OVG Berlin-Brandenburg

Merkliste
Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.04.2014 - 3 B 33.11 - asyl.net: M21888
https://www.asyl.net/rsdb/M21888
Leitsatz:

1. Den Gewährleistungen des Art. 6 GG, Art. 8 EMRK kann bei Ausländern, die von der Regelung des § 15a AufenthG erfasst werden, durch § 15a Abs. 1 S. 6, Abs. 5 S. 1 AufenthG hinreichend Rechnung getragen werden.

2. Es kann daher offen bleiben, ob das Institut der Zweitduldung nicht zumindest angesichts der nunmehr geltenden Regelung des § 61 Abs. 1 S. 2 bis 4 AufenthG gegenstandslos geworden ist.

3. Sowohl die Verbandskompetenz als auch die örtliche Zuständigkeit für das Umverteilungsbegehren liegt bei dem aufnehmenden Bundesland.

4. Durch die Verteilung einer Ausländerin in ein anderes Bundesland als in das, in dem ihr Ehemann und ihre Kinder wohnen, wird die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen ihr, ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern nicht für einen erheblichen Zeitraum vereitelt oder in unzumutbarer Weise erschwert, wenn diese einen Antrag auf Erweiterung der räumlichen Beschränkung stellen könnten.

Schlagwörter: länderübergreifende Umverteilung, Duldung, Zweitduldung, örtliche Zuständigkeit, familiäre Lebensgemeinschaft, Achtung des Familienlebens,
Normen: AufenthG § 15a, GG Art. 6, EMRK Art. 8, AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2, AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2-4, AufenthG § 61 Abs. 1 S. 3, AufenthG § 61 Abs. 1 S. 4,
Auszüge:

[...]

1. Anspruchsgrundlage für das auf Umverteilung gerichtete Begehren der Klägerin ist § 15a Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Die Klägerin gehört zu dem von § 15a AufenthG erfassten Personenkreis, weil sie unerlaubt, d.h. ohne den erforderlichen Pass oder Passersatz und ohne das erforderliche Visum (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG) nach dem 1. Januar 2005 einreiste, weder um Asyl nachsuchte und wegen ihrer Passlosigkeit nicht unmittelbar nach der Feststellung der unerlaubten Einreise in Abschiebungshaft genommen und aus der Haft abgeschoben oder zurückgeschoben werden konnte (§ 15a Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 AufenthG). Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt eine länderübergreifende Umverteilung im Wege der "Zweitduldung" nicht in Betracht. Das von einigen Obergerichten befürwortete Institut der Zweitduldung wurde entwickelt, um nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens geduldeten Ausländern einen länderübergreifenden Wohnsitzwechsel - insbesondere zur Herstellung oder Wahrung einer familiären Lebensgemeinschaft - zu ermöglichen, deren Rechte nicht durch - vorübergehende - Verlassenserlaubnisse nach § 12 Abs. 5 AufenthG (s. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 26. August 2008 - 2 BvR 1942.07-, juris Rn. 11) gewahrt konnten. Die nach § 56 Abs. 3 AsylVfG räumlich beschränkte "Erstduldung" sollte mit der von der "aufnehmenden Ausländerbehörde" zu erteilenden "Zweitduldung" gegenstandslos werden (s. hierzu: OVG Münster, Beschluss vom 29. November 2005 - 19 B 2364.03 -, juris Rn. 15 ff. und OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012 - 7 A 11177.11 -, juris Rn. 21 ff. - jeweils m.w.N.; s. auch die Übersicht über den Streitstand in: HTK, § 61 AufenthG, Stand 16. Januar 2014, Nr. 3 und 4.2). Diese auf das Schließen einer Regelungslücke abzielenden Erwägungen greifen hier offensichtlich nicht ein. Den Gewährleistungen des Art. 6 GG, Art. 8 EMRK kann bei Ausländern, die, wie die Klägerin, von der Regelung des § 15a AufenthG erfasst werden, durch § 15a Abs. 1 Satz 6, Abs. 5 Satz 1 AufenthG hinreichend Rechnung getragen werden. Es kann daher offen bleiben, ob das Institut der Zweitduldung nicht zumindest angesichts der nunmehr geltenden Regelung des § 61 Abs. 1 Satz 2 bis 4 AufenthG gegenstandslos geworden ist.

