VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Beschluss vom 11.03.2014 - 1 V 153/14 - asyl.net: M21683
https://www.asyl.net/rsdb/M21683
Leitsatz:

Die Gewährung subsidiären Schutzes durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union hindert die Anwendung der Dublin II VO auf einen zeitlich nachfolgend gestellten (weiteren) Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht.

Aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen laufen Asylbewerber in Bulgarien tatsächlich Gefahr, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 EU Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein.

Da sich die Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellten Asylantrags zuständig ist, aus der Dublin II VO und mithin aus der Anwendung des europäischen Sekundärrechts ergibt, sind sowohl die mitgliedstaatlichen Behörden als auch die mitgliedstaatlichen Gerichte bei ihrer Entscheidungsfindung nicht an die nationalen Grundrechte, sondern an die Grundrechte der Europäischen Union gebunden.

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin II VO zuständigen Mitgliedstaat eine besondere Relevanz zu.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: systemische Mängel, Asylverfahren, Aufnahmebedingungen, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, UNHCR, Dublin II-VO, Dublinverfahren, Bulgarien,
Normen: GR-Charta Art. 4, AsylVfG § 34a Abs. 2, VwGO § 80 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

a) Entgegen der Auffassung der bulgarischen Behörden und des Bundesamtes für findet die Dublin-II-VO (die Dublin-II-VO ist trotz ihres Außerkrafttretens zum 18.07.2013 und des Inkrafttretens der Dublin-III-VO am 19.07.2013 im vorliegenden Fall für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates von ihrem zeitlichen Anwendungsbereich her weiterhin maßgebend, da der Antrag auf internationalen Schutz vor dem 01.01.2014 gestellt wurde, Artikel 49 Dublin-III-VO) auf den vorliegenden Fall Anwendung, obgleich den Antragstellern in Bulgarien bereits subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist.

Gemäß Artikel 1 Dublin-II-VO legt diese die Kriterien und Verfahren fest, die bei der Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, zur Anwendung gelangen. Der Anwendungsbereich der Dublin-II-VO ist folglich immer dann eröffnet, wenn es um die Bestimmung der Zuständigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union für den von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Asylantrag geht. Dies folgt auch aus den Erwägungsgründen drei und vier zur Dublin-II-VO, wonach es Ziel der Verordnung ist, eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaates zu normieren. Gemäß Erwägungsgrund 16 der Dublin-II-VO kann das Ziel der Verordnung, nämlich die Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedstaat gestellt hat, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden, weshalb eine Regelung auf Ebene der Europäischen Union notwendig ist.

Die Voraussetzungen des Artikels 1 Dublin-II-VO sind auch im vorliegenden Fall erfüllt. Als syrische Staatsangehörige und damit "Drittstaatsangehörige" im Sinne von Artikel 2 lit. a) Dublin-II-VO haben die Antragsteller am 30.09.2013 in der Bundesrepublik Deutschland und mithin in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einen Asylantrag gestellt. Gemäß Artikel 2 lit. c) Dublin-II-VO ist der "Asylantrag" definiert als der von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Antrag, der als Ersuchen um internationalen Schutz eines Mitgliedstaats im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention angesehen werden kann. Hiervon ist jedenfalls auch der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Artikel 16a Abs. 1 GG umfasst.

Dem kann mit Blick auf Artikel 2 lit. d) Dublin-II-VO auch nicht entgegen gehalten werden, die Antragsteller hätten in Bulgarien bereits ein Asylverfahren durchlaufen und dort subsidiären Schutz erhalten. Zwar bestimmt Artikel 2 lit. d) Dublin-II-VO, dass als "Antragsteller" bzw. "Asylbewerber" nur ein solcher Drittstaatsangehöriger gilt, der einen Asylantrag eingereicht hat, über den noch nicht endgültig entschieden worden ist. Eben dies ist vorliegend indes – unabhängig von einer etwaigen Antragstellung in Bulgarien – mit Blick auf den in der Bundesrepublik Deutschland am 30.09.2013 gestellten Antrag der Fall. Der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag der Antragsteller ist bisher noch nicht abschließend beschieden worden.

