OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.03.2014 - 10 A 11139/12.OVG - asyl.net: M21770
https://www.asyl.net/rsdb/M21770
Leitsatz:

In der Türkei kommt es trotz der Reformbemühungen und der sogenannten Null-Toleranz-Politik gegenüber Folter weiterhin zu Verfolgungsmaßnahmen erheblicher Art und Intensität, die dem türkischen Staat zurechenbar sind. Insbesondere ehemalige PKK-Mitglieder, die auf Grund ihres Ranges, ihrer exilpolitischen Tätigkeit oder als potentielle Informationsquelle in den Blick türkischer Sicherheitsbehörden geraten oder gegen die Strafverfahren laufen, müssen ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrechtlichen Übergriffen rechnen.

Fehlen schwerwiegende Anhaltspunkte für wesentliche Unterstützungshandlungen bei nicht-politischen Straftaten, kommt ein Ausschluss vom Flüchtlingsschutz gem. § 3 Abs. 2 AsylVfG nicht in Betracht. Eine wesentliche Unterstützungshandlung kann nicht in einfacher Propagandatätigkeit mit überschaubarem Wirkungskreis gesehen werden.

Schlagwörter: Reformen, Nulll-Toleranz-Politik, Türkei, PKK, Exilpolitik, Folter, beachtlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, schwere nichtpolitische Straftat, Kurden, Ausschlussgrund, individuelle Verantwortung, Irak, anderweitige Sicherheit vor Verfolgung,
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 2, AsylVfG § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

In der Türkei kommt es trotz der Reformbemühungen und der sogenannten Null-Toleranz-Politik gegenüber Folter weiterhin zu Verfolgungsmaßnahmen erheblicher Art und Intensität, die dem türkischen Staat zurechenbar sind. Insbesondere ehemalige PKK-Mitglieder, die auf Grund ihres Ranges, ihrer exilpolitischen Tätigkeit oder als potentielle Informationsquelle in den Blick türkischer Sicherheitsbehörden geraten oder gegen die Strafverfahren laufen, müssen bei ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanten Übergriffen rechnen (ebenso OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A -, Juris-Rn. 107 ff., Bay. VGH, Urteil vom 27.04.2012 - 9 B 08.30203 -, Juris-Rn. 27 ff.; Sächs. OVG, Urteil vom 12.12.2011 - A 3 A 292/10-, Juris-Rn. 28 ff.; OVG Niedersachsen, Urteil vom 11.08.2010 - 11 LB 405/08 -, Juris-Rn. 47 ff.).

Bei der Einreise in die Türkei hat sich jedermann, gleich welcher Volkszugehörigkeit, einer Personenkontrolle zu unterziehen. Das gilt für abgeschobene oder freiwillig dorthin zurückkehrende Asylbewerber gleichermaßen. Ist eine Person in das Fahndungsregister eingetragen oder ist gegen sie ein Ermittlungsverfahren anhängig, wird sie in Polizeigewahrsam genommen. Ist ein Strafverfahren anhängig, wird der Betroffene festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt (AA, Lagebericht vom 26.08.2012, S. 31 f.). Aber auch wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, interessieren sich die Staatssicherheitskräfte besonders für die Kurden, deren Asylgesuche abgelehnt und die abgeschoben werden. Dieser Personenkreis wird verbreitet durch die Sicherheitskräfte verhört, um Auskünfte über die PKK zu erlangen (Aydin an VG Darmstadt, Gutachten vom 02.06.2011, S. 4). Bei Kenntnis von der Zugehörigkeit zur PKK wird die betreffende Person bei ihrer Einreise oder Abschiebung mit Sicherheit festgenommen (Irmak an VG München, Gutachten vom 15.10.2012, S. 2 f.; Taylan an Sächs. OVG, Gutachten. vom 19.01.2013, S. 8); In diesem Zusammenhang besteht für exponierte Mitglieder oder solche, von denen sich die Sicherheitskräfte Informationen über die PKK erhoffen, die Gefahr der Folter beziehungsweise Misshandlung.

Folter ist nämlich ungeachtet des Umstandes ihres Verbotes in der Türkei faktisch immer noch verbreitet. Im Jahr 2010 wurden im Osten und Südosten der Türkei 741 Folterfälle und Misshandlungen registriert. 2011 stieg diese Zahl auf 1.555. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2012 registrierten die Anwaltskammer und die Menschenrechtsvereinigung 281 Fälle von Folter und Misshandlungen (Taylan, Gutachten vom 19.01.2013, S. 11). Nach Angaben der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV wurden im Jahr 2011 insgesamt mindestens 207 Personen registriert, die angaben, im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt worden zu sein (AA, Lagebericht vom 26.08.2012, S. 24). Auch 2012 wurden Vorwürfe über Folter und andere Misshandlungen in offiziellen Hafteinrichtungen erhoben (Amnesty international, Bericht vom 23.05.2013, S. 2).

