzungsnorm der Leistungssysteme des SGB II und des SGB XII (vgl. hierzu Eicher in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2014, § 21 Rn. 10 ff.) führt aber nicht dazu, dass die einfachgesetzliche Auslegung der Norm - losgelöst vom Wortlaut - allein zu einer ausschließlichen Zuordnung von erwerbsfähigen Personen und nicht erwerbsfähigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II) zum Leistungssystem des SGB II führt, ohne dass es bei der maßgeblichen Frage der Leistungsberechtigung dem Grunde nach auf evtl. vorliegende Leistungsausschlüsse nach dem SGB II ankäme. Hierfür besteht schon unter systematischen Gesichtspunkten kein Anlass. Das SGB II und das SGB XII sind nebeneinander stehende Existenzsicherungssysteme, die sich grundsätzlich gegenseitig ausschließen (Eicher in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 21 Rn. 15 m.w.N.). Greift ein Leistungsausschluss nach dem SGB II und ist damit grundsätzlich ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen denkbar, enthält das SGB XII selbst Ausschlussnormen, die teilweise sogar mit denen nach dem SGB II inhaltlich übereinstimmen und insoweit einen systemübergreifenden Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII bezwecken. Nur so - mit Blick auf erwerbsfähige Ausländer - ergibt etwa der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative SGB XII, der ebenso wie § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitssuche abstellt, grundsätzlich Sinn. Die "Anwendungssperre" für das SGB II aufgrund eines Leistungsausschlusses (so Eicher in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2014, § 21 Rn. 34) enthält also noch keine Aussage darüber, ob dem Betroffenen ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII zustehen könnte.

Auch Sinn und Zweck des § 21 Satz 1 SGB XII bestätigen dieses Normverständnis. Die Vorschrift soll verhindern, dass das SGB XII quasi als subsidiäres Leistungssystem bei Kürzungen oder Einstellungen von Leistungen nach dem SGB II zur Anwendung kommt und so derartige Leistungseinschränkungen nach dem SGB II faktisch wieder aufgehoben werden (so schon LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. November 2006 - L 20 B 248/06 AS ER - juris Rn. 26; vgl. auch Eicher in: juris-PK SGB XII, 2. Aufl. 2011, § 21 Rn. 41). Nicht das Kriterium der Erwerbsfähigkeit i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB II sondern ein grundsätzlich möglicher Anspruch nach dem SGB II ist also für die Systemabgrenzung und damit für die Auslegung des Begriffs "dem Grunde nach leistungsberechtigt" nach dem SGB II ausschlaggebend.

Nach diesen Maßgaben ist entscheidend, ob die Antragstellerin zu 1 als italienische Staatsangehörige, die sich - soweit ersichtlich - allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhält, und ihre im gleichen Haushalt lebenden Kinder, die Antragsteller zu 2 bis 5, von einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffen sind. Die Frage des Ausschlusses von EU-Ausländern von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten (vgl. etwa die Übersicht über neueste Entscheidungen zum Leistungsausschluss von Kador/Greiser, ZFSH SGB 2014, S. 152-157) und Gegenstand von EuGH-Vorlagen des BSG (Beschluss vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 9/13 R - juris) und des SG Leipzig (Beschluss vom 3. Juni 2013 - S 17 AS 2198/12 - juris; Az. des EuGH: C-333/13 - Dano - vgl. jüngst die Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Rechtssache, Pressemitteilung Nr. 74/14 des EuGH vom 20. Mai 2014).