b) Vorliegend bestehen freilich keine begründeten Zweifel, dass Bulgarien grundsätzlich (auch) für das (zweite) Asylbegehren der Antragsteller zuständig ist. Besitzt der Asylbewerber einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist gemäß Artikel 9 Abs. 1 Dublin-II-VO der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Gemäß Artikel 2 lit. j) Dublin-II-VO ist ein "Aufenthaltstitel" jede von den Behörden eines Mitgliedstaats erteilte Erlaubnis, mit der der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gestattet wird, einschließlich der Dokumente, mit denen die Genehmigung des Aufenthalts im Hoheitsgebiet im Rahmen einer Regelung des vorübergehenden Schutzes oder bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die eine Ausweisung verhindernden Umstände nicht mehr gegeben sind, nachgewiesen werden kann. Hierzu zählt auch die Gewährung subsidiären Schutzes nach den Vorgaben des europäischen Sekundärrechts. Gemäß Artikel 16 Abs. 2 Dublin-II-VO sind die bulgarischen Behörden gehalten, den Asylbewerber aufzunehmen und seine (abermalige) Antragstellung zu bescheiden.

Nichts anderes gilt, legt man gemäß Artikel 5 Abs. 2 Dublin-II-VO bei der Bestimmung des nach den Kriterien der Dublin-II-VO für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaats diejenige Situation zugrunde, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Artikel 13 Dublin-II-VO ist der erste Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig, wenn sich anhand der Kriterien der Verordnung nicht anderweitig bestimmen lässt, welchem Mitgliedstaat die Prüfung obliegt. Auch hiernach wäre vorliegend Bulgarien der für den (erneuten) Asylantrag der Antragsteller zuständige Mitgliedstaat, da diese unstreitig bereits in Bulgarien einen ersten Asylantrag gestellt hatten.

c) Nach Auffassung des Gerichts haben die Antragsteller bezüglich des nunmehr in Rede stehenden (zweiten) Asylantrags indes einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin aufgrund von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO Gebrauch macht. Gemäß Artikel 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Das in Artikel 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO eröffnete Ermessen der Antragsgegnerin ist dabei vorliegend auf Null reduziert, da die Überstellung der Antragsteller nach Bulgarien zur Durchführung des Asylverfahrens mit den europäischen Grundrechten unvereinbar ist (aa)). Auch ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union ist nach den Vorgaben der Dublin-II-VO für den Asylantrag der Antragsteller nicht zuständig (bb)).

aa) Da sich die Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellten Asylantrags zuständig ist, gemäß obiger Ausführungen aus der Dublin-II-VO und mithin aus der Anwendung des europäischen Sekundärrechts ergibt, sind sowohl die mitgliedstaatlichen Behörden als auch die mitgliedstaatlichen Gerichte bei ihrer Entscheidungsfindung nicht an die nationalen Grundrechte, sondern an die Grundrechte der Europäischen Union wie sie in der EU-Grundrechtecharta niedergelegt sind, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben und wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gewährleistet sind, gebunden (Artikel 6 Abs. 1, 3 EU, Artikel 51 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta; EuGH, Urteil vom 13.07.1989 – C-5/88, Rn. 19, juris; vgl. zudem statt vieler Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 51 GRCh, Rn. 8, 11, m.w.N.). Gemäß Artikel 4 EU-Grundrechtecharta darf niemand Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH vom 21.12.2011 (Rs. C-411/10 und C-493/10, Rs. C-411/10 und Rn. 80 ff.; bestätigt mit Urteil vom 14.11.2013 – C-4/11, Rn. 29 ff., beide juris) ist Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. Zwar bestehe eine Vermutung dafür, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechtecharta und der EMRK stehe. Diese Vermutung könne jedoch widerlegt werden. Um nicht das in der Dublin-II-VO niedergelegte System der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten in seinem Kern auszuhöhlen und die von der Verordnung beabsichtigte rasche Bestimmung des zuständen Mitgliedstaates weiterhin zu gewährleisten, sei hierfür indes nicht jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaates gegen die europäischen Grundrechte und die einschlägigen Bestimmungen des europäischen Sekundärrechts ausreichend. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten sei, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10, Rn. 90 ff., juris). Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin-II-VO zuständigen Mitgliedstaat eine besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist (EuGH, Urteil vom 30.05.2013 – C-528/11, Rn. 44, juris).

