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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.01.2014 - 1 S 923/13 - asyl.net: M21851
https://www.asyl.net/rsdb/M21851
Leitsatz:

Es kann offen bleiben, ob es für die konkret-individuelle Unzumutbarkeit der Bedingungen, aus der bisherigen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Variante 2 StAG auf das Vorliegen einer vom Regelfall abweichenden atypischen Belastungssituation (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.02.2013 - 5 C 9/12 - NVwZ 2013, 867) oder eine Beurteilung der konkreten Verhältnisse des Einbürgerungsbewerbers unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 24.09.2008 - 13 S 1812/07 - NVwZ-RR 2009, 354; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2012 - 13 LC 240/10 - InfAuslR 2012, 191; Urt. v. 13.11.2013 - 13 LB 99/12 - juris) ankommt. Nach jeder Betrachtungsweise kann bei einem Einbürgerungsbewerber, dessen Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit die mangelnde Ableistung des Wehrdienstes entgegensteht, im Einzelfall berücksichtigt werden, ob der Betroffene in der Vergangenheit eine zumutbare Möglichkeit des Freikaufs vom Wehrdienst ungenutzt verstreichen ließ.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Zumutbarkeit, Entlassung aus der Staatsangehörigkeit, Aufgabe der Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit, Militärdienst, Freikauf, türkische Staatsangehörige, Einbürgerung, Hinnahme von Mehrstaatigkeit, Integration, wirtschaftliche Integration, Arbeitslosigkeit, Vertretenmüssen, Erwerbsfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Vertretenmüssen, Rauchen, Sicherung des Lebensunterhalts, Sozialleistungen,
Normen: StAG § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 2. Alt., StAG § 10, StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Erhält der Einbürgerungsbewerber Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch oder hat Anspruch darauf, ist maßgeblich, ob er dies zu vertreten hat. Der Begriff des Vertretenmüssens beschränkt sich nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Ausländer durch ein ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den - fortdauernden - Leistungsbezug gesetzt hat. Der vom Begriff des Vertretenmüssens vorausgesetzte objektive Zurechnungszusammenhang zwischen zu verantwortendem Verhalten und Leistungsbezug erfordert, dass das Verhalten des Verantwortlichen für die Verursachung oder Herbeiführung des in Bezug genommenen Umstandes zumindest nicht nachrangig, sondern hierfür wenn schon nicht allein ausschlaggebend, so doch maßgeblich bzw. prägend ist. Der Leistungsbezug muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzurechnen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.02.2009 - 5 C 22.08 - BVerwGE 133, 153; BayVGH, Beschl. v. 06.07.2007 - 5 ZB 06.1988 - juris; NdsOVG, Beschl. v. 17.12.2013 - 13 LA 179/13 - juris; je m.w.N.) Der Einbürgerungsbewerber hat eine Obliegenheit, durch Einsatz der eigenen Arbeitskraft auch langfristig den eigenen Unterhalt sicherzustellen. Für ein Vertretenmüssen i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG muss eine Verletzung dieser Obliegenheit nach Art, Umfang und Dauer von einigem Gewicht sein. Die Verhängung von Sperrzeiten durch die Arbeitsverwaltung oder sonstige leistungsrechtliche Reaktionen auf die Verletzung sozialrechtlicher Obliegenheiten können für das Vertretenmüssen eine gewisse Indizwirkung haben. Beruht der Leistungsbezug auf Umständen, die dem Verantwortungsbereich des Einbürgerungsbewerbers zuzurechnen sind, unterbricht allein der Umstand, dass dieser inzwischen wegen seines Alters und aus gesundheitlichen Gründen seinen Lebensunterhalt nicht selbst durch Einsatz seiner Arbeitskraft bestreiten kann, den einbürgerungshindernden Zurechnungszusammenhang nicht. Ein Einbürgerungsbewerber hat für ein ihm zurechenbares und für aktuelle Sozialhilfeleistungen mitursächliches Verhalten nach Ablauf einer Frist von acht Jahren nicht mehr einzustehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 19.02.2009, a.a.O.).

