VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 07.07.2013 - 5 K 861/12.DA - asyl.net: M21853
https://www.asyl.net/rsdb/M21853
Leitsatz:

Die Anforderungen an ausreichende deutsche Sprachkenntnisse sind vom Einbürgerungsbewerber materiell zu erfüllen. Die Qualität seiner Sprachkenntnisse unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. Vorgelegte Bescheinigungen zertifizierter Anbieter von Sprachkursen und Sprachtests (hier: TELC-Bescheinigung) haben allenfalls Indizwirkung und binden weder die Einbürgerungsbehörde noch das Gericht.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Deutschkenntnisse, Sprachkenntnisse, Einbürgerung, TELC-Bescheinigung, Bescheinigung, Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen, B1, Zertifikat, Überprüfung,
Normen: StAG § 10 Abs. 4 S. 1,
Auszüge:

[...]

Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG muss der Einbürgerungsbewerber hierfür die Anforderungen der Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch(B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen) in mündlicher und schriftlicher Form erfüllen. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt (§ 10 Abs. 4 Satz 2 StAG).

Mit der Behörde geht auch das Gericht davon aus, dass die Sprachanforderungen materiell zu erfüllen sind und vorgelegte Bescheinigungen darüber allenfalls Indizwirkung haben (ebenso im Ergebnis VG Stuttgart, Urt. v. 19.07.2012 – 11 K 9/12 – juris, Rdnr. 27). Anders als in § 10 Abs. 3 Satz 1 StAG, in dem geregelt ist, dass die erforderliche Voraufenthaltszeit von acht auf sieben Jahre verkürzt wird, wenn der Einbürgerungsbewerber die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs durch "eine Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge" nachweist, hat der Gesetzgeber in § 10 Abs. 4 StAG hinsichtlich der Sprachanforderungen auf eine vergleichbare Regelung verzichtet. Das ist auch deswegen sinnvoll, weil Einbürgerungsbewerber, die offenkundig ausreichende Sprachkenntnisse aufweisen (z.B. ein im Bundesgebiet geborener Ausländer, der eine Schul- und Berufsausbildung durchlaufen hat), nicht zur Teilnahme an einer – in ihrem Falle offenkundig überflüssigen – Sprachprüfung angehalten werden müssen. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage der Bindungswirkung von TELC-Bescheinigungen stellt sich daher nicht; allein entscheidend ist, ob die Klägerin die geforderten Sprachkenntnisse vor der Behörde und ggf. vor dem Gericht vorweisen kann.

Die Einwände der Klägerin gegen diese Auffassung überzeugen nicht.Ihre Gegenbeispiele hinken. Sowohl bei Studenten als auch bei Juristen wird für die Zulassung zur Ausbildung oder zur Rechtsanwalts- oder Richterschaft auf entsprechende Qualifikationsnachweise abgestellt. Für den Hochschulzugang ist die allgemeine Hochschulreife erforderlich (§ 54 Abs.2 Nr. 1 HessHochSchG), also ein Abiturzeugnis; für die Zulassung zur Anwalts- oder Richterschaft der Nachweis über die Befähigung zum Richteramt (§ 4 BRAO, § 5 DRiG), also das Zeugnis über das Bestehen der Zweiten juristischen Staatsprüfung. Alle Vorschriften stellen maßgeblich auf entsprechende Zeugnisse ab, bei deren Vorlage vom Vorhandensein eines entsprechenden Leistungsstandes ausgegangen wird. Dies erscheint auch sachgerecht, denn allen Nachweisen gehen staatliche Prüfungen in einem streng formalisierten Verfahren voraus, durch das am ehesten gewährleistet ist, dass das beurkundete Leistungsniveau mit dem tatsächlichen Leistungsniveau des Zeugnisinhabers übereinstimmt.

Davon ist im Falle der Sprachprüfungen von Einbürgerungsbewerbern nicht auszugehen. Die Prüfungen werden von privaten Anbietern durchgeführt, die hierzu abstrakt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zertifiziert worden sind. Für Einbürgerungsbewerber besteht keine Verpflichtung, einen bestimmten Anbieter auszuwählen; sie haben die freie Wahl, sich für denjenigen zu entscheiden, der ihnen den Eindruck vermittelt, die Bescheinigung am ehesten zu gewähren. Die Anbieter stehen zwar – auch hinsichtlich der Leistungsanforderungen – unter staatlicher Aufsicht, ihre Prüfungen werden aber nicht unter Beteiligung staatlicher Organe abgenommen. Die Durchführung der Prüfung im Einzelnen entzieht sich deshalb weitgehend der staatlichen Überwachung. Es erscheint daher sachgerecht, der Prüfungsbescheinigung eines privaten Anbieters nicht denselben Rang zuzuerkennen wie der öffentlichen Urkunde einer Behörde.

Nach den Beobachtungen des Gerichts bieten verschiedene Stellen Bescheinigungen über deutsche Sprachkenntnisse an. Der Bescheinigung geht teilweise ein Sprachkursus voraus; teilweise wird auch nur eine Überprüfung der Sprachkenntnisse durchgeführt. Sprachkurse und -tests sind kostenpflichtig; es besteht für die Teilnehmer freie Wahl unter den Anbietern. Demgemäß herrscht unter den Anbietern ein erheblicher Konkurrenzdruck, und es spricht sich schnell herum, wo man die Bescheinigung eher erhält und wo eher nicht. Um keine Einnahmeausfälle und Wegwanderungsströme ganzer Bewerbergruppen hinnehmen zu müssen, besteht die nahe liegende Gefahr, dass Anbieter die Bewertungsmaßstäbe im Ergebnis senken und Bescheinigungen wohlwollend ausstellen. Ebenso wie es sich herumspricht, bei welchen Anbietern die Bescheinigung leichter zu erlangen ist, spricht es sich aber auch bei den Einbürgerungsbehörden herum, den Bescheinigungen welcher Anbieter eher Skepsis entgegenzubringen ist, und bei wem die Sprachkenntnisse noch einmal zu überprüfen sind. So war es – wie der Behördenvertreter in der mündlichen Verhandlung einräumte - auch im Falle der Klägerin und der von ihr vorgelegten TELC-Bescheinigung.

Die Zweifel der Behörde bestanden zu Recht, denn die Überprüfung der Sprachkenntnisse der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ergab, dass die Klägerin bei weitem keine B1-Kenntnisse des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen hat. Einen ihr vorgelegten Zeitungsausschnitt mit einem einfachen Lebenssachverhalt konnte sie hinsichtlich seines Inhalts nur schlagwortartig wiedergeben, ohne den süffisanten Kern der Geschichte (Brandmelder in einer Jugendherberge wurden durch zu viel versprühtes Deospray zweier Mädchen ausgelöst) erfasst zu haben und ihn aufzeigen zu können. Die Klägerin mag, was auch ihre Befragung vor dem Test ergab, Fragen zu ihren persönlichen Verhältnissen verstehen, wenn langsam und deutlich gesprochen wird und Fragen zuweilen umformuliert oder ergänzt werden.Im Antwortverhalten fällt es ihr jedoch schwer, in vollständigen Sätzen zu sprechen, und ihre Lese- und Verstehensfähigkeit ist noch nicht sehr ausgeprägt und bewegt sich eher im Bereich von gehobenen Elementarkenntnissen. Ohne abschließend sagen zu können, ob sich ihre Kenntnisse noch auf A1- oder schon auf A2-Niveau bewegen, bestehen jedenfalls keine Zweifel, dass die B1-Stufe der "selbstständigen Sprachverwendung" von der Klägerin noch nicht erreicht wird. [...]