AG Hannover

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Zitieren als:
AG Hannover, Beschluss vom 20.05.2014 - 43 XIV 36/14 B - asyl.net: M21923
https://www.asyl.net/rsdb/M21923
Leitsatz:

Derzeit ist eine Dublin-Haft nicht möglich, da es gegenwärtig keine gesetzliche Normierung der Kriterien für die von der Dublin III-VO geforderte (erhebliche) Fluchtgefahr gibt.

Schlagwörter: Überstellungshaft, Zurückschiebungshaft, Abschiebungshaft, Dublinverfahren, Zurückschiebung, Fluchtgefahr, erhebliche Fluchtgefahr, Entziehungsabsicht, Sicherungshaft,
Normen: VO 604/2013 Art. 28 Abs. 2, AufenthG § 62 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Dem Antrag der Ausländerbehörde auf endgültige Anordnung von Abschiebungshaft bis einschließlich 27.05.2014 konnte nicht entsprochen werden, weil die Voraussetzungen für die Anordnung der sog. Überstellungshaft nach Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 nicht vorliegen. Der Betroffene war aus der Haft zu entlassen.

Der Betroffene soll vorliegend in sog. "Überstellungshaft" nach Art. 28 der Verordnung Nr. 604/2013 (im Folgenden Dublin III genannt) genommen werden. Die Dublin III-Verordnung gilt in den Mitgliedsstaaten und damit auch im Bundesgebiet gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar. Der Betroffene kann sich mithin auf die Regelungen in dieser Verordnung berufen. Dublin III ist anwendbar, sobald ein Asylsuchender in irgendeinem Anwenderstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Vorliegend hat der Betroffene bereits in Italien einen derartigen Antrag gestellt und er ist wohl auch in Italien als Flüchtling anerkannt. Damit ist Haft zur Überstellung im Bundesgebiet nur auf der Grundlage von Art. 28 Dublin III zulässig.

Gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin III setzt die Überstellungshaft eine erhebliche Fluchtgefahr voraus. Der Begriff der Fluchtgefahr ist in Art. 2 lit. n) Dublin III definiert als das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragssteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte.

Da Dublin III selbst keine "gesetzlich festgelegten Kriterien" enthält, ist deren Festlegung dem nationalen Gesetzgeber überlassen. Eine solche gesetzliche Normierung gibt es allerdings in der Bundesrepublik Deutschland bislang nicht: Die Regelungen des § 62 Abs. 3 AufenthG sind wegen des haftrechtlichen Analogieverbots (BVerfGE v. 15.05.2007, 2 BvR 2106/05) für die Annahme von Fluchtgefahr nicht anwendbar. Demzufolge ist mangels gesetzlicher Festlegung der Kriterien zur Bestimmung der Fluchtgefahr eine Inhaftierung zur Sicherung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat derzeit nicht möglich.

Darüber hinaus kann im vorliegenden Fall allerdings auch keine erhebliche Fluchtgefahr bei dem Betroffenen angenommen werden.

Nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Betroffenen tatsächlich Kenntnis von dem Überstellungstermin am 01.04.2014 gehabt und er sich dieser Überstellung bewusst entzogen hat.

Darüber hinaus hat sich der Betroffene vom 16.04.2014 bis zum 22.04.2014 in Abschiebungshaft in Frankfurt befunden. Nach seiner Entlassung dort hat er sich nach Cuxhaven begeben und dort am 05.05.2014 bei dem für ihn zuständigen Sozialamt vorgesprochen. Auch wenn er sich zwar nicht direkt bei dem zuständigen Amt für Ausländerangelegenheiten gemeldet hat, kann aus diesem Verhalten nicht geschlossen werden, dass der Betroffene nur vorgehabt hat, seine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz abzuholen und danach wieder unterzutauchen. Es ist vielmehr auch sehr gut möglich, dass der Betroffene nach dem Termin im Sozialamt bei der Ausländerstelle vorsprechen wollte. Jedenfalls lässt sich aus dem Verhalten des Betroffenen keine erhebliche Fluchtgefahr begründen. Darüber hinaus ist dem Betroffenen im Rahmen der Anhörung heute der Überstellungstermin nach Italien am 27.05.2014 erneut mitgeteilt worden und sein Verfahrensbevollmächtigter hat dem Betroffenen deutlich gemacht, dass er sich zu diesem Termin bereit halten muss, sofern ein erneuter Antrag beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg haben sollte.

Danach stehen die Voraussetzungen für die Anordnung von Überstellungshaft nicht fest.

Auf die weitergehende Frage, ob das Amtsgericht Cuxhaven gegen den Betroffenen am 05.05.2014 überhaupt Abschiebungshaft anordnen durfte, zumal zu diesem Zeitpunkt noch der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt vom 16.04.2014, mit dem Abschiebungshaft bis zum 16.05.2014 angeordnet und später außer Vollzug gesetzt worden war, kommt es vorliegend nicht mehr an, weil der Betroffene bereits aus den o.g. Gründen aus der Haft zu entlassen war. Gleiches gilt für die übrigen im Rahmen der Anhörung von dem Bevollmächtigten gerügten Gesichtspunkte. [...]