Ein Vertretenmüssen ist gegeben, wenn sich der Einbürgerungsbewerber nicht oder nicht hinreichend um die Aufnahme einer Beschäftigung bemüht, wenn er durch ihm zurechenbares Verhalten zu erkennen gibt, dass er nicht bereit ist, eine ihm zumutbare Beschäftigung unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes - ggf. auch abweichend von seiner bisherigen Qualifikation und auch zu ungünstigeren Lohn- oder Arbeitsbedingungen - anzunehmen oder wenn es zu einem Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund verhaltensbezogener Ursachen kommt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 12.03.2008 - 13 S 1487/06 - NVwZ-RR 2008, 839; NdsOVG, Urt. v. 13.11.2013 - 13 LB 99/12 - juris; Berlit, a.a.O., Rn. 259 f.; Hailbronner, in: Hailbronner/ Renner/Maaßen, StAR, 5. Aufl., § 10 Rn. 43). Nicht zu vertreten hat ein arbeitsfähiger Einbürgerungsbewerber den Leistungsbezug, wenn er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und sich hinreichend intensiv um Arbeit bemüht, aber aus konjunkturellen Gründen oder deswegen keine nach dem Maßstab des § 8 Abs. 1, § 10 SGB II zumutbare Beschäftigung findet, weil er objektiv vermittlungshemmende Merkmale, wie Alter, Krankheit, fehlende Qualifikation - deren Eintritt er selbst nicht zurechenbar verursacht hat - aufweist. Ebenso nicht zu vertreten hat der Einbürgerungsbewerber einen Leistungsbezug wegen Verlusts des Arbeitsplatzes aufgrund gesundheitlicher, betriebsbedingter oder konjunktureller Ursachen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 06.07.2007 - 5 ZB 06.1988 - juris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 12.03.2008, a.a.O.; NdsOVG, Urt. v. 13.11.2013, a.a.O. ; Berlit, a.a.O., § 10 Rn. 266 ff.).

Die Darlegungs- und Beweislast für das Nichtvertretenmüssen trägt angesichts der gesetzlichen Konstruktion von Regel und Ausnahme - und weil es sich typischerweise um Umstände handelt, die seiner persönlichen Sphäre entstammen - der Einbürgerungsbewerber (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.02.2009, a.a.O.; NdsOVG, Urt. v. 13.11.2013, a.a.O. ; Berlit, a.a.O., § 10 Rn. 254; Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, § 86 AuslG Rn. 29, 53 <Stand: Juni 1998>; Marx, Kommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, § 86 AuslG Rn. 7; a.A. - ohne Begründung - Hailbronner, a.a.O., § 10 Rn. 39).

bb) Der Kläger bezieht für sich und die Familienangehörigen in seiner Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. Diesen Leistungsbezug hat er nach den dargelegten Grundsätzen aufgrund seines starken Nikotinkonsums zu vertreten. Denn dieser vom Kläger zu verantwortende Konsum durch häufiges Rauchen von Zigaretten ist im wesentlichen prägend für den die Vermittlungsfähigkeit des Klägers erheblich einschränkenden und daher für den Leistungsbezug ursächlichen Gesundheitszustand des Klägers.

Nach der gutachterlichen Äußerung der Gutachterin der Agentur für Arbeit vom 23.11.2009 beruht die eingeschränkte Vermittlungsfähigkeit des Klägers auf seiner chronischen Erkrankung der Atemwege, der Erkrankung im Bereich der Speiseröhre und einer eingeschränkten Belastung der Wirbelsäule. Der Kläger ist danach für mindestens drei Stunden für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig. Auszuschließen sind Tätigkeiten mit die Lunge schädigenden Substanzen wie Rauch, Staub, Gase und Dämpfe, anhaltende Zwangshaltungen, schweres Heben und Tragen sowie häufiges Bücken. Hilfreich für die Verbesserung der Atmung wäre die Einstellung des Nikotinkonsums. Diese Feststellungen der Gutachterin decken sich mit denen des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2014. Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, denen der Senat aufgrund seines eigenen Eindrucks folgt, ist der Kläger aufgrund seiner Atemwegerkrankung insbesondere zu Tätigkeiten, die seine Lunge belasten könnten, nicht in der Lage. Er ist darauf angewiesen, wegen seiner eingeschränkten Lungenfunktion halbstündlich ein Medikament in der Form eines Sprays zu nehmen. Der Kläger raucht weiterhin Zigaretten, derzeit ca. 30 pro Tag. Diesen Gesundheitszustand bestätigen die vom Kläger vorgelegten Atteste seiner Hausärztin ... vom 10.01.2014 und des Arztes ... vom 17.01.2014. Nach den Feststellungen im Attest vom 10.01.2014 hat sich das Asthma bzw. die chronisch obstruktive Lungenerkrankung in den letzten Jahren erheblich verschlechtert, so dass der Kläger nach geringen körperlichen Belastungen völlig außer Atem kommt und die Einschränkung der Lungenfunktion die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bedingt. Gemäß den Feststellungen im Attest vom 17.01.2014 hat die Belastbarkeit des Klägers durch seine chronisch obstruktive Lungenkrankheit abgenommen, so dass er zittert, wenn er sich länger anstrengt, und ihm nur eine Arbeitszeit von drei Stunden zuzumuten ist und am Arbeitsplatz auch möglichst wenig inhalative Noxen und möglichst wenig Temperaturwechsel auftreten sollten.