Ausgehend von den vorstehend dargestellten Maßstäben geht das Gericht zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon aus, dass die Antragsteller in Bulgarien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 EU-Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein (im Ergebnis ebenso VG Magdeburg, Beschluss vom 22.01.2014 – 9 B 362/13, Rn. 6 ff.; VG Köln, Beschluss vom 19.04.2013 – 20 L 358/13.A, Rn. 6 ff., beide juris und m.w.N.; anders aber VG Potsdam, Urteil vom 04.02.2014 – 6 K 3905/13.A, Rn. 16 ff.; VG Regensburg, Beschluss vom 17.10.2013 – RN 5 S 13.30555, Rn. 19 ff.; VG Ansbach, Beschluss vom 01.07.2013 – AN 9 E 13.30401, Rn. 22, jeweils juris und m.w.N.).

(1) Gemäß dem Bericht des UNHCR vom 02.01.2014 (Bulgaria as a Country of Asylum – UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria, S. 16) sind Asylsuchende, die nach Bulgarien abgeschoben werden, dort aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt. Insbesondere die Aufnahmebedingungen in dem Land seien beklagenswert und würden sich zu einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung verdichten; sie stünden im Widerspruch zur Menschenwürde und dem Recht auf Privatsphäre. Asylbewerbern in Bulgarien fehle es am Zugang zu grundlegenden Diensten wie der Nahrungsmittel- und der Gesundheitsversorgung. Darüber hinaus seien Asylbewerber in Bulgarien der Gefahr willkürlicher Inhaftierungen ausgesetzt. Oftmals dauere die Haft für unbestimmte und lange Zeit an. Darüber hinaus bestünden schwerwiegende Probleme beim Zugang zu einem fairen und effektiven Asylverfahren. Die Überstellung von Flüchtlingen nach Bulgarien sei vor diesem Hintergrund auszusetzen (kritisch zu Überstellung von Flüchtlingen nach Bulgarien daher auch VG Oldenburg, Beschluss vom 17.02.2014 – 3 B 6974/13, Rn. 23, juris).

Laut UNHCR bestehen in Bulgarien trotz Fortschritten der letzten Jahre und einer Verbesserung der Aufnahme - bedingungen große Lücken bei der Umsetzung von internationalen rechtlichen und politischen Schutzstandards. Diese Lücken hätten sich mit der wachsenden Zahl von Asylbewerbern über die letzten Monate, vor allem aus Syrien (mehr als 9.000 Flüchtlinge im Jahr 2013 gegenüber jeweils etwa 1.000 Flüchtlingen in den Jahren zuvor), noch vergrößert, mit gravierenden Konsequenzen für die betroffenen Personen. Da es einen ernstzunehmenden Mangel an Aufnahmeplätzen für Asylsuchende gebe, komme es in der Praxis zu erheblichen Verzögerungen bei der Bearbeitung von Anträgen. In der Zwischenzeit würden den Asylsuchenden nicht die Rechte des Asylsystems der Europäischen Union zugestanden, insbesondere nicht, was die Aufnahmebedingungen angehe. Asylsuchende, denen es nicht gelinge, bei der Staatlichen Agentur für Flüchtlinge einen Asylantrag zu stellen, würden in Haft genommen, obgleich mit der Stellung des Asylantrags die asylrechtlichen Bestimmungen des europäischen Sekundärrechts anzuwenden wären.