Anders als der Beklagte meint, liegt sowohl die Verbandskompetenz als auch die örtliche Zuständigkeit für das Umverteilungsbegehren bei dem Land Berlin. Dies ergibt eine Auslegung des § 15a AufentG anhand seines Wortlauts, Sinn und Zwecks und Regelungszusammenhangs sowie der Entstehungsgeschichte.

Die mit dem Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) auf Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses (s. BT - Drs. 15/3479 S. 3) eingeführte Regelung des § 15a AufenthG geht auf einen Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen vom 31. Oktober 2000 zurück (BR Drs. 706/00), der zum Ziel hatte, die bis dahin bestehende Regelungslücke zu schließen, welche für unerlaubt eingereiste Ausländer bestand, die keinen Asylantrag gestellte hatten (BRDrs. 706/00 S. 4). Der als § 56a AuslG vorgeschlagene Entwurf orientierte sich ausweislich seiner Begründung (BRDrs. 706/00 S. 5) an den für die Verteilung von Asylbewerbern geltenden Vorschriften. § 56a Abs. 5 AuslGE sah insoweit vor, dass Ausländer mit Erlaubnis "der zuständigen Behörden" nach der Verteilungsentscheidung Wohnsitz in einem anderen Land nehmen konnten. In der Entwurfsbegründung heißt es hierzu: "Abs. 5 trägt dem Umstand Rechnung, dass sich nach der Verteilungsentscheidung die Notwendigkeit einer 'Umverteilung' ergeben kann. Die möglichen Gründe für die von der zuständigen Behörde des aufnehmenden Landes im Einvernehmen mit der zuständigen Behörde des abgebenden Landes zu treffende Entscheidung sind in § 51 Abs. 1 AsylVfG benannt." § 51 AsylVfG in der zum Zeitpunkt des Entwurfs geltenden Fassung ermöglichte eine länderübergreifende Umverteilung, bei welcher der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten sowie Eltern und ihren minderjährigen ledigen Kindern oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht Rechnung zu tragen war. Zuständig für die Entscheidung war und ist die zuständige Behörde des Landes, für das der weitere Aufenthalt beantragt ist (§ 51 Abs. 2 AsylVfG).

Der von dem Bundesrat beschlossene Gesetzentwurf wurde von diesem im Februar 2001 unverändert in den Bundestag eingebracht (BTDrs. 14/5266). Ca. ein Jahr später brachte die Bundesregierung - als Teil des Entwurfs des Zuwanderungsgesetzes - unter Bezugnahme auf § 56a AuslGE sowie zwischenzeitlich in die Diskussion eingebrachte Anregungen zu einer Änderung den Entwurf als § 15a AufenthG in den Bundestag ein (BTDrs. 14/7987 S. 8 f.). Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 15a Abs. 1 Satz 6 und Abs. 5 des Entwurfs stimmen mit der heute geltenden Fassung des § 15a AufenthG überein.