Das Vermittlungshemmnis hat seine Ursache im Verantwortungsbereich des Klägers. Er hat durch seinen starken Nikotinkonsum in den letzten Jahren seit 2007 die maßgebliche Ursache für seine deutlich eingeschränkte Erwerbsfähigkeit gesetzt. Dieser Umstand liegt in seinem Verantwortungsbereich und ist von ihm zu vertreten. Der sinngemäße Einwand des Kläger-Vertreters in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, es handele sich um eine Sucht, die der Kläger nicht steuern und beherrschen könne, ist unbegründet. Nach dem Attest vom 17.01.2014 hat der Kläger zweimal das Rauchen für längere Zeit aufgegeben, einmal für acht Monate und einmal für ein Jahr lang. Konkrete Umstände, warum es ihm nicht möglich war, dauerhaft das Rauchen einzustellen, hat der Kläger nicht dargelegt. Aus welchen Gründen der Kläger nach diesen Phasen das Rauchen wieder aufgenommen hat, ist nicht dargelegt. Die pauschale Behauptung, es handele sich um eine nicht steuerbare Sucht, ist gerade angesichts der zwei längeren Phasen der Abstinenz nicht nachvollziehbar und zeigt keine Tatsachen auf, die auf eine außerhalb des Verantwortungsbereichs des Klägers liegende, nicht beherrschbare Sucht hindeuten könnten. Bereits durch die gutachterliche Äußerung der Gutachterin der Agentur für Arbeit vom 23.11.2009 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass die Einstellung des Nikotinkonsums hilfreich für die Verbesserung der Atmung wäre. Nachhaltige Bemühungen hierzu sind gleichwohl nicht festzustellen.

Der starke Nikotinkonsum des Klägers in den Jahren ab 2007, als nach seiner Schilderung eine wirtschaftlich schwierige, später krisenhafte Situation für ihn eintrat, ist für den Bezug von SGB II prägend. Er führte beim Kläger, der nach seinem eigenen, für den Senat nachvollziehbaren Vortrag bis dahin ohne Einschränkungen voll erwerbsfähig war und zusammen mit seiner Ehefrau seinen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen bestreiten konnte, zu einer sehr starken Einschränkung seiner Lungenfunktion und damit entscheidend zu seiner beschränkten Vermittlungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Dieser Umstand ist auch in zeitlicher Hinsicht zu berücksichtigen. Das starke Rauchen des Klägers ab 2007 liegt nicht bereits mehr als acht Jahre zurück. Unerheblich ist insoweit, dass nach dem Attest vom 17.01.2014 der Kläger seit der Jugend raucht. Denn dieser Konsum hatte bis 2007 nicht zu negativen Folgen für die Leistungs-, Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des Klägers geführt.

Hinzu kommen - ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme, da sich das Vertretenmüssen bereits aus dem Nikotinkonsum des Klägers ergibt - die Leistungskürzungen des Klägers bei seinem Bezug von Leistungen nach SGB II. Vom 01.04.2009 bis zum 30.06.2009 waren die Leistungen des Klägers wegen eines Terminversäumnisses um 10 % und vom 01.10. bis 31.12.2010 wegen der Ablehnung einer Arbeit um 30 % gekürzt worden. Aktuell erfährt der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, Leistungskürzungen, da er sich entgegen der Aufforderung der Agentur für Arbeit auf von dieser ihm benannte offene Stellen nicht beworben hat. Die Leistungskürzungen beim Bezug von Leistungen nach SGB II sind Indizien dafür, dass der Kläger den Leistungsbezug zu vertreten hat. Diese Indizien hat er nicht ausgeräumt. Die für das Unterlassen von Bewerbungen vom Kläger angegebenen Gründe, dass sich seine Tochter in einer Ausbildung befinde, dass sein Sohn schon lange arbeitslos sei, dass er Brot kaufen müsse und kein Geld für Bewerbungen ausgeben könne, sind nicht geeignet, das Versäumnis, sich auf offene Stellen zu bewerben, zu rechtfertigen.