Stand Dezember 2013 seien die meisten Aufnahmelager für Asylbewerber überbelegt gewesen. Etwa 5.000 Asylbewerber hätten sich außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen aufgehalten – diese Asylbewerber seien von staatlichen Unterstützungsleistungen materieller und finanzieller Art ausgeschlossen. Gleichwohl würden viele Asylbewerber nach "externen" Unterbringungsmöglichkeiten suchen, da dies ein Weg sei, um aus den Haftanstalten entlassen zu werden. Die zum Zweck der Entlassung geltend gemachten "externen" Unterbringungsmöglichkeiten seien mitunter bloß fiktiver Natur: Dies und die Tatsache, dass die externen Unterbringungsmöglichkeiten nicht vom bulgarischen Staat finanziert würden, begründe für viele Asylbewerber die hohe Gefahr der Obdachlosigkeit und der Verarmung. Die Bedingungen in den Einrichtungen zur Aufnahme von Asylbewerbern seien erbärmlich. Die Versorgung mit Lebensmitteln werde vom Staat nicht gewährleistet; grundsätzlich fehle es am Zugang zu Kochmöglichkeiten, angemessener Heizung (und damit auch warmen Wasser), medizinischer Versorgung und Sanitäreinrichtungen von angemessenem Standard. In den Aufnahmezentren selbst gebe es keine medizinischen Einrichtungen, keine Möglichkeit zur medizinischen Behandlung und keine staatliche Versorgung mit Medikamenten. Medikamente seien für die Asylbewerber oftmals unerschwinglich. In der Folge hätten die Ärzte ohne Grenzen in einigen Aufnahmeeinrichtungen damit begonnen, medizini - sche Dienste anzubieten. Die Ausstattung der Aufnahmeeinrichtungen begründe gerade in der kalten Jahreszeit eine ernstzunehmende Gesundheitsgefahr für die Asylbewerber. Die Einrichtungen seien regelmäßig überfüllt, Familien werde keine Privatsphäre gewährt. Es fehle an Möglichkeiten zur Wäschereinigung, am Zugang zu Bildungseinrichtungen, zu Freizeiteinrichtungen oder zu kinderspezifischen Angeboten. Die finanzielle Unterstützung für Asylbewerber in den Aufnahmeeinrichtungen liege bei € 33 pro Monat und Person; im Übrigen seien die Asylbewerber auf Spenden angewiesen (zum Vorstehenden ausführlich UNHCR vom 02.01.2014, Bulgaria as a Country of Asylum – UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria).

Stand 07.02.2014 und Stand 21.02.2014 berichtet der UNHCR zwar von ersten Verbesserungen in der Versorgung von Asylbewerbern in Bulgarien (UNHCR, Refugee Situation Bulgaria, External Update February 7, 2014 und External Update February 21, 2014). So hätten die bulgarischen Behörden damit angefangen, in allen Einrichtungen zur Aufnahme von Asylbewerbern zwei warme Mahlzeiten am Tag zu verteilen; auch die Lebensbedingungen würden sich zunehmend verbessern. Gleichwohl kommt der UNHCR zu dem Ergebnis, dass die Lebensbedingungen in den meisten Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber nicht angemessen seien. Die Versorgung mit Lebensmitteln sei von Spenden und den Leistungen gemeinnütziger Organisationen abhängig. Bei der Auszahlung der staatlichen Unterstützung von € 33 komme es zu Verzögerungen. Personen, denen erst kürzlich der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei, blieben ohne finanzielle Unterstützung oder Unterstützung bei der Wohnungsnahme. Sprachkurse würden nicht angeboten. In der Folge verblieben auch diese Flüchtlinge in den Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber mit der Folge der Überbelegung. Die Registrierung der Asylbewerber verlaufe weiterhin schleppend und nehme zum Teil drei bis vier Monate in Anspruch – wobei die Registrierung für den Erhalt von finanzieller Unterstützung und den Zugang zu Gesundheitseinrichtungen Voraussetzung sei. Der UNHCR hält daran fest, dass die Überstellung von Flüchtlingen nach Bulgarien auszusetzen sei.

Gestützt wird die Einschätzung des UNHCR von internationalen Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International, dem European Council on Refugees and Exiles (ECRE) und dem Bulgarian Helsinki Committee (BHC).