Der ausschließlich für Angelegenheiten des Sozialhilfe- und Asylbewerberleistungsrechts zuständige Senat muss diese Frage im vorliegenden Verfahren nicht abschließend beantworten. In Gerichtsverfahren, in denen die hilfesuchende Person lebensunterhaltssichernde Leistungen der Sozialhilfe begehrt, ist zwar grundsätzlich auch die Beiladung des Leistungsträgers nach dem SGB II (§ 75 Abs. 2 2. Alternative SGG) und dessen Verurteilung zur Leistungsgewährung möglich (vgl. § 75 Abs. 5 SGG). Dies gilt entsprechend auch für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 2 SGG (Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 38 m.w.N.). Der Senat hält es insoweit in gerichtlichen Eilverfahren nicht für ausgeschlossen, in einem derartigen Fall, in dem zwischen den Beteiligten der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder 2 SGB II bzw. § 23 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB XII streitig ist, das zuständige Jobcenter nach Beiladung aufgrund einer Folgenabwägung zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zu verpflichten (vgl. zur Verpflichtung aufgrund einer Folgenabwägung jüngst Thüringer LSG, Beschluss vom 25. April 2014 - L 4 AS 306/14 B ER - juris Rn. 34; Sächsisches LSG, Beschluss vom 14. April 2014 - L 7 AS 239/14 B ER - juris Rn. 65 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Dezember 2013 - L 12 AS 2265/13 B ER, L 12 AS 2266/13 B - juris Rn. 5 f.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Dezember 2013 - L 2 AS 1726/13 B ER – juris Rn. 34; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. November 2013 - L 2 AS 841/13 B ER - juris Rn. 21; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 1. März 2013 - L 6 AS 29/13 B ER, L 6 AS 29/13 B ER PKH - juris Rn. 15; zur Zulässigkeit bei umstrittenen Rechtsfragen krit. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 - L 15 AS 365/13 B ER - juris Rn. 20, zuletzt Beschluss vom 26. März 2014 - L 15 AS 16/14 B ER - juris Rn. 9; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2014 - L 13 AS 266/13 B ER - juris Rn. 15; krit. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2012 - L 29 AS 1628/12 B ER - juris Rn. 33). Ob dies sogar auf Grundlage einer vorläufigen Entscheidung i.S.d. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Nr. 1 SGB III erfolgen kann, lässt der Senat ebenfalls offen (verneinend LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. März 2014 - L 15 AS 16/14 B ER - juris Rn. 10 f.).

Der Senat sieht aber von dieser Vorgehensweise aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) jedenfalls dann ab, wenn das Vorliegen eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II bereits gerichtlich bestätigt worden ist und ein Anspruch der hilfesuchenden Person - ein Leistungsausschluss nach dem SGB II unterstellt - auf Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aufgrund anderer Rechtsgrundlagen in Betracht kommt. Damit stellt sich in diesen Fallkonstellationen auch nicht die Frage der Bindung an die gerichtliche Entscheidung über den Leistungsausschluss nach dem SGB II aus Gründen der formellen und materiellen Rechtskraft (zur Rechtskraft von gerichtlichen Eilentscheidungen vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86b Rn. 44a, 19a).

Diese Maßgaben auf den vorliegenden Fall übertragen, geht der Senat hier nach der Entscheidung des 15. Senats des gleichen Gerichts vom 29. April 2014 (- L 15 AS 133/14 B ER -) zu Gunsten der Antragsteller von einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB aus. Sie sind nicht "dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II i.S.d. § 21 Satz 1 SGB XII und können damit aufgrund des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 1 EFA einen Anspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII gegen die Antragsgegnerin geltend machen (dazu gleich). Aus diesem Grund hat der Senat auch von einer Beiladung des Jobcenters Bremens nach § 75 SGG abgesehen. Auch kommt es insoweit auf die Beantwortung der Frage, ob Ausländern, die vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sind, ein "Nothilfeanspruch" gegen den Sozialhilfeträger nach § 73 SGB XII zustehen kann (so LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 - L 15 AS 365/13 B ER - juris Rn. 68, jüngst Beschluss vom 26. März 2014 - L 15 AS 16/14 B ER - juris Rn. 10), nicht an. Grundlegende Zweifel bestehen hieran bereits deswegen, weil eine "sonstige" Lebenslage i.S.d. § 73 SGB XII eine atypische Bedarfslage voraussetzt, die an sich nicht bejaht werden kann, wenn der Gesetzgeber sie gesehen und im Sinne eines Leistungsausschlusses (§ 23 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB XII) geregelt hat (so auch Coseriu in: jurisPK-SGB XII, 1. Aufl. 2011, § 23 SGB XII Rn. 76.1).

Dem Anspruch der Antragsteller auf Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII steht § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nicht entgegen, nach dem diejenigen Ausländer sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Diese Leistungsausschlüsse sind bei Staatsangehörigen der Signatarstaaten des EFA, zu denen auch Italien und die Bundesrepublik Deutschland gehören (und daneben Belgien, Dänemark, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, die Türkei und Großbritannien), wegen des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 1 EFA nicht anwendbar.