c) Der Einbürgerung nach § 10 StAG steht auch entgegen, dass der Kläger seine türkische Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben oder verloren hat und von dem Erfordernis, die bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben, im Fall des Klägers nicht abgesehen werden kann.

Die Einbürgerung nach § 10 StAG setzt voraus, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG). Dies entspricht § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG a.F. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil ausgeführt, dass der Kläger noch türkischer Staatsangehöriger ist. Hierauf nimmt der Senat Bezug. Der Kläger macht mit der Berufung nicht mehr geltend, er habe die türkische Staatsangehörigkeit verloren.

Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG kann nicht nach § 12 Abs. 1 StAG abgesehen werden. Ein solches Absehen sieht § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG vor, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann. Das ist u.a. anzunehmen, wenn der ausländische Staat die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit aus Gründen versagt hat, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, oder von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht oder über den vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag nicht in angemessener Zeit entschieden hat (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG). Diese Voraussetzungen des Absehens entsprechen denen des § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 StAG a.F.

aa) Zu § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG macht der Kläger nicht geltend, dass die Variante 1 (Versagung der Entlassung aus der Staatsangehörigkeit aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat) oder die Variante 3 (keine Entscheidung über den vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag in angemessener Zeit) vorliegt. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Beide Varianten setzen einen vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag voraus. Für Variante 3 regelt das Gesetz das ausdrücklich. Für Variante 1 folgt diese Voraussetzung daraus, dass der Herkunftsstaat über den Entlassungsantrag negativ entschieden haben muss („Versagung“) und die Ablehnung vom Ausländer zu vertreten ist, wenn er keinen vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag gestellt hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.11.2002 - 13 S 810/12 - DVBl. 2003, 469, zum gleichlautenden § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AuslG a.F.; Urt. v. 24.11.2005 - 12 S 1695/05 - InfAuslR 2006, 230; Berlit, a.a.O., § 12 Rn. 77 ff., 82 ff. <Stand: November 2010>; Hailbronner, a.a.O., § 12 Rn. 18, 33; Münch, in: Marx: Ausländer- und Asylrecht. Verwaltungsverfahren. Prozess, 2. Aufl., § 7 Rn. 150). Dieses Erfordernis ist auch sachgerecht, da die Fälle, in denen es unzumutbar ist, einen solchen Antrag zu stellen, von Variante 2 erfasst werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.11.2002, a.a.O.). Der Kläger hat nicht nachgewiesen, einen vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag gestellt zu haben, obwohl er von dem Beklagten mehrfach hierzu aufgefordert worden ist. Zwar hat er eine Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats Stuttgart vom 24.09.2003 vorgelegt, dass sein Antrag vom 24.09.2003 zur Ausbürgerung aus der türkischen Staatsangehörigkeit an das Innenministerium weitergeleitet worden sei. Ob es sich um einen formgerechten und vollständigen Antrag handelt, ist jedoch nicht festzustellen.

bb) Auch die Voraussetzungen eines Absehens nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Variante 2 StAG, dessen Auslegung unstreitig vollständig der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt (vgl. NdsOVG, Urt. v. 08.02.2012 - 13 LC 240/10 - InfAuslR 2012, 191; Berlit, a.a.O., § 12 Rn. 106), sind nicht gegeben. Die Entlassungsbedingungen des türkischen Staates sind weder abstrakt-generell unzumutbar (1) noch wirken sie sich konkret im Fall des Klägers unzumutbar aus (2).

(1) Nach der Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 18.10.2011 gegenüber dem Verwaltungsgericht (vgl. Bl. 114 ff. der Akte des Verwaltungsgerichts) bestimmte das Änderungsgesetz Nr. 5380 vom 02.07.2005 zum türkischen Militärgesetz Nr. 1111:

"Der Wehrdienst von Wehrpflichtigen, die im Ausland leben, kann bis zum Ende des 38. Lebensjahres zurückgestellt werden.