Unter dem 06.01.2014 (Urgent Action – Flüchtlinge weiter in Notlage) führt Amnesty International aus, dass es in Bulgarien nach wie vor an systemischen Maßnahmen von Seiten der Behörden fehle, um der Zahl der Flüchtlinge und Migranten gerecht zu werden. Flüchtlinge und Migranten lebten noch immer unter unzumutbaren Bedingungen namentlich in überfüllten Einrichtungen mit fehlender sanitärer Grundausstattung, einer unzureichenden Lebensmittelversorgung und einem ungenügenden Zugang zu medizinischer und psychologischer Betreuung. Besonders negativ wirkten sich diese Umstände auf Flüchtlinge aus, die im bewaffneten Konflikt in Syrien Verletzungen erlitten hätten. Zudem schaffe es das bulgarische Asylsystem nicht, den Asylsuchenden raschen und ungehinderten Zugang zu einem Asylverfahren zu ermöglichen. Flüchtlinge würden als illegale Einwanderer behandelt und eingesperrt, Asylanträge nicht wirksam erfasst und geprüft. Drei Tage zuvor (03.01.2014) hatte Amnesty International mittels einer Presseerklärung den Bericht des UNHCR begrüßt und darauf hingewiesen, dass dieser als ernstzunehmende Kritik am Versagen der bulgarischen Behörden, den Flüchtlingen einen angemessenen Zugang zu Lebensmitteln, Unterkunft und Gesundheitsdiensten zu gewähren, zu lesen sei. Bereits unter dem 16.12.2013 hatte Amnesty International darauf hingewiesen, dass die bulgarischen Behörden der wachsenden Zahl von Flüchtlingen nicht gerecht würden und dass es in den überfüllten Flüchtlingslagern an einem angemessenen Zugang zu sanitären Anlagen, zu Lebensmitteln und zu medizinischer und psychologischer Versorgung fehle (Urgent Action – Flüchtlinge in Gefahr). Die Flüchtlinge lebten in Bulgarien zu hunderten in überfüllten Lagern und unter prekären Bedingungen. Die bulgarischen Behörden hätten in baufälligen ehemaligen Schulgebäuden und Schiffscontainern "Notlager" eingerichtet, in denen die Flüchtlinge auf abgenutzten Klappbetten oder auf dünnen Matratzen auf dem Boden schlafen müssten. Es stünden nicht ausreichend Betten und Decken zur Verfügung. Die Staatliche Agentur für Flüchtlinge in Bulgarien habe bereits im September 2013 mitgeteilt, dass die Kapazitäten der regulären Aufnahmelager erschöpft seien. Die daraufhin errichteten "Notlager" (leerstehende Schulen, ein ehemaliger Militärkomplex und ein ehemaliges Sommerlager) seien in der Kürze der Zeit nicht in angemessene Unterkünfte umfunktioniert worden.

Unter dem 08.01.2014 schließt sich auch der ECRE dem Aufruf des UNHCR an, Überstellungen nach Bulgarien auszusetzen (ECRE joins UNHCR in a call for suspension of Dublin transfers to Bulgaria). Die Analyse des UNHCR decke sich mit den Feststellungen des ECRE und des BHC im Asylum Information Database (AIDA) Country Report on Bulgaria Stand November 2013. In Bulgarien würden Asylbewerber im Widerspruch zu ihren Menschenrechten und ihrer Menschenwürde behandelt. Der Zugang zu grundlegenden Diensten wie der Versorgung mit Lebensmitteln oder medizinischer Versorgung sei nicht gewährleistet, die Aufnahmeeinrichtungen seien überfüllt und personell unterbesetzt. Die Behandlung von Asylanträgen verlaufe mit erheblichen Verzögerungen, da bei der Staatlichen Agentur für Flüchtlinge zu wenige Sachbearbeiter der immens gestiegenen Zahl von Flüchtlingen gegenüberstünden. In der Folge würden Flüchtlinge in Abschiebeeinrichtungen inhaftiert, ohne dass es hierfür eine gesetzliche Grundlage gebe. Der Bericht vom November 2013 (Asylum Information Database (AIDA) National Country Report Bulgaria) führt unter anderem aus, die finanzielle Unterstützung von € 33 pro Asylbewerber und Monat sei unzureichend, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse an Lebensmitteln zu befriedigen. Die unzureichende Registrierung der Asylbewerber führe dazu, dass vielen von ihnen der Zugang zu medizinischen Diensten vorenthalten bleibe, selbst in Notfällen.