Unter Zugrundelegung der Entstehungsgeschichte des § 15a AufenthG ist die Entscheidung über einen nach § 15a Abs. 5 AufenthG gestellten Umverteilungsantrag von der zuständigen Behörde des Landes zu treffen, in welches der Zuzug begehrt wird. Dies hob das Land NRW in seiner durch die nachfolgenden Änderungen nicht modifizierten Begründung zu § 56a Abs. 5 AuslG ausdrücklich hervor. Dieses Normverständnis ist mit dem Wortlaut vereinbar und entspricht der insoweit unverändert fortgeltenden Regelung des § 51 Abs. 2 AsylVfG, welcher die ausländerrechtliche Regelung über die Umverteilung unerlaubt eingereister Ausländer i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nachgebildet ist. Anders als bei der asylverfahrensrechtlichen Umverteilung ist allerdings die Entscheidung im Einvernehmen mit der zuständigen Behörde des abgebenden Landes zu treffen. Dieses Erfordernis ist in der Begründung des Entwurfs des § 56a AuslG zu dessen Absatz 5 ausdrücklich angesprochen worden. Mit ihm wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Ausländer von der Quote des abgebenden Landes abgezogen wird, wie dies die Anrechnungsregelung der Ursprungsfassung sowie nunmehr § 15a Abs. 5 Satz 2 AufenthG vorsehen. Dies entspricht dem sich durch alle Gesetzesbegründungen ziehenden Sinn und Zweck der als § 15a AufenthG beschlossenen Regelung, eine möglichst gleichmäßige Verteilung der durch die Aufnahme unerlaubt eingereister Ausländer entstehenden Lasten zu erreichen (vgl. hierzu: BR Drs. 406/00 S. 4; BTDrs. 14/5226 S. 6; BTDrs. 14/7987 S. 9; BTDrs. 15/955 S. 11; BTDrs. 15/3479 S. 3). Dieses Normverständnis spiegelt sich auch in dem Wortlaut des § 15a Abs. 5 AufenthG wider, demzufolge "die zuständigen Behörden" die Umverteilung erlauben können.

Nach alledem enthält § 15a Abs. 5 AufenthG eine Regelung über die Verbandskompetenz, so dass für eine entsprechende Anwendung des § 3 VwVfG kein Raum besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 1 C 5.11 -, juris Rn. 17). Die Verbandskompetenz liegt hier beim Land Berlin. Damit ist dessen (einzige) Ausländerbehörde örtlich zuständig für die Umverteilungsentscheidung. Soweit es die nach § 15a Abs. 5 AufenthG erforderliche Zustimmung der zuständigen Behörde des "abgebenden" Bundeslandes angeht, hat vorliegend der Freistaat Sachsen, vertreten durch das Landratsamt Erzgebirgskreis, mit Schriftsatz vom 29. Januar 2014 für den Fall sein Einverständnis erklärt, dass es einzuholen sei. Allerdings ist zweifelhaft, ob diese Erklärung wirksam ist. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit des Landratsamtes Erzgebirgskreis (vormals Annaberg), weil die Zuweisung zu diesem Landkreis vom 21. Februar 2008 der Klägerin bislang nicht wirksam bekannt gegeben worden ist. Die Wirksamkeit dieser Erklärung kann jedoch ebenso wie die Frage unentschieden bleiben, ob das durch § 15a Abs. 5 Satz 1 AufenthG gebotene Einverständnis durch die Entscheidung des Senats ersetzt werden kann (s. hierzu: BVerwG, Urteil vom 29. Juli 2013 - 4 C 1.13 -, juris Rn. 9; VGH Kassel, Urteil vom 28. Oktober 1996 - 2 UE 628.98 -, juris Rn. 50). Denn die Ablehnung des Umverteilungsantrages ist jedenfalls aus materiell-rechtlichen Gründen rechtmäßig.

Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der materiell-rechtliche Entscheidungsmaßstab aus § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG oder aber aus einer entsprechenden Anwendung der Regelung des § 51 AsylVfG - an welche § 15a AufenthG, wie aufgezeigt, angelehnt ist - abzuleiten ist. Denn im Hinblick auf die hier maßgeblichen Gewährleistungen des Art. 6 GG, Art. 8 EMRK ergeben sich keine entscheidungserheblichen Unterschiede. Insbesondere ist das durch § 15a Abs. 5 Satz 1 AufenthG eingeräumte behördliche Ermessen "auf Null" reduziert, wenn anderenfalls eine gelebte Familiengemeinschaft zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern für einen nicht unerheblichen Zeitraum unmöglich wäre oder in unzumutbarer Weise erschwert würde (vgl. zu § 51 AsylVfG: OVG Bautzen, Beschluss vom 7. April 1999 - A 4 S 78/98 -, juris Rn. 4, 5; VGH Mannheim, Urteil vom 2. Februar 2006 - A 12 S 929/05 -, juris Rn. 17, 18; VGH Kassel, Beschluss vom 30. März 2006 - 3 TG 556/06 -, juris Rn. 4; vgl. zu § 15a Abs. 1 und 2 AufenthG: OVG Bremen, Beschluss vom 8. März 2013 - 1 B 13/13 -, juris Rn. 4; vgl. zur "Zweitduldung": OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Februar 2012 - 7 A 11177/11 -, juris Rn. 36), es sei denn, dass ausnahmsweise ein überwiegendes öffentliches Interesse entgegensteht (vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, juris Rn. 23).