Betroffene müssen einen Betrag von insgesamt Euro 5.112.- bezahlen. Dieser Betrag kann bei Anmeldung im voraus oder bis zum Ende des 38. Lebensjahr in höchstens vier gleichen Raten bezahlt werden, wobei die erste Rate bei der Anmeldung bezahlt werden muss. Die Militärausbildung für diesen Personenkreis dauert 21 Tage.

Diejenigen, die bis zum Ende des 38. Lebensjahrs sich nicht angemeldet oder trotz Abmeldung den Wehrdienst nicht angetreten oder nicht bezahlt haben, können dennoch mit einer einmaligen Zahlung von Euro 7.668.- von den Bestimmungen dieses Gesetzes profitieren."

Die Freikaufsumme wurde nach der vom Senat eingeholten Auskunft des Bundesministerium des Innern vom 26.11.2013 (vgl. Bl. 107 ff. der Berufungsakte) zum 15.12.2011 einheitlich auf 10.000.-- EUR erhöht, zum 20.07.2013 wiederum einheitlich auf 6.000.-- EUR herabgesetzt. Derzeit kann mithin nach Ableistung einer Militärausbildung von 21 Tagen ein Freikauf gegen ein Betrag von 6.000.-- EUR erfolgen.

Der türkische Staat stellt damit im Regelfall keine unzumutbaren Bedingungen für die Ableistung des Wehrdienstes und des Freikaufs hiervon. Eine Unzumutbarkeit ist anzunehmen, wenn die Entlassungsbedingungen des Heimatstaates abstrakt-generell unzumutbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.02.2013 - 5 C 9.12 - NVwZ 2013, 867). Dies ist nicht nur zu bejahen, wenn gesetzliche Regelungen des Heimatstaates unzumutbare Entlassungsbedingungen vorsehen. Eine abstrakt-generelle Unzumutbarkeit liegt vielmehr auch vor, wenn eine generell geübte Verwaltungspraxis des Heimatstaates unzumutbare Entlassungsbedingungen begründet (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.05.2007 - 5 C 3.06 - BVerwGE 129, 20; Urt. v. 30.06.2010 - 5 C 9.10 - BVerwGE 137, 237; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.09.2008 - 13 S 1812/07 - NVwZ-RR 2009, 354; OVG NRW, Urt. v. 25.09.2008 - 19 A 1221/04 - juris).

Danach liegt keine abstrakt-generelle Unzumutbarkeit der gegenwärtigen türkischen Entlassungsbedingungen vor. Angesichts des Umstandes, dass die im Grundsatz nicht zu beanstandende Wehrpflicht des türkischen Staates von demjenigen, der sich freikauft, nicht mehr zu leisten ist und dieser dadurch einen erheblichen Vorteil erfährt, ist ein Freikaufbetrag von 6.000.-- EUR nicht als überhöht anzusehen und daher nicht zu beanstanden.

(2) Die Entlassungsbedingungen des türkischen Staates sind auch nicht konkret-individuell betrachtet unzumutbar. Dabei kann der Senat offen lassen, wie der Begriff der konkret-individuellen Unzumutbarkeit zu bestimmen ist. Denn nach jeder Betrachtungsweise ist im Fall des Klägers eine konkret-individuelle Unzumutbarkeit zu verneinen.

(a) Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 21.02.2013 - 5 C 9.12 - ausgeführt, der Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Variante 2 StAG lasse bei der Bestimmung des Begriffs der Unzumutbarkeit eher auf das Erfordernis einer abstrakt-generellen Prüfung schließen. Ob die darüber hinaus erforderliche individuelle Prüfung des Vorliegens besonders schwieriger Bedingungen ebenfalls von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Variante 2 StAG gefordert wird oder als gesonderter Prüfungsschritt im Rahmen des § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG zu erfolgen hat, könne offen bleiben, da keine Tatsachen vorlägen, die das im dortigen Verfahren streitige Volljährigkeitserfordernis im konkreten Einzelfall als unzumutbare oder besonders schwierige Bedingung erscheinen ließen. Sei eine Entlassungsvoraussetzung generell betrachtet zumutbar, dann habe dies zur Folge, dass die betroffenen Ausländer in der Regel die Bedingung erfüllen müssten, um nach Entlassung aus der fremden Staatsangehörigkeit in den deutschen Staatsverband aufgenommen zu werden. Schon aus Gleichbehandlungsgründen müsse für die Annahme einer hiervon befreienden individuell-konkreten Unzumutbarkeit eine vom Regelfall abweichende atypische Belastungssituation vorliegen, die bei wertender Betrachtung nach nationalem Recht nicht hinzunehmen sei (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.02.2013, a.a.O.; dazu: Fleuß, jurisPRBVerwG 11/2013 Anm. 4; Häußler, DVBl. 2013, 1228, 1233).