(2) Dass es sich bei den Feststellungen des UNHCR und der internationalen Nichtregierungsorganisationen um Ausführungen von einer gewissen Regelmäßigkeit handelt, folgt bereits aus der Tatsache, dass das Verwaltungsgericht Magdeburg schon im März 2011 und unter Bezugnahme auf den Jahresbericht 2009 von Amnesty International sowie eine Stellungnahme des UNHCR darauf verweist, dass Bulgarien nicht hinnehmbare Probleme bei der Durchführung von Asylantragsgewährungen habe. Asylsuchende würden über Monate oder sogar jahrelang in Gewahrsam gehalten, ohne dass ihnen Schutz gewährt werde (vgl. VG Magdeburg, Beschluss vom 04.11.2013 – 9 B 306/13, Rn. 7, juris, m.w.N.). Gleiches gilt für die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Köln, welches unter Bezugnahme auf einen Bericht des UNHCR vom Mai 2011 und den Jahresbericht 2011 von Amnesty International zu dem Ergebnis kommt, Asylsuchende in Bulgarien würden regelmäßig und über einen längeren Zeitraum in Haftzentren inhaftiert. Da die Asylsuchenden oft auch über mehrere Monate keinen Zugang zu einer Registrierung erhielten, unterzeichneten sie mitunter Erklärungen, in denen sie ihre Asylanträge zurücknehmen oder auf ihr Recht auf Zugang zu einem der Aufnahmezentren der Staatlichen Flüchtlingsagentur verzichten würden, um ihre Freilassung zu erreichen. Die Betroffenen würden in der Folge sich selbst überlassen mit der Gefahr der Obdachlosigkeit und der Verelendung. Auch in den Aufnahmezentren der Staatlichen Flüchtlingsagentur seien die Lebensbedingungen unzumutbar. Es fehle an Koch- und Waschgelegenheiten und Kühlvorrichtungen, Wasser- und Elektrizitätsversorgung seien marode. Hygieneprobleme und Schädlingsbefall seien an der Tagesordnung. Zahlreiche Räume seien in einem solch desolaten Zustand, dass sie nicht belegt werden könnten. Die finanzielle Unterstützung von € 33 sei unzureichend, um auch nur elementarste Grundbedürfnisse zu befriedigen (VG Köln, Beschluss vom 19.04.2013 – 20 L 358/13.A, Rn. 7 ff., juris, m.w.N.).

(3) Der Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Bulgarien und der daraus resultierenden Gefahr für die Antragsteller, dort im Falle der Überstellung einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 EU-Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein, steht vorliegend auch nicht entgegen, dass die bulgarische Regierung seit dem Jahr 2011 mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union eine "Nationale Strategie für Migration, Asyl und Integration 2011 bis 2020" umsetzt (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschluss vom 17.10.2013 – RN 5 S 13.30555, Rn. 20 ff., juris, m.w.N.). Dem Gericht liegen Informationen zu dieser Strategie nur in Form einer Antwort der Bundesregierung vom 09.09.2011 auf eine kleine Anfrage im Bundestag (vgl. BT-Drucks. 17/6964 vom 09.09.2011) vor.

Stellungnahmen der nationalen Regierungen zu tatsächlichen oder mutmaßlichen Mängeln des Asylverfahrens in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehören aber nicht zu den vom EuGH genannten Erkenntnisquellen bei der Anwendung der Dublin-II-VO (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10, Rn. 90 ff., juris). Wollte man bei der Anwendung des Artikels 3 Abs. 2 Dublin- II-VO derartige Stellungnahmen der jeweiligen nationalen Regierung als maßgeblich berücksichtigen, liefe dies auch auf eine Zersplitterung des einheitlichen europäischen Asylsystems hinaus. Zum zweiten stammen die Informationen der Bundesregierung zur bulgarischen "Strategie für Migration, Asyl und Integration 2011 bis 2020" vom Sommer 2011, was ihre Aussagekraft für die hier maßgebliche Lage im Winter 2013/2014 erheblich schmälert. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die im bulgarischen Asylsystem zwischenzeitlich erfolgten Umwälzungen aufgrund des Zustroms von Flüchtlingen aus dem syrischen Bürgerkrieg.

bb) Da eine Überstellung der Antragsteller nach Bulgarien aufgrund der vorstehenden Ausführungen ausgeschlossen ist, ist in der Folge zu fragen, ob nach Kapitel III der Dublin-II-VO ein sonstiger Mitgliedstaat der Europäischen Union für das Asylverfahren der Antragsteller zuständig ist, Artikel 5 Abs. 1 Dublin-II-VO (vgl. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – C-4/11, Rn. 32 ff., juris, m.w.N.). Hierfür ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich und von der Antragsgegnerin auch nichts geltend gemacht worden.

cc) Da die Überstellung der Antragsteller nach Bulgarien zur Durchführung des (erneuten) Asylverfahrens mit den europäischen Grundrechten unvereinbar ist und auch ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union nach den Vorgaben der Dublin-II-VO für den Asylantrag der Antragsteller nicht zuständig ist, ist das nach Artikel 3 Abs. 2 Dublin-II-VO eröffnete Ermessen der Antragsgegnerin vorliegend auf Null reduziert. Die Bundesrepublik Deutschland ist zuständig für die Prüfung des Asylantrags der Antragsteller. [...]