VG Würzburg

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Zitieren als:
VG Würzburg, Beschluss vom 03.03.2014 - W 3 S 14.30192 - asyl.net: M21654
https://www.asyl.net/rsdb/M21654
Leitsatz:

Wird vom Bundesamt in seinen Ermessenserwägungen bezüglich der Ablehnung eines Selbsteintritts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO nicht berücksichtigt, dass innerhalb eines Jahres keine Bearbeitung der Akte stattfand, leidet der Bescheid an einem Ermessensausfall und ist rechtswidrig, da nach dem EuGH die Verpflichtung besteht, die Situation des Asylbewerbers nicht durch ein unangemessenen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates zu verschlimmern.

Schlagwörter: Vertrauensschutz, Verfahrensdauer, Dauer des Verfahrens, Dauer, Dublinverfahren, Dublin II-VO, EURODAC, Malta, unangemessen langes Verfahren, Selbsteintritt, EuGH,
Normen: VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. Dezember 2012 - C-411/10 u.a. - NVwZ 2012, 413 u.a. auch zur Dauer des Asylverfahrens Stellung genommen und ausgeführt, dass der Mitgliedsstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, darauf zu achten hat, dass eine Situation, in der dessen Grundrechte verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 selbst prüfen.

Die Dublin II-VO bezweckt danach nicht nur, Asylsuchende daran zu hindern, gleichzeitig oder nacheinander Asylanträge in verschiedenen Ländern der EU zu stellen, sondern beinhaltet auch die Begründung von Vertrauensschutz für die Asylsuchenden im Hinblick auf die Dauer des Verfahrens zur Prüfung der Zuständigkeit des für die Bearbeitung zuständigen Mitgliedsstaates (vgl. VG Göttingen, U.v. 25.7.2013 - 2 A 652/12 - juris). Die ab 1. Januar 2014 geltende Dublin III-VO konkretisiert diesen Zweck und sieht in Art. 23 Abs. 2 für Wiederaufnahmegesuche eine Frist von nur zwei Monaten (falls kein EURODAC-Treffer vorliegt, eine Dreimonatsfrist) vor.

Vorliegend ist die Antragstellerin bereits im November 2012 (und nicht wie im Bescheid vom 17.2.2014 fälschlicherweise ausgeführt am 14.11.2013) in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat am 21. November 2012 Asylantrag gestellt. Die Antragstellerin hat auch mitgeteilt, dass sie in Malta einen Asylantrag gestellt hat. Dies hat auch der am 28. November 2012 erzielte EURODAC-Treffer ergeben. Es ist daher unerfindlich, weshalb erst ein Jahr nach dem erzielten EURODAC-Treffer ein Übernahmeersuchen an Malta gerichtet wurde. Aus der dem Gericht vorliegenden Bundesamtsakte