VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 27.02.2014 - 6 K 435/13.A - asyl.net: M21779
https://www.asyl.net/rsdb/M21779
Leitsatz:

Das gesellschaftliche Klima für sexuell Andersorientierte in der Russischen Föderation ist rau und diskriminierend. So werden wiederkehrend Übergriffe seitens anderer Bürger gegen LGBT-Angehörige berichtet und die Passivität der Polizei bei der Verfolgung solchen Unrechts dokumentiert. Allerdings bleiben diese Vorkommnisse punktuell und belegen nicht in der erforderlichen Dichte eine tatsächliche Verfolgung Homosexueller im ganzen Land.

Schlagwörter: Russische Föderation, Russland, homosexuell, Homosexualität, LGBT, LGBTI, lesbische Frauen, soziale Gruppe,
Normen: AsylVfG § 3, AsylVfG § 4, AsylVfG § 3b Nr. 4,
Auszüge:

[...]

2. Aber selbst wenn die Klägerin lesbisch wäre, würde ihr bei einer Rückkehr nach Russland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung im Sinne von § 3 AsylVfG oder eine erniedrigende Behandlung nach § 4 AsylVfG drohen. Die vorliegenden Quellen zur Situation von Homosexuellen in der Russischen Föderation belegen zwar, dass das gesellschaftliche Klima für sexuell Andersorientierte rauh und diskriminierend ist. So werden wiederkehrend Übergriffe seitens anderer Bürger gegen LGBT-Angehörige berichtet und die Passivität der Polizei bei der Verfolgung solchen Unrechts dokumentiert (US State Department, Russia - Human Rights Report, 2012, S. 47 f.; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. Juni 2013, S. 13 f.). Dies wird insbesondere für St. Petersburg gut dokumentiert (Kirichenko, Gutachten über die Lage von LSBT-Menschen u. a. in Petersburg, 2013). Allerdings bleiben diese Vorkommnisse punktuell und belegen nicht in der erforderlichen Dichte eine tatsächliche Verfolgung Homosexueller im ganzen Land, die den Schluss auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in der Person der Klägerin zulassen würde. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Anforderungen an eine abgrenzbare flüchtlingsrelevante soziale Gruppe nach § 3b Nr. 4 AsylVfG hinzuweisen, wie sie vom EuGH in seiner Entscheidung vom 7. November 2013 - C -199/12 - (zit. nach juris) für das Verfolgungsmerkmal einer gemeinsamen sexuellen Orientierung aufgestellt worden sind. Es ist zweifelhaft, ob die soziale Gruppe der LGBT-Angehörigen für das Herkunftsland Russland schon allein durch die lokalen Verbote oder durch das noch im Beratungsgang der Duma befindliche föderationsweite Propagandaverbot nichttraditioneller sexueller Beziehungen hinreichend sicher abgegrenzt werden kann (s. queer.de vom 25. Januar 2014 - Russland: "Propaganda"-Gesetz vor Überarbeitung). Ob hierzu allein das neulich in Kraft getretene Adoptionsverbot für Homosexuelle (vgl. queer.de vom 13. Februar 2014, Russland setzt Adoptionsverbot für Homo-Paare in Kraft) im Sinne des § 3a Nr. 2 oder 6. AsylVfG ausreicht, erscheint hinsichtlich der Verfolgungsintensität unwahrscheinlich, zumal letzteres für die Klägerin jedenfalls derzeit ohne Belang wäre. [...]