Dies gilt nach dem jüngsten Senatsbeschluss vom 7. Mai 2014 (- L 8 SO 126/14 B ER -) und der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur zunächst für den Ausschluss von Leistungen der Sozialhilfe nach § 23 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB XII, soweit sich das Aufenthaltsrecht des Betroffenen - wie hier - allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juli 2012 - L 9 AS 563/12 B ER - juris Rn. 58; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. November 2012 - L 19 AS 1917/12 B ER - juris Rn. 29; LSG Hamburg, Beschluss vom 14. Januar 2013 - L 4 AS 332/12 B ER - juris Rn. 9; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juni 2012 - L 14 AS 933/12 B ER - juris Rn. 21; SG Düsseldorf, Urteil vom 17. April 2013 - S 17 SO 192/11 - juris Rn. 23; Greiser in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Anhang zu § 23 - Die Sozialhilfe als Gegenstand des Europäischen Rechts Rn. 99 f.; Coseriu in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 Rn. 35; Hohm in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, 18. Aufl. 2010, § 23 Rn. 29e; Herbst in: Mergler/Zink, SGB XII/AsylbLG, Stand: August 2013, § 23 SGB XII Rn. 41a; Peters in: Estelmann, SGB II, Stand: Februar 2014, § 7 Rn. 17; a.A. unter Berufung auf § 21 Satz 1 SGB XII LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Juli 2012 - L 29 AS 1504/12 B ER - juris Rn. 93; vgl. zur Rechtslage im SGB II bis zur Erklärung des Vorbehalts Deutschlands zur Anwendbarkeit des EFA vom 19. Dezember 2011 - BGBl. II 2012, S. 144 - in Gestalt der berichtigten Fassung - BGBl. II 2012, 470 - BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R - juris Rn. 21 ff. sowie bereits Senatsbeschluss vom 14. Januar 2008 - L 8 SO 88/07 ER - juris; zur Wirksamkeit des Vorbehalts vgl. BSG, EuGH-Vorlage vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 9/13 R - juris Rn. 23).

Aber auch der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB XII (Einreise zum Zwecke des Sozialhilfebezugs) ist auf Ausländer, die sich auf das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 1 EFA berufen können (dazu gleich), nicht anwendbar (vom Senat noch offen gelassen im Beschluss vom 7. Mai 2014 - L 8 SO 126/14 B ER -), weil der Senat keinen rechtlich überzeugenden Ansatzpunkt dafür erkennt, dass das EFA nur auf diejenigen Ausländer anzuwenden ist, die sich zur Zeit des Eintritts der Hilfebedürftigkeit bereits in dem um Hilfe angegangenen Staat erlaubt aufhielten und nicht auf diejenigen, die als bereits bedürftige Personen bzw. zur Erlangung von Sozialhilfeleistungen in einen Staat eingereist sind. Insbesondere überzeugt den Senat die Argumentation der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Anwendung des Ausschlusses (damals § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG) nicht, nach der aus einer allgemeinen Formulierung zum Verzicht der Abschiebung Hilfebedürftiger in der Denkschrift zum EFA und zum Zusatzprotokoll (BT-Drucks. 1882 vom 24. November 1955, S. 22, 23) auch auf die soziale Dimension des Fürsorgeabkommens geschlossen wird (so etwa Hamburgisches OVG, Beschluss vom 8. Februar 1989 - Bs IV 8/89 - juris Rn. 18 f.; OVG Berlin, Beschluss vom 22. April 2003 - 6 S 9.03 - juris Rn. 15). Art 1 EFA stellt allein auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ab (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R - juris Rn. 39 f. m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. November 2012 - L 19 AS 1917/12 B ER - juris Rn. 30; VG Würzburg, Urteil vom 21. Februar 1990 - W 3 K 88.1363 - NVwZ-RR 1990, 575-579; a.A. Coseriu in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 Rn. 34; Greiser in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Anhang zu § 23 - Die Sozialhilfe als Gegenstand des Europäischen Rechts Rn. 101 ff.; Schlette in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 Rn. 45; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auf!. 2014, § 23 Rn. 27, 29). Danach kommt es nicht darauf an, dass die Antragsteller zu 1 bis 4 womöglich nach Deutschland in der Absicht eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen - was ihnen im Übrigen vom Antragsgegner nicht vorgeworfen wird -, weil sie sich auf das Inländergleichbehandlungsgebot aus Art. 1 EFA berufen können.

Nach Art. 1 EFA ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.