Nach der bisher herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist bei der Prüfung der konkreten Unzumutbarkeit von Entlassungsbedingungen entscheidend, ob dem Einbürgerungsbewerber nach seinen konkreten Verhältnissen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Erfüllung der Entlassungsbedingungen nach Maßgabe eines objektivierenden normativen Maßstabs aus nationaler Sicht zuzumuten ist. Die bloß subjektiv definierte Unzumutbarkeit reicht dabei allerdings nicht aus. Auf der anderen Seite schließt allein der Umstand, dass eine Entlassungsbedingung dem Grunde nach in rechtsvergleichender Sicht jedenfalls nicht unüblich ist und den Rahmen des in der Staatenpraxis Üblichen wahrt, deren Unzumutbarkeit im Einzelfall nicht aus (vgl. NdsOVG, Urt. v. 08.02.2012, a.a.O.; ähnlich: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 24.09.2008, a.a.O.; NdsOVG, Urt. v. 13.11.2013, a.a.O.; VG Aachen, Urt. v. 18.05.2009 - 5 K 1815/08 - juris; VG Freiburg, Urt. v. 25.01.2012 - 2 K 1237/10 - juris; VG Stuttgart, Urt. v. 15.08.2013 - 11 K 3272/12 - AuAS 2013, 208; Berlit, a.a.O., § 12 StAG Rn. 107 f.). Dabei ziehen die Gerichte häufig die zum Staatsangehörigkeitsgesetz erlassenen Anwendungshinweise und Verwaltungsvorschriften heran. Diese gehen zum einen von einer regelmäßig oder stets zumutbaren Freikaufsumme aus und stellen zum anderen auf die Einkommensverhältnisse des Einbürgerungsbewerbers ab. Sie führen mithin im Zweifel zu einer stärker auf den Einzelfall bezogenen Prüfung der Zumutbarkeit als der Maßstab aus der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Die Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Integration Baden-Württemberg zum Staatsangehörigkeitsgesetz (VwV StAG) vom 08.07.2013 bestimmt zur Unzumutbarkeit im Hinblick auf die Leistung der Wehrpflicht, dass der Freikauf in der Regel unzumutbar ist, wenn das Dreifache eines durchschnittlichen Bruttomonatseinkommens des Einbürgerungsbewerbers überschritten wird, und dass ein Betrag von 5.000.-- EUR regelmäßig zumutbar ist. Diese Verwaltungsvorschrift kann nach Auffassung des Senats, wenn man von der bisherigen Auslegung des Begriff der Zumutbarkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ausgehen sollte, eine sachgerechte Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs darstellen.

