VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Urteil vom 19.06.2013 - 2 K 20082/12 We - asyl.net: M21810
https://www.asyl.net/rsdb/M21810
Leitsatz:

Für eine Person, die wegen kommunistischer Aktivtiäten in der Türkei verurteilt wurde, besteht bei Rückkehr in die Türkei die Gefahr, dass sie bei der Einreise, der Durchleitung oder am Zielort wegen dieses Merkmals unter den Generalverdacht der Systemfeindschaft gerät, dies insbesondere auch in Form der individuellen, staatlich nicht veranlassten Exzessreaktionen eines Einzelnen.

Schlagwörter: Türkei, KIH, Kommunist Isci Hareketi, Kommunisten, Generalverdacht, Verdacht, Systemfeindschaft, Systemfeid, Amtswalterexzess, erhebliche individuelle Gefahr, konkrete Gefahr, Rückkehrgefährdung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Dem Kläger drohen bei einer Rückkehr in die Türkei jedoch landesweit Gefahren, die ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG begründen.

Nach dieser Vorschrift, soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für die Annahme einer solchen Gefahr genügt indes nicht die lediglich denkbare Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden. Gefordert ist vielmehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines derartigen Eingriffs. Die Annahme einer "konkreten" Gefahr setzt - wie durch Satz 2 des § 60 Abs. 7 AufenthG deutlich wird - eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation voraus, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zugerechnet werden muss ( BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995, BVerwGE 99, 324 , 330; Urteil vom 12. Juli 2001, BVerwGE 115,1 , 7 ff. zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG).

Der Kläger hat zweifelsfrei dargelegt in der Türkei bereits wegen kommunistischer Aktivitäten verurteilt worden zu sein. Dies sich in weiterer Prüfung befindliche Urteil weißt ihn klar diesem Aktivitätenkreis zu. Das Urteil als solches und die darin getroffenen Feststellungen sind für sich genommen zunächst zwar nur die Sanktionierung vermeintlichen strafrechtlichen Unrechts und insoweit nicht abschiebungsverbotsbegründend, jedoch kann in der gegenwärtigen unübersichtlichen Lage in der Türkei es mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dazu fuhren, dass der Kläger bei einer Rückkehr entweder bei der Einreise, bei der Durchleitung oder in seinem Zielort wegen dieses Merkmals unter den Generalverdacht des Systemfeindes gerät. Dies insbesondere auch in Form der individuellen staatlich nicht veranlassten Exzessreaktion eines Einzelnen. Er ist durch den vorigen und den Wiederholenden Prozess hinlänglich bekannt und ist unabhängig von der "zu Recht bzw. zu Unrecht" Frage mit dem Merkmal Kommunist belegt. Unter Berücksichtigung aller angeführten Gesichtspunkte und mit Blick auf den Rang des gefährdeten Rechtsguts Leben des Klägers und der gegenwärtigen Lage gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass dem Kläger das mit einer Rückkehr verbundene Risiko derzeit nicht zugemutet werden kann. [...]