Für inhaftierte PKK-Mitglieder besteht grundsätzlich ein Risiko, im Gefängnis Opfer von Folter oder einer anderen unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung durch die Ordnungskräfte oder durch. Mitgefangene zu werden, sei es, weil Wärter oder Ordnungskräfte sie zwingen wollen, als Informant zu arbeiten, sei es, weil nach der dort vorherrschenden Auffassung alle Mitglieder oder Sympathisanten der PKK als Feinde und Verräter anzusehen sind (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht vom 26.05.2010, S . 4; Amnesty International, Länderbericht Türkei; Dezember 2010, S. 9; vgl. auch AA, Lagebericht vom 26.08.2012, S. 24). Aufgrund zunehmender Kontrolle in den Gefängnissen werden Opfer nun häufiger an unbeobachteten Orten und außerhalb der Gefängnisse misshandelt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht vom 20.12.2010; S. 12 f.). Das Auswärtige Amt teilt diese Einschätzung unter Hinweis darauf, dass Straflosigkeit der Täter in Folterfällen weiterhin ein ernstzunehmendes Problem ist (AA, Lagebericht vom 26.08.2012, S. 24).

Die dargestellten vielfältigen Hinweise darauf, dass in der Türkei weiterhin in erheblichem Umfang Folter angewandt wird, vermag die Aussage des Auswärtigen Amtes, wonach in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit seinen früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei, nicht zu entkräften (AA, Lagebericht vom.26.08.2012, S. 31 f.). Angesichts der nahezu einhelligen Maßstäbe in der obergerichtlichen Rechtsprechung ist nämlich schon fraglich, wie häufig überhaupt Personen aus der Bundesrepublik Deutschland zurückgeschoben wurden, bei denen mit asylrelevanten Übergriffen zu rechnen gewesen wäre. Im Übrigen räumt das Auswärtige Amt an anderer Stelle selbst ein, dass es der Türkei trotz gesetzgeberischer Maßnahmen und einiger Verbesserungen nicht gelungen ist, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden (AA, Lagebericht vom 26.08.2012, S. 24).

Im hier vorliegenden Einzelfall kommen mehrere Umstände zusammen, die dazu führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei seiner Rückkehr in die Türkei eine asylrelevante Verfolgung fürchten muss. Das gilt, obwohl der Senat die Behauptung des Klägers, Sicherheitsbehörden hätten bei seiner Familie in der Türkei schon mehrfach nach ihm gefragt, für unglaubhaft hält. Entsprechende Angaben hat er nämlich erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gemacht und sich vor dem Bundesamt noch anders eingelassen. Auch ohne solche konkreten Hinweise auf Nachforschungen ist aber mit einer Ingewahrsamnahme des Klägers gleich bei seiner Einreise zu rechnen. Er kehrte als abgelehnter kurdischer Asylbewerber in die Türkei zurück, der bereits eine zehnjährige Haftstrafe wegen seiner Mitgliedschaft in der PKK verbüßt hat. Hinzu kommt, dass er sich der Ableistung seines Wehrdienstes entzogen hat. Ist schon deshalb ein eingehendes Verhör des Klägers in hohem Maße wahrscheinlich, kann er bei einer solchen Befragung seinen Aufenthalt und seine Tätigkeit seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Jahr 1990 nicht schlüssig erklären, so dass sich eine Tätigkeit für die PKK angesichts der Vorgeschichte des Klägers geradezu aufdrängt. Darüber hinaus ist angesichts der engmaschigen Informationen, die den türkischen Sicherheits- und Nachrichtendienstbehörden über die PKK zur Verfügung stehen (vgl. hierzu Kaya, Gutachten an VG Chemnitz vom 12.08.2007, S. 17) und der langjährigen Aktivitäten des Klägers innerhalb der PKK davon auszugehen, dass der Name des Klägers bekannt ist. Aus Sicht der Behörden bietet eine Befragung des Klägers daher die Möglichkeit, bislang unbekannte Informationen über die PKK und ihre Mitglieder zu erlangen oder zumindest bekannte Informationen zu verifizieren. Vor dem dargestellten Hintergrund besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Informationsabschöpfung mit einer erniedrigenden oder menschenrechtswidrigen Behandlung einhergeht.

