VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Urteil vom 13.02.2014 - RN 5 K 13.30435 - asyl.net: M21662
https://www.asyl.net/rsdb/M21662
Leitsatz:

Willkürliche Polizeihaft mit Anwendung von Folter ist in Nigeria häufig. Innerhalb der Sicherheitskräfte besteht nur eine schwach ausgeprägte Menschenrechtskultur.

Schlagwörter: Nigeria, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Folter, Willkür, willkürliche Inhaftierung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2, AsylVfG § 4 Abs. 1 Nr. 2, AsylVfG § 4,
Auszüge:

[...]

1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG in der ab 1.12.2013 geltenden Fassung darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.

Das Gericht hat die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderliche Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger in Nigeria von der Polizei willkürlich verhaftet wurde und in U... in Polizeihaft war, dort gefoltert und geschlagen wurde und aus der Polizeihaft nur deshalb fliehen konnte, weil die Polizeistation durch Gruppen aus der Bevölkerung gestürmt und in Brand gesetzt wurde. Aus den von der Klägervertretung vorgelegten Presseberichten geht hervor, dass die Polizeistation in U... am 13.1.2005 von Gruppen aus der Bevölkerung gestürmt wurde, weil die Polizei beim Versuch von einem Taxifahrer Schmiergeld zu erlangen, einen Schuss abgab und einen Insassen, einen Schüler im Auto, erschoss. Im Zuge der Unruhen sind danach die lokale Polizeiwache niedergebrannt, Waffen entwendet und Häftlinge befreit worden.

Diese allgemein zugänglichen Angaben stimmen im Kern mit der Angabe des Klägers bei der Anhörung vor dem Bundesamt überein, dass der Kläger in Polizeihaft war und es einen Brandanschlag gab. Bei dem im Anhörungsprotokoll festgehaltenen Datum 25.04.2005 handelt es sich aber – wie die Klägervertretung hinweist – um einen offensichtlichen Fehler, weil der Kläger bei der Anhörung bereits angab, dass er am 26.1.2005 Nigeria verlassen hatte. Das Bundesamt hätte bei der Anhörung den Kläger auf diesen Widerspruch hinweisen müssen, wenn das Datum für die Entscheidung wesentlich gewesen wäre. Das Bundesamt hat bei der Anhörung auch nicht ausreichend aufgeklärt, wie die Haftbedingungen waren, wie es zu der Befreiung kam, und ob der Kläger während der Haft verhört, gefoltert oder geschlagen wurde. Die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Kläger willkürlich in Polizeihaft kam, weil in der Nähe seines Elektrogeschäftes ein für ihn fremder Mann getötet worden ist. Der Kläger schilderte auch eindrucksvoll, dass er bei den Verhören mit verschiedensten Werkzeugen geschlagen wurde und sogar mit einem Elektroschocker zu Aussagen gezwungen werden sollte. Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung die Folterbehandlungen mit dem Elektroschocker eindrucksvoll darstellen und auch das Folterwerkzeug zeichnen. Das Gericht ist deshalb aufgrund seiner glaubhaften Angaben davon überzeugt, dass er über Wahres berichtet. Aus den eingeführten Erkenntnisquellen, insbesondere aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28.8.2013 geht hervor, dass es in Nigeria oft zu schweren Misshandlungen von willkürlich inhaftierten Untersuchungshäftlingen, Gefängnisinsassen und anderen Personen im Gewahrsam der Sicherheitsorgane kommt. Die Gründe für dieses Verhalten liegen zum einen in der nur schwach ausgeprägten Menschenrechtskultur der Sicherheitskräfte, zum anderen in der mangelhaften Ausrüstung, Ausbildung und Ausstattung, insbesondere der Polizei, was sie in vielen Fällen zu dem illegalen Mittel der gewaltsamen Erpressung von Geständnissen als einzigem erfolgversprechenden Weg der "Beweisführung" greifen lässt. Dies wird von der Polizei sogar teilweise zugegeben. Eine Untersuchung der EU-Delegation und Berichte von Menschenrechtsexperten bestätigen, dass Folter in Polizeigewahrsam weiterhin verbreitet ist. Zu den häufigsten Foltermethoden zählten dabei Auspeitschung, Stock- und Machetenschläge, Schüsse in den Fuß, Scheinhinrichtungen, Aufhängen in verschiedenen Positionen sowie Vorenthalten von Nahrung, Wasser und Medikamenten (so AA – Lagebericht S. 20).

Die Haftbedingungen in den mangelhaft ausgestatteten, oft stark überbelegten und zum größeren Teil noch aus der Kolonialzeit stammenden Gefängnissen sind schlecht. Die Beobachter ausländischer Menschenrechtsorganisationen erhalten auch keinerlei Zugang mehr zu den Gefängnissen (so Lagebericht des AA S. 22).

Vor diesem Hintergrund bestehen stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Kläger der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung in Nigeria ausgesetzt war. Dies begründet ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG bzw. subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG. Zugleich sind auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG wegen Verletzung der EMRK erfüllt.

Der Kläger ist somit vorverfolgt aus Nigeria ausgereist. Damit gilt für ihn die widerlegbare Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird (so BVerwG vom 27.4.2010, Az. 10 C 5.09). Diese Vermutung wird nicht "durch stichhaltige Gründe" widerlegt, da die oben angeführten Erkenntnisquellen Folterhandlungen und menschenrechtswidrige Haftbedingungen in den Gefängnissen in Nigeria sowie willkürliche Inhaftierungen bestätigen. Es besteht somit auch die Vermutung, dass der Kläger bei der Rückkehr nach Nigeria wieder willkürlich verhaftet würde. [...]