Art. 1 EFA ist in Deutschland seit Erlass des Gesetzes vom 1.5. Mai 1956 (BGBl. II 1956, 563) nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG transformiertes Völkerrecht und damit unmittelbar geltendes Bundesrecht (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R - juris Rn. 24), das auch seit Inkrafttreten des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in der Fassung vom 1. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2670) Gültigkeit hat (vgl. die insoweit auch für das SGB XII in gleicher Weise geltenden Ausführungen des BSG, a.a.O., Rn. 25-27). Von einem Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland ist schon deswegen nicht auszugehen, weil die Leistungen nach dem SGB XII seit dem 19. Dezember 2011 ausdrücklich als Fürsorgeleistungen i.S.d. Art. 1 EFA im Anhang 1 zum EFA aufgeführt sind (vgl. die Veröffentlichung auf der offiziellen Seite des Europarates conventions.coe.int/Treaty/Commun/QueVoulezVous.asp 06&CL=GER, abgerufen am 2. Mai 2014) und der Vorbehalt vom 19. Dezember 2011 (a.a.O.) nur "die in dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - in der jeweils geltenden Fassung vorgesehene Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten" nach dem 8. Kapitel des SGB XII (§§ 67-69 SGB XII) von der Anwendbarkeit des EFA herausnimmt. Für die hier streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 3. Kapitel des SGB XII, aber auch für die nach § 48 Satz 2 SGB XII vorrangige Übernahme der Krankenbehandlung von Empfängern von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII durch die Krankenkasse nach § 264 Abs. 1 Satz 1 SGB V (sog. "Quasiversicherung", vgl. BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 - B 8 SO 35/07 R - juris Rn. 23), gilt das EFA vorbehaltlos, es sei denn, der Betroffene verfügt über Ansprüche auf Gesundheitsleistungen gegen Dritte in seinem Heimatstaat. Wegen eines - ggf. bestehenden - vorrangigen Anspruchs der Antragstellerin zu 1 gegen einen Versicherungs- bzw. Leistungsträger in ihrem Heimatland hat der Senat davon abgesehen, die Regelungsanordnung auch auf die Kosten der Entbindung i.H.v. 2.676,22 € zu erstrecken. Die (vorläufige) Übernahme dieser Kosten ist zudem im Eilverfahren ursprünglich nicht beantragt worden und kann der Klärung im Verwaltungsverfahren überlassen bleiben; insoweit fehlt es derzeit an einer Eilbedürftigkeit.

Die Voraussetzungen für den Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 1 EFA liegen im Übrigen vor. Die Antragsteller halten sich "erlaubt" i.S.d. Art. 1 EFA i.V.m. Art. 11 Abs. a Satz 1 EFA in Deutschland auf (zu diesem Tatbestandsmerkmal vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R - juris Rn. 36-38). Die Antragstellerin zu 1 ist als Arbeitsuchende gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt. Das Recht auf Freizügigkeit der Antragsteller zu 2 bis 5 als Familienangehörige ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Sie bedürfen für den erlaubten Aufenthalt in Deutschland keines Aufenthaltstitels (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU).

Der vorläufig zu erfüllende Leistungsanspruch der Antragsteller nach dem 3. Kapitel des SGB XII umfasst den notwendigen Lebensunterhalt nach § 27a SGB XII, einschließlich eines Mehrbedarfs der Antragstellerin zu 1 für Alleinerziehende nach § 30 Abs. 3 SGB XII in Höhe von 60 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII, und die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Die gerichtliche Regelungsanordnung erstreckt sich damit auf den Anspruch der Antragstellerin zu 1 auf den im Jahr 2014 geltenden Regelbedarf von 391,00 € zzgl. des Mehrbedarfs in Höhe von 234,60 €. Hinzu kommen die Regelbedarfe der Antragsteller zu 2 bis 5 nach den Regelbedarfsstufen 5 (Antragsteller zu 2 bis 4) i.H.v. 261,00 € bzw. 6 (Antragstellerin zu 5) i.H.v. 229,00 € zzgl. der Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung von 460,00 € Grundmiete und 130,00 € Nebenkosten. Von diesem monatlichen Gesamtbedarf i.H.v. 2.227,60 € ist ab April 2014 das für die Antragsteller zu 2 bis 5 gezahlte Kindergeld von insgesamt 772,00 € abzusetzen, so dass sich die vorläufig den Antragstellern zu gewährenden Leistungen im März 2014 in ihrer Gesamthöhe auf 2.227,60 € und ab April 2014 auf monatlich 1.455,60 € belaufen. [...]