Die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter ist nicht nach § 3 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen. Die dort genannten Ausschlussgründe gelten zwar entgegen ihrem Wortlaut nicht nur für den Status als Flüchtling, sondern auch für denjenigen als Asylberechtigter (1). Der Kläger trägt aber weder individuelle Verantwortung für die Verübung schwerer nichtpolitischer Straftaten (2), noch kann ihm angesichts seiner konkreten Tatbeiträge vorgeworfen werden, den Zielen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt zu haben (3).

1. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG ist die Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Betreffende eine schwere nichtpolitische Straftat begangen hat, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG gilt dasselbe für denjenigen, der den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat. Satz 2 der Regelung dehnt die Rechtsfolgen auf diejenigen Ausländer aus, die andere zu solchen Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

Entgegen dem Wortlaut der Norm gilt dies nicht nur für den Ausschluss der Anerkennung als Flüchtling, sondern auch für den Ausschluss der Anerkennung als Asylberechtigter. Dies folgt aus § 30 Abs. 4 AsylVfG, wonach ein Asylantrag, der nach § 13 AsylVfG grundsätzlich sowohl auf die Anerkennung als Asylberechtigter als auch auf die Anerkennung als Flüchtling gerichtet ist, auch dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen (BVerwG, Urteile vom 04.09.2012 - 10 C 13.11 - BVerwGE 144, 127, Juris-Rn. 18). Die einfachgesetzliche Erstreckung der Ausschlussklauseln auf Asylberechtigte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da der deutsche Gesetzgeber damit lediglich seiner Verpflichtung zur innerstaatlichen Anwendung des Unionsrechts nachkommt (BVerwG, Urteil vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 - BVerwGE 140, 114, Juris-Rn. 33 und vom 31.03.2011 - 10 C 2.10 - BVerwGE 139, 272, Juris-Rn. 54).

Mit Art. 3 Abs. 2 AsylVfG hat der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 2 und 3 RL 2004/83/EG (nunmehr Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt (BVerwG, Beschluss vom 14.10.2008 - 10 C 48.07- BVerwGE 132, 79, Juris-Rn. 16). Art. 3 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat einer vom Flüchtlingsstatus ausgeschlossenen Person nach nationalem Recht nur dann einen Schutzstatus zuerkennen darf, wenn eine Verwechslung mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Richtlinie ausgeschlossen ist (EuGH, Urteil vom 09.11.201.0 -C-57/09 und C-101/09-, Juris-Rn. 121). Eine solche Verwechslungsgefahr besteht aber in Bezug auf die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung, da sich deren Schutzbereiche in weiten Teilen decken (BVerwG, Urteil vom 07.07.2011 -10 C 26.10 - BVerwGE 140, 114, Juris-Rn. 32). Es ist der Bundesrepublik Deutschland damit im Ergebnis verwehrt, die Asylanerkennung zuzusprechen, wenn Ausschlussgründe für die Flüchtlingseigenschaft verwirklicht sind.

2. Der Kläger muss sich den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG nicht entgegenhalten lassen, da er keine individuelle Verantwortung für diese Taten trägt. [...]

Gemessen an diesen Vorgaben liegen keine klaren Indizien von hinreichendem Gewicht dafür vor, dass der Kläger eigenhändig schwere Straftaten gegenüber Angehörigen der Zivilbevölkerung oder des Militärs begangen hat (a). Das gilt auch für seine Rolle bei der so genannten Kerker-Konferenz (b). Schließlich kann ihm auch keine individuelle Verantwortung für schwere nichtpolitische Straftaten zugesprochen werden, die von anderen Mitgliedern der PKK begangen worden sind (c).

a) Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger eigenhändig schwere Straftaten gegenüber der Zivilbevölkerung oder Angehörigen des Militärs begangen hat, ergeben sich weder aus dem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, noch aus der von dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme. Als Anhaltspunkte von erheblichem Gewicht genügt nicht bereits die Antwort des Klägers "Das war 1992/93 der Fall", als er gefragt wurde, ob er an Kampfhandlungen teilgenommen habe und die Aussage, er sei "als Guerilla" tätig gewesen. Zum einen hat der Kläger bereits in der irrtümlich durchgeführten zweiten Befragung vor dem Bundesamt, die. nur wenige Tage nach der ersten Befragung stattfand und bei der der Kläger noch nicht durch den ablehnenden Bescheid der Beklagten vorgewarnt war, erklärt, er sei. für die ENRK tätig und daher nicht an bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Türkei beteiligt gewesen. Zum anderen hat er seine ursprüngliche Aussage schon vordem Verwaltungsgericht und erneut in der mündlichen Verhandlung des erkennenden Senats dahingehend erläutert, dass er zwar militärische Operationen erlebt, aber nicht in diese eingegriffen habe. Dies sei Aufgabe der Mitglieder der AGRK gewesen. Er und seine Gruppen hätten als Mitglieder der ERNK demgegenüber darauf geachtet, nicht mit türkischen Soldaten in Berührung zu geraten. Wenn militärische Operationen stattgefunden hätten, hätten sie selbst sich zurückgezogen und versteckt. Der Senat hält die Angaben des Klägers, er sei politisch für die ENRK und nicht für den militärischen Arm ARGK tätig gewesen, für glaubhaft. Der Kläger hat nämlich bereits bei seiner Befragung vor dem Bundesamt sehr gute Kenntnisse der Ideologie und geschichtlichen Entwicklung der PKK unter Beweis gestellt. Außerdem hat er ebenfalls bereits bei dieser Befragung nachvollziehbar angegeben, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis gesundheitlich in schlechtem Zustand gewesen zu sein und schon aus diesem Grund eine politisch ausgerichtete Ausbildung durchlaufen zu haben.

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger auf türkische Soldaten geschossen hat, ergeben sich auch nicht aus der Tatsache, dass er im Jahr 1999 bei einem Militäreinsatz der türkischen Armee verletzt worden ist. Der Kläger hat im Einklang mit seinen früheren Angaben erläutert, die Verletzung stamme von einem Luftangriff auf eine Versammlung, der ihn von Beginn der Operation an schwer verwundete und ihm keine Gegenwehr mehr möglich machte.

Es lassen sich auch keine Anhaltspunkte dafür ausmachen, dass der Kläger eigenhändig schwere nichtpolitische Straftaten gegenüber der Zivilbevölkerung begangen hat. Ein solcher Vorwurf stand nie ihm Raum und liegt angesichts seiner Tätigkeit für die ENRK und der Aufgabe, die Bevölkerung für die Sache der PKK zu gewinnen, auch nicht nahe. Weitere Ermittlungsansätze, denen der Senat nachgehen könnte, um solche Straftaten aufzudecken, sind nicht ersichtlich.

Sofern die Beklagte es für verzichtbar hält, angesichts der langjährigen Tätigkeit des Klägers in den Regionen des Nordirak und den Kurdengebieten der Türkei konkrete Tatvorwürfe zu erheben und diesen näher nachzugehen, weil zweifelsohne davon auszugehen sei, dass er unmittelbar militärische und militärisch relevante logistisch-unterstützende Aufgaben wahrgenommen habe, wird dies dem dargestellten Maßstab der Anhaltspunkte von erheblichem Gewicht nicht gerecht. Eine solche Begründung liefe im Ergebnis darauf hinaus, jedes langjährige Mitglied der PKK, das sich in bestimmten Regionen aufgehalten hat, von der Anerkennung als Asylbewerber oder Flüchtling auszuschließen. [...]

(ii) Diese Straftaten sind dem Kläger aber nicht individuell zurechenbar. Eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung der Handlungen der Organisation ist anhand sowohl objektiver als auch subjektiver Kriterien zu beurteilen, wobei die tatsächliche Rolle der betreffenden Person bei der Verwirklichung der fraglichen Handlungen, ihre Position innerhalb der Organisation, dem Grad der Kenntnis, die sie von deren Handlungen hatte oder haben musste, sowie etwaige Pressionen oder andere verhaltensbeeinflussende Faktoren zu berücksichtigen sind. Hatte die betreffende Person eine hervorgehobene Position innerhalb der Organisation inne, so kann eine individuelle Verantwortung für von dieser Organisation begangene Handlungen im relevanten Zeitraum vermutet werden; dennoch bleibt eine Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände erforderlich (EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-1 01/09 -, Juris-Rn. 87 ff.).

