OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 24.03.2014 - 3 A 684/12 - asyl.net: M21950
https://www.asyl.net/rsdb/M21950
Leitsatz:

Die Berechtigung zum Leistungsbezug bei Schwangerschaft gemäß § 4 AsylbLG wirkt sich nicht mindernd auf die von der Ausländerin nach § 66 Abs. 1 AufenthG zu erstattenden Abschiebungskosten aus (Übertragung der Senatsrechtsprechung zum Verhältnis von Abschiebungshaftkosten und Leistungsbezug nach §§ 3, 4 AsylbLG, vgl. Senatsbeschl. v. 9. Juli 2010 - 3 A 123/09 -, juris).

Amtlicher Leitsatz

Schlagwörter: Sozialhilfebezug, Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialleistungen, Schwangerschaft, Abschiebungskosten,
Normen: AufenthG § 66 Abs. 1, AufenthG § 67 Abs. 1, AufenthG § 67 Abs. 3, AsylbLG § 3, AsylbLG § 4, VwGO § 108 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

1. Soweit die Klage gegen den auf § 66 Abs. 1, § 67 Abs. 1 und 3 AufenthG gestützten Leistungsbescheid des Beklagten hinsichtlich der nachfolgend (a bis d) aufgeführten Abschiebungskosten abgewiesen wurde, lässt der Senat dahingestellt, ob die geltend gemachten Zulassungsgründe des Verfahrensmangels der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) bzw. der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) gegeben sind, da die Rügen der Klägerin dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugeordnet werden können und insoweit auch durchgreifen, da der Ausgang des Rechtsstreits zu den von ihnen erfassten Kostenpositionen zumindest ungewiss erscheint. In einem derartigen Fall ist die etwaige Benennung eines falschen Berufungszulassungsgrunds unerheblich. Denn das verfassungsrechtliche Verbot, den Rechtsweg nicht in unzumutbarer Weise zu erschweren, zwingt die Oberverwaltungsgerichte bei der Prüfung der Zulassungsgründe dazu, den Vortrag des Antragstellers angemessen zu würdigen und ihm bei berufungswürdigen Sachen den Zugang zur zweiten Instanz nicht nur deswegen zu versagen, weil dieser sich nicht auf den nach Auffassung des Gerichts zutreffenden Zulassungsgrund bezogen hat (BVerfG, Beschl. v. 30. Juni 2005 - 1 BvR 2615/04 -, juris Rn. 24; BVerfG, 20. Dezember 2010 - 1 BvR 2011/10 -, juris Rn. 25).

a) Gegen die Erhebung der Kosten der gescheiterten Abschiebung am 13. Februar 2003 in Höhe von 102,25 € (Transportkosten von 76,69 €, Personalkosten von 25,56 € - Zulassungsbegründung Nr. 1.3.1) wendet die Klägerin ein, dass die ihr durch die Ausländerbehörde bis 13. Februar 2003 gesetzte Ausreisefrist noch nicht abgelaufen gewesen sei, so dass sie mit der Vollstreckung nicht habe rechnen müssen. Anhand der Verwaltungsakten und der Zulassungserwiderung des Beklagten lässt sich nicht nachvollziehen, ob der Klägerin der vorgesehene Abschiebetermin und damit eine Verkürzung der ihr gesetzten Ausreisefrist angekündigt worden war.