(b) Nach diesen Grundsätzen der bisher h.M. in der Rechtsprechung und Literatur ist eine Unzumutbarkeit im Fall des Klägers nicht gegeben. Insbesondere aus den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers ergibt sich eine solche nicht. Der Kläger hat hierzu im wesentlichen lediglich vorgetragen, Leistungen nach SGB II für sich und seine Familienangehörigen zu beziehen, ohne Einzelheiten hierzu anzugeben oder einen vollständigen Bescheid über Leistungen nach SGB II vorzulegen. Den Bezug von Leistungen nach dem SGB II zugrundegelegt, lässt sich eine Unzumutbarkeit nicht feststellen. Zwar würde nach dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat der Freikaufbetrag von 6.000.-- EUR das Dreifache des Bruttomonatseinkommens des Klägers übersteigen. In die Gesamtabwägung sind hier jedoch die Freikaufmöglichkeiten aus der Vergangenheit einzustellen. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG, dass nach Ablauf von acht Jahren ein für aktuelle Sozialhilfeleistungen mitursächliches Verhalten dem Einbürgerungsbewerber nicht mehr entgegengehalten werden kann, ist nicht übertragbar. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Rechtsprechung mit der Zielsetzung des Gesetzes, einer Zuwanderung in die Sozialsysteme entgegenzuwirken, begründet. Der Zusammenhang zwischen zu verantwortendem vergangenen Verhalten und späteren Fernwirkungen verliere nach diesem Sinn und Zweck der Regelung im Zeitverlauf an Gewicht. Zudem sei Regelvorstellung, dass der Einbürgerungsbewerber, der den gegenwärtigen Leistungsbezug zu vertreten habe, dies durch eine Verhaltensänderung (z.B. hinreichend intensive Bemühungen um eine Beschäftigung) auch solle beeinflussen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.02.2009, a.a.O.). § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG ist in all seinen drei Varianten dadurch geprägt, dass der Einbürgerungsbewerber die Nichtentlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht zu vertreten hat (vgl. Berlit, a.a.O., § 1 2 Rn. 75). Für die Erfüllung der Wehrpflicht und eines etwaigen Freikaufs von dieser ist insoweit von Bedeutung, dass die Wehrpflicht international weit verbreitet und anerkannt ist, dass die Erfüllung einer gesetzlichen Wehrpflicht im Grundsatz zu den statthaften und abstrakt zumutbaren Entlassungsvoraussetzungen gehört, dass Einbürgerungsbewerber die Entlassungsbedingungen des Heimatstaates regelmäßig ohne größere Schwierigkeiten kennen können und sich grundsätzlich darauf einstellen können, ob und wie sie diese Entlassungsbedingungen erfüllen wollen. Daher kann für die Zumutbarkeit eines Freikaufs auch relevant sein, wie frühzeitig sich der Betroffene um einen solchen Freikauf bemüht hat oder ob er ihm zumutbare Möglichkeiten des Freikaufs ungenutzt verstreichen ließ (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.11.2010 - 5 C 12.10 - NVwZ 2011, 760, zur Bemühung um den Rückerwerb einer früheren Staatsangehörigkeit im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung). Die Tatsache, dass ein Einbürgerungsbewerber die ihm zumutbare Möglichkeiten des Freikaufs nicht nutzte, kann daher in einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände bei der Frage der Zumutbarkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Variante 2 StAG Berücksichtigung finden.

Für den Kläger bestand vor dem 01.01.2002 die Möglichkeit, den Freikauf durch eine Zahlung von 10.000.-- DM zu erreichen. Diese Möglichkeit war für ihn zumutbar. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht auf Sozialhilfeleistungen oder andere staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen. Vielmehr betrieb er nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu dieser Zeit erfolgreich den Imbiss im ... sowie drei weitere Imbisswagen. Für den Erwerb einer Eigentumswohnung in der Türkei hatte er zu diesem Zeitpunkt einen Kredit von der Bank über 50.000.-- DM erhalten. Von der Freikaufsumme von 10.000.-- DM hatte er im Oktober 2001 2.500.-- DM bereits geleistet. Er wollte nach seinem eigenen Vorbringen die restliche Summe von 7.500.-- DM im Generalkonsulat bezahlen - und war dazu offenkundig in der Lage -, unterließ diese Zahlung jedoch bei dem Termin im Generalkonsulat, da er - anscheinend zu Beginn des Jahres 2002, nach Vollendung des 38. Lebensjahrs - einen Tag zu spät kam. Den hierfür angegebenen Grund, dass er sich als Selbstständiger zuvor nicht habe frei nehmen können, hat er ebenso zu vertreten wie den Umstand, dass er zuvor den Freikauf über Jahre vor sich hergeschoben hatte. Der derzeitige Gesamtbetrag von 6.000.-- EUR ist zwar - unabhängig von der Frage, ob die damalige Zahlung von 2.500.-- DM heute noch angerechnet würde oder nicht - für den Kläger angesichts seines derzeitigen Bezugs von Leistungen nach SGB II ein sehr erheblicher Betrag. Dies führt jedoch bei einer Gesamtbetrachtung nicht zur Unzumutbarkeit im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Variante 2 StAG, da der maßgebliche Grund für diese Belastung darin liegt, dass der Kläger die Möglichkeit des Freikaufs gegen 10.000.-- DM vor dem 01.01.2002 ungenutzt ließ. Zudem liegt die derzeitige Freikaufsumme von 6.000.-- EUR zwar über der damaligen von 10.000.-- DM, der Mehrbetrag beträgt jedoch lediglich 888.-- EUR.

Auf Nr. 12.1.2.3.2.2 der VwV StAG vom 08.07.2013 zu Einbürgerungsbewerbern, die über 40 Jahre alt sind und seit mehr als 15 Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Herkunftsstatt haben, davon mindestens zehn Jahre im Inland, kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Denn auch wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, liegt keine konkret-individuelle Unzumutbarkeit vor, wenn dem Einbürgerungsbewerber der Freikauf von der Wehrpflicht zumutbar ist.

(c) Nach dem Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts wirken sich die abstrakt-generell zumutbaren Regelungen des türkischen Staates zum Freikauf von der Wehrpflicht für den Kläger nicht unzumutbar aus. Es sind keine atypischen Umstände des Einzelfalls dargelegt oder ersichtlich, die so bedeutsam sind, dass für den Kläger im Verhältnis zu sonstigen Einbürgerungsbewerbern besondere nicht hinzunehmende Belastungen eintreten. Auch aus den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers ergeben sich solche Umstände nicht. Allein aus der Tatsache des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II kann ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine atypische Sondersituation des Klägers folgen, die ihn wesentlich härter betrifft als vergleichbare Einbürgerungsbewerber. Denn für jeden Einbürgerungsbewerber, der Leistungen nach SGB II bezieht, stellt die Freikaufsumme von 6.000.-- EUR eine vergleichbare Belastung dar. Hierzu hinzutretende besondere Umstände hat der Kläger für seinen Fall nicht dargelegt. Gegen eine besondere Belastungssituation spricht hingegen, dass der Kläger vor Vollendung des 38. Lebensjahres die zumutbare Möglichkeit des Freikaufs gegen 10.000.-- DM hatte, die er nicht wahrnahm, weil er die Angelegenheit vor sich herschob.

cc) Auch ein Absehen vom Erfordernis des Verlusts oder der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit nach anderen Bestimmungen kommt nicht in Betracht.

Die insoweit günstigere Bestimmung des § 12 Abs. 3 StAG a.F. - nach der von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 abgesehen werden kann, wenn der ausländische Staat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit von der Leistung des Wehrdienstes abhängig macht und der Ausländer den überwiegenden Teil seiner Schulausbildung in deutschen Schulen erhalten hat und im Inland in deutsche Lebensverhältnisse und in das wehrpflichtige Alter hineingewachsen ist - kann auf den Kläger, wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, keine Anwendung finden, da er nie eine deutsche Schule besucht hat.

Auch für ein Absehen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StAG liegen die Voraussetzungen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist anzunehmen, dass der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann, wenn der Einbürgerung älterer Personen ausschließlich das Hindernis eintretender Mehrstaatigkeit entgegensteht, die Entlassung auf unverhältnismäßige Schwierigkeiten stößt und die Versagung der Einbürgerung eine besondere Härte darstellen würde. Der Kläger ist bereits keine ältere Person in diesem Sinne. Zumindest im Regelfall sind nur Ausländer ab Vollendung des 60. Lebensjahrs erfasst (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.06.2010, a.a.O.; Berlit, a.a.O., § 12 Rn. 208). Unverhältnismäßige Schwierigkeiten gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StAG sind nur altersbedingte Erschwernisse. Die Unverhältnismäßigkeit muss gerade auf das fortgeschrittene Lebensalter des Einbürgerungsbewerbers zurückzuführen sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.06.2010, a.a.O.; OVG NRW, Urt. v. 26.11.2009 - 19 A 1448/07 - juris). Solche Schwierigkeiten sind weder dargelegt noch ersichtlich.

Schließlich kommt auch ein Absehen nach § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG nicht in Betracht. Dabei kann offenbleiben, ob § 12 Abs. 1 Satz 2 StAG eine abschließende Regelung darstellt oder § 12 Abs. 1 Satz 1 StAG eine Auffangklausel für von § 12 Abs. 1 Satz 2 StAG nicht erfasste Fälle ist (vgl. dazu nur: Berlit, a.a.O., § 12 Rn. 23 ff.). Denn für sonstige, von § 12 Abs. 1 Satz 2 StAG nicht geregelte besonders schwierige Bedingungen der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit ist im Fall des Klägers nichts ersichtlich. [...]