Die Zurechnung der begangenen Taten aufgrund einer hervorgehobenen Position innerhalb der Partei kommt für den Kläger nicht in Betracht. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er in die Planung oder Durchführung militärischer beziehungsweise terroristischer Aktionen eingebunden war und insofern Kommando- oder Befehlsgewalt innehatte oder wesentliche Planungsbeiträge leistete. Auch eine sonstige hohe Führungsposition, etwa als Mitglied im Zentralkomitee, Kader oder Leiter einer Kultureinrichtung beziehungsweise Akademie steht nicht in Rede (vgl. zu solchen Fällen die Urteile des OVG NRW vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A - Juris und des OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 21.08.2012 - 3 L 218/08 - Juris). Der Kläger hat vielmehr während seiner gesamten Zugehörigkeit zur PKK eher untergeordnete Tätigkeiten nach Weisung ausgeführt.

Eine Zurechnung kommt auch nicht nach den Grundsätzen der Teilnahme in Betracht. Wie bereits ausgeführt, muss auch im Fall der Beihilfe der Tatbeitrag nach seinem Gewicht dem einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne dieser Vorschrift entsprechen. Verantwortlich ist daher regelmäßig nur derjenige, der einen wesentlichen logistischen, organisatorischen oder auch unmittelbar ideologischen, d.h. zu terroristischen Taten aufrufenden Beitrag zur Durchführung entsprechender Verbrechen im Bewusstsein von deren Erleichterung erbringt (OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A - Juris-Rn. 91; Nieders. OVG, Urteil vom 11.08.2010 - 11 LB 405/08-, Juris-Rn. 41).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fehlen schwerwiegende Anhaltspunkte für wesentliche Unterstützungshandlungen zu den oben genannten beispielhaft aufgezählten Straftaten. Der Senat verkennt nicht, dass Mitglieder wie der Kläger, die die Bevölkerung von der Richtigkeit der Ideologie der PKK überzeugen wollen, Lebensmittel und Geld organisieren und für die PKK Präsenz zeigen, eine wichtige Unterstützungsleistung für die Organisation insgesamt erbringen. Die von dem Kläger geleisteten Beiträge waren aber nicht von ausreichender Wirksamkeit und Bedeutung, um als Beihilfehandlungen zu schweren nichtpolitischen Straftaten qualifiziert werden zu können.

Der Kläger suchte in einer Gruppe von bis zu sechs Personen die Dörfer auf und brachte den Dorfbewohnern die Ansichten und Ideologie der PKK näher. Diese Tätigkeit beschränkte sich auf den direkten Kontakt von Person zu Person und erreichte - anders als beispielsweise die Propagandaarbeit über eine Zeitung, einen Radiosender, das Fernsehen oder einen Auftritt auf einer Parteiversammlung - meist nur vergleichsweise wenige Menschen. Damit beschränkte sich seine Tätigkeit auf einfache Propagandatätigkeiten mit überschaubarem Wirkungskreis. Dem entsprach es, dass dem Kläger keine feste und dauerhafte Wirkungsstätte zugewiesen war, sondern er stets in anderen Provinzen von Dorf zu Dorf zog.

Auch die sonstigen Unterstützungsleistungen sind weder hinreichend bedeutsam für die Gesamtorganisation, noch weisen sie konkreten Bezug zu schweren nichtpolitischen Straftaten auf. In Bezug auf die gesammelten Nahrungsmittel hat der Kläger angegeben, diese hätten im Wesentlichen der Selbstversorgung gedient und auch hierzu nicht immer gereicht, so dass seine Gruppe das Essen und Trinken hätte rationieren müssen. Dies ist angesichts der großen Armut, in der die Bevölkerung in den ländlichen Kurdengebieten damals lebte und überwiegend noch lebt, glaubhaft und naheliegend. (vgl. hierzu den Artikel "Die kurdische PKK profitiert von der Armut" der Welt vom 27.10.2007 sowie den Artikel "Frieden als Mittel gegen die Armut" aus "Die Presse" vom 29.03.2013). Im Nordirak war der Kläger schließlich mit organisatorischen Aufgaben und der Abstimmung mit anderen Parteien befasst. Er hat damit allgemeine Unterstützungshandlungen erbracht, die nahezu jedes aktive PKK-Mitglied in der einen oder anderen Form erbringt und die in ihrer Bedeutung mit der Begehung schwerer Straftaten nicht vergleichbar sind. [...]

III.

Der Kläger ist schließlich nicht nach § 27 Abs. 1 AsylVfG von der Asylanerkennung ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird nicht als Asylberechtigter anerkannt, wer in einem Drittstaat bereits vor politischer Verfolgung sicher war. Hat sich der Ausländer in einem Drittstaat, in dem ihm keine politische Verfolgung droht, vor der Einreise in das Bundesgebiet länger als drei Monate aufgehalten, so wird seine Sicherheit nach Absatz 2 der Vorschrift vermutet, sofern der Ausländer nicht glaubhaft macht, dass eine Abschiebung in einen anderen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen war.