b) Gegen die Kosten des "Aufgriffs und Vorführung beim Amtsgericht" in Höhe von 342,00 € (225,00 € Transportkosten, 117,00 € Personalkosten - Zulassungsbegründung Nr. 1.3.2) am 11. Januar 2007 macht die Klägerin geltend, dass es an einer Rechtsgrundlage für den vorläufigen Behördengewahrsam fehle, weil § 62 Abs. 4 AufenthG (jetzt Abs. 5) erst durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) eingeführt worden sei. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/5065) zielt diese Norm darauf ab, eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die vorläufige Festnahme von Ausländern in das Aufenthaltsgesetz aufzunehmen, um die richterliche Vorführung zur Anordnung der Sicherungshaft sicherzustellen. Für den hier maßgeblichen Zeitpunkt vor Inkrafttreten dieses Gesetzes war dagegen zweifelhaft, ob das Ausländerrecht eine Grundlage für die Ausländerbehörde bot, aus eigener Machtvollkommenheit den Ausländer über die Polizei zur vorläufigen Sicherung der Abschiebung selbst in Gewahrsam zu nehmen oder dem Haftrichter vorzuführen. Die herrschende Meinung verneinte dies (vgl. OLG München, 17. Mai 2006 - 34 Wx 25/06, 34 Wx 025/06 -, juris Rn. 12 m. w. N. auch zur abweichenden Ansicht). Auch das Bundesverwaltungsgericht sah früher eine derartige Ermächtigungsgrundlage wohl nicht im Ausländergesetz, sondern in landesrechtlichen Vorschriften, insbesondere des Polizeirechts (vgl. BVerwG, Urt. v. 23. Juni 1981 - I C 93.76 -, juris Rn. 14). Nach Aktenlage (Bl. 167 der Verwaltungsakten) hat die Zentrale Ausländerbehörde das Polizeirevier W..... aber nur um Vollzugshilfe gemäß § 61 SächsPolG gebeten. Im Fall der Vollzugshilfe ist die durchgeführte Freiheitsentziehung indes der ersuchenden (Ausländer-)Behörde zuzurechnen und bedürfte diese einer ausländerrechtlichen Ermächtigungsgrundlage.

c) Gegen die Erhebung der Kosten der Bereitschaftspolizei Sachsen bei der Abschiebung am 6. März 2007 in Höhe von 1.820,00 € (Transportkosten in Höhe von 780,00 €, Personalkosten in Höhe von 1.040,00 € - Zulassungsbegründung 1.3.7) führt die Klägerin an, dass sie mit zwei zusätzlichen - insgesamt also vier - Beamten transportiert worden und nicht jede dem Grunde nach von ihr zu vertretende Kostenposition ohne weiteres auch der Höhe nach gerechtfertigt sei.

Richtig ist, dass nach § 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG Kosten der Begleitung nur erhoben werden können, wenn sie erforderlich gewesen sind. Erforderlich ist eine Begleitung nur dann, wenn der Ausländer Anlass hierzu gibt, wenn es also in seiner Person liegende Gründe hierfür gibt. Ist eine Begleitung dem Grunde oder der Höhe der verursachten Kosten nach nicht erforderlich, liegt eine unrichtige Sachbehandlung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG vor, die der Pflicht zur Erstattung der Kosten entgegen- steht (BVerwG, Urt. v. 16. Oktober 2012 - 10 C 6.12 -, juris Rn. 32). Der Beklagte hat in der Zulassungserwiderung lediglich angegeben, dass die Bereitschaftspolizei Sachsen bezüglich des Einsatzes von zwei zusätzlichen Polizeibeamten nochmals befragt werde. Ob das dem Senat nicht mitgeteilte Ergebnis der Befragung die zusätzlichen Kosten rechtfertigt, ist offen.

d) Soweit das Verwaltungsgericht die Geltendmachung der im Zusammenhang mit der Abschiebungshaft angefallenen Dolmetscherkosten in Höhe von 518,77 € (Zulassungsbegründung Nr. 2) in Auseinandersetzung mit der auf Art. 6 Abs. 3 EMRK gestützten abweichenden Auffassung des Bundesgerichtshofs (Beschl. v. 4. März 2010, BGHZ 184, 323) für rechtmäßig hält, bestehen ebenfalls ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Zur Begründung wird auf den vom Verwaltungsgericht zitierten Senatsbeschluss vom 8. Juni 2012 - 3 A 341/11 - verwiesen, mit dem die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen worden ist, weil der Ausgang des Rechtsstreits wegen der gleichen Frage im Hinblick auf die Auffassung des Bundesgerichtshofs zumindest als offen gewertet worden ist. [...]