Es bestehen vernünftigerweise keine Zweifel daran, dass die Klägerin Mutter der 2008, 2010, 2012 und 2013 geborenen Kinder ist. Zwar fehlt es an Geburtsurkunden. Dies beruht jedoch nach der von dem zuständigen Standesamt erteilten Begründung allein darauf, dass die Klägerin keine Identitätspapiere vorgelegt hat. [...]

Jedoch hat die Klägerin keinen Anspruch auf Umverteilung nach Berlin. Durch ihre Verteilung in den Freistaat Sachsen wird ein Führen der zwischen ihr bzw. Herrn E. und den gemeinsamen Kindern bestehenden familiären Lebensgemeinschaft nicht für einen erheblichen Zeitraum vereitelt oder in unzumutbarer Weise erschwert.

Entgegen der Ansicht des Beklagten folgt dies allerdings nicht daraus, dass die Klägerin auf die Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft im Libanon verwiesen werden könnte. Dies gilt auch dann, wenn der Klägerin als libanesischer Staatsangehöriger und Herrn E., der jedenfalls über ein DDV verfügt, die Beschaffung von Heimreisedokumenten für sich und ihre Kinder möglich ist (s. hierzu das Urteil des Senats vom 8. Dezember 2010 - OVG 3 B 12.09 -, nicht veröffentlicht). Denn es ist jedenfalls im Hinblick auf die Beschaffung eines Heimreisedokumentes für Herrn E. nicht absehbar, innerhalb welchen Zeitraumes ihm zumutbare Bemühungen Erfolg haben könnten. Der Beklagte hat selber vorgetragen, dass Passbeschaffungsverfahren für straffällig gewordene Rückkehrer "in der Regel sehr lange" dauern. Dies wird durch den Verlauf der erstmals im Jahr 1995 von Amts wegen eingeleiteten und bis heute erfolglos gebliebenen Verfahren bestätigt. Angesichts des geringen Alters der Kinder wäre in das jedenfalls eine mehrere Monate dauernde Trennung nicht mit Art. 6 GG, Art. 8 EMRK vereinbar. Der Umstand, dass sich Herr E. beharrlich weigert, an der Passbeschaffung mitzuwirken, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586.13 -, juris Rn. 14 unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung) ist bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen maßgeblich auch auf das Kindeswohl abzustellen. Bei der Frage, ob die Kinder der Klägerin auf den regelmäßigen Kontakt mit Herrn E. zu ihrem Wohl angewiesen sind, spielt es keine Rolle, ob Herr E. eine gemeinsame Ausreise in den Libanon vereitelt. Jedoch kann die familiäre Lebensgemeinschaft in Sachsen gelebt werden.

Von den gegenüber Herrn E. mit den Duldungen verfügten räumlichen Beschränkungen auf das Land Berlin kann nach § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG abgewichen werden. Die Verbandskompetenz für die Entscheidung nach § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG läge gemäß den mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 a VwVfG übereinstimmenden Regelungen des Landes Berlin und des Freistaats Sachsen i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I bei dem Land Berlin. Das Einvernehmen der zuständigen Behörde des Freistaats Sachsen ist hier nicht erforderlich. Die insoweit allein in Betracht kommende Regelung des § 72 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist nicht einschlägig, weil die Berliner Ausländerbehörde keine "andere Behörde" im Sinne dieser Vorschrift ist, sondern die räumliche Beschränkung angeordnet hat. Der Umstand, dass Herr E. keinen Antrag nach § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gestellt hat und dies auch nicht zu erwarten ist, ist unerheblich. Auf ein (etwaiges) Antragserfordernis kommt es nicht an. Wäre eine Erweiterung der räumlichen Beschränkung vorliegend nur auf Antrag möglich, so hätten es die Klägerin und Herr E. in der Hand, die bestandskräftige Zuweisungsentscheidung vom 3. Juli 2007 zu umgehen und damit die auf eine gerechte Lastenverteilung abzielende Regelung des § 15a AufenthG auszuhebeln. Wegen der familiären Lebensgemeinschaft, die Herr E. mit seinen Kindern führt, diente die Erweiterung der räumlichen Beschränkung der Duldungen auf den Freistaat Sachsen der Aufrechterhaltung der Familieneinheit i.S.d. § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG. Entgegen der Ansicht des Beklagten greift § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht lediglich dann ein, wenn die Familieneinheit, wie hier, erst nach der Einreise hergestellt wird (offen gelassen: OVG Hamburg, Beschluss vom 27. August 2012 - 5 Bs 178/12 -, juris Rn. 20). Wie ausgeführt, steht bei den minderjährige Kinder betreffenden aufenthaltsrechtlichen Wirkungen des Art. 6 GG, Art. 8 EMRK das Kindeswohl im Vordergrund. Im Hinblick hierauf ist es jedoch unmaßgeblich, ob die persönliche Verbundenheit, auf dessen Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist, vor oder nach der Einreise hergestellt worden ist (vgl. zu der letztgenannten Konstellation: BVerfG, Beschluss vom 26. August 2008 - 2 BvR 1942.07 -, juris Rn. 11). Aus der Rückführungsrichtlinie, dessen Art. 14 Abs. 1 Buchst. a mit der Regelung des § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG umgesetzt werden sollte (s. hierzu die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs in: BTDrs. 17/5470 S. 24), folgt nichts anderes. Die gemeinschaftsrechtliche Regelung dient ebenfalls der "Aufrechterhaltung" der Familieneinheit und steht damit gleichermaßen unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht (Art. 7 i.V.m. 51 Abs. 1 GR-Charta; Art. 8 EMRK i.V.m. Art. 52 Abs. 3 GR-Charta). In Übereinstimmung mit diesen rechtlichen Vorgaben hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch seine jederzeitige Bereitschaft erklärt, die räumliche Beschränkung der Herrn E. erteilten Duldungen auf den Freistaat Sachsen zu erweitern.

Die Erweiterung der räumlichen Beschränkung der Duldungen des Herrn E. auf den Freistaat Sachsen dient jedoch nur dann der Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft i.S.d. § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, wenn auch die vier gemeinsamen Kinder dort in rechtmäßiger Weise ihren Aufenthalt nehmen können. Dies ist der Fall. Zwar ist ihr Aufenthalt wegen des nach wie vor nicht entschiedenen Asylverfahrens gegenwärtig auf das Land Berlin beschränkt. Jedoch liegen die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 51 AsylVfG für eine länderübergreifende Verteilung in den Freistaat Sachsen vor. Wegen der Zuweisung der Klägerin in den Freistaat Sachsen sowie der kurzfristig möglichen Erweiterung der für Herrn E. bestehenden räumlichen Beschränkung wäre die zuständige sächsische Behörde bei Auslegung des § 51 AsylVfG anhand der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zur Umverteilung der Kinder verpflichtet. Dass vorliegend der entsprechende Antrag der Klägerin, ggf. auch des Herrn E. fehlt, ist aus den zu § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG aufgezeigten Gründen unerheblich. Die zuständige sächsische Behörde wäre zudem im Interesse des Kindeswohls gehalten, die Umverteilung unverzüglich vorzunehmen. Soweit dennoch Verzögerungen auftreten sollten, kann dem durch von der Ausländerbehörde des Landes Berlin zu erteilenden Erlaubnissen nach § 58 Abs. 1 AsylVfG Rechnung getragen werden. Die zuständige Ausländerbehörde des Freistaats Sachsen dürfte die nach § 58 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG und zur Wahrung der Familieneinheit erforderliche Zustimmung nicht verweigern.

Eine Wohnsitznahme im Freistaat Sachsen wäre sowohl Herrn E. als auch den gemeinsamen Kindern nicht unzumutbar. Gegen das Vorbringen der Klägerin, dass drei ihrer Kinder in Berlin eine Kindertagesstätte besuchten und das älteste Kind demnächst eingeschult werde, hat der Beklagte zutreffend eingewandt, dass Kita- und Schulbesuche auch im Freistaat Sachsen möglich sind und vorliegend keine Anhaltspunkte bestehen, dass sich die Kinder nicht in ihre neue Umgebung eingewöhnen können. Der Umstand, dass Herr E. - unter Zugrundelegung seiner Angaben - bereits im Alter von 15 Jahren nach Berlin gekommen ist, begründet für sich genommen keinen einer Umverteilung entgegenstehenden Belang. Maßgeblich ist vielmehr, ob er in Berlin derart verwurzelt, ist, dass ihm ein Zusammenleben mit der Klägerin und den gemeinsamen Kindern im Freistaat Sachsen nicht zumutbar wäre. Die hierauf abzielende Behauptung, er verfüge in Berlin über ein "soziales Umfeld" ist unsubstantiiert. [...] Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte für ein "erneutes konkretes Arbeitsplatzangebot", auf welches die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hingewiesen hat. Vielmehr hat Herr E., der nach Aktenlage seinen Lebensunterhalt bislang ausschließlich mit öffentlichen Leistungen bestritten hat, während des gesamten Verfahrens lediglich ein Arbeitsplatzangebot konkretisiert, und zwar mit der Jahre zurückliegenden "Bescheinigung" des Herrn A. vom 21. Oktober 2008. Besondere öffentliche Interessen, die ausnahmsweise einen Verbleib des Herrn E. im Land Berlin erfordern könnten, bestehen nicht. Insbesondere bestehen nach Ablauf der Bewährungsfrist der mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Februar 2003 verhängten Freiheitsstrafe im März 2010 keine strafrechtlich begründeten räumlichen Beschränkungen.

Soweit dem Beklagten darüber hinaus in Bezug auf die hier konkurrierenden Möglichkeiten zur Umverteilung bzw. zur Aufenthaltnahme außerhalb des Bereichs der räumlichen Beschränkung einerseits der Klägerin nach § 15a Abs. 5 AufenthG und andererseits des Herrn E. nach § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG sowie der gemeinsamen Kinder nach § 51 AsylVfG Ermessen zukommt, ist dieses jedenfalls mit den im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen ergänzenden Erwägungen fehlerfrei ausgeübt. Über die vorstehenden Erwägungen hinaus hat der Beklagte ausgeführt, dass insbesondere fiskalische Interessen gegen die Alternative einer Umverteilung der Klägerin nach Berlin sprächen. Er hat insoweit unbestritten vorgetragen, dass die Zahl der von dem Land Berlin aufgenommenen Ausländer bei weitem die ihm nach dem Königsteiner Schlüssel zugewiesene Quote übersteigt. Zudem weist er zu Recht darauf hin, dass sich die Klägerin - welche zunächst versuchte, sich über eine unzutreffende Altersangabe und Verschleierung ihrer Identität einen Aufenthalt in Berlin zu verschaffen - nach ihren eigenen Angaben erst nach der Verteilungsentscheidung für die Gründung einer Familie entschied. Schließlich ist die Erwägung des Beklagten nicht ermessensfehlerhaft, dass die Klägerin bei einer positiven Bescheidung ihres Umverteilungsbegehrens für ihren jahrelangen rechtswidrigen Aufenthalt belohnt würde. [...]