Obwohl der Kläger sich vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland länger als drei Monate im Irak aufgehalten hatte, bestand für ihn dort keine Verfolgungssicherheit. Eine solche setzt voraus, dass der Aufenthaltsstaat den Aufenthalt des Asylsuchenden erlaubt und ihn auf seinem Territorium vor Nachstellungen schützt. Dabei kommt es nicht entscheidend auf eine förmliche Gewährung, sondern darauf an, ob der Asylsuchende aller Voraussicht nach weder in das Verfolgerland noch ein anderes Land abgeschoben wird (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 47/85 - BVerwGE 77, 150; Juris-Rn. 11; Hailbronner, AuslR, 66. Aktualisierung November 2009, § 27 AsylVfG 'Rn. 13). Voraussetzung ist also nicht der rechtlich gesicherte Aufenthalt im Sinne eines bewussten und gewollten Zusammenwirkens zwischen dem Flüchtling und dem Erstasylland (BVerwG, Urteil vom 30.05.1989 - 9 C 44.88 - Juris Rn. 8) sondern der erkennbar tatsächlich gewährte Schutz (BVerfG, Beschluss vom 20.02.1992 - 2 BvR 633191 - Juris-Rn. 14).

Im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Nordirak vor einer Abschiebung in sein Heimatland sicher war. Der Kläger hat in. der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargestellt, dass er die Grenze zwischen der Türkei und dem Irak jeweils in der Nacht und ohne Wissen türkischer oder irakischer Behörden überschritten hat. Er hat sich bis zu seiner Abwendung von der PKK im Nord-Irak auch nur innerhalb der Kurdengebiete bewegt und sich somit die gesamte Zeit über illegal im Irak aufgehalten. Wäre der Aufenthalt des Klägers und seine Tätigkeit für die PKK irakischen Sicherheitsbehörden bekannt geworden, ist nicht davon auszugehen, dass ihm Schutz gewährt worden wäre. Die irakische Regierung bekämpfte und bekämpft nach wie vor die Schwesterpartei der PKK, die iranische PJAK, mit erheblichen militärischen Mitteln (Luftangriffe bzw. Artilleriebeschuss). Gegen die Umsiedlung von mehr als 1.400 PKK-Kämpfer in den Nord-Irak hat sie erst jüngst protestiert (AA Lagebericht Irak, Stand Oktober 2013, S. 16; Report an Joint Finnish-Swiss Fact-Finding Mission to Amman and the Kurdish Regional Government Area, 10.-22.05.2011, S. 11). Es ist daher davon auszugehen, dass der Irak den Aufenthalt des Klägers beendet und ihn in sein Heimatland zurückgeführt hätte.

Aber auch wenn man davon ausgehen wollte, dass der Kläger jedenfalls innerhalb der Kurdengebiete faktische Verfolgungssicherheit erlangt hatte, da sein Aufenthalt dort irakischen Behörden nicht bekannt geworden wäre, hat er diese durch seine Abwendung von der PKK verloren. § 27 AsylVfG findet keine Anwendung und die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen lebt wieder auf, wenn der in einem anderen Land gewährte Schutz entfällt. Etwas anderes gilt dann, wenn der Asylbewerber auf den Verfolgungsschutz freiwillig verzichtet, etwa durch eine nicht erzwungene Ausreise aus dem Gebiet des ihm Schutz gewährenden Staates. Der Wegfall des Schutzes oder das Entstehen neuer Verfolgungsgefährdung durch die Abkehr von der PKK kann einer freiwilligen Aufgabe der anderweitigen Sicherheit aber nicht gleichgestellt werden (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 04.09.2012 - 10 C 13.11 -: Juris-Rn. 13). Wie bereits ausführlich dargestellt wurde, sanktioniert die PKK interne Opposition und Desertion massiv und drastisch und schreckt auch vor Tötungen nicht zurück. (vgl. hierzu die Darstellung unter 11.2 c (i) sowie AA, Lageberichte vom 08.04.2011, S. 12 und vom 26.08.2012, S. 13). Nach seiner Loslösung von der PKK hatte der Kläger daher mit einer Verfolgung von erheblicher Intensität durch Mitglieder der PKK zu rechnen, der er sich innerhalb der kurdischen Gebiete so gut wie nicht hätte entziehen können. Spätestens seit seiner Flucht aus dem Lager in den Kandil-Bergen war eine Verfolgungssicherheit daher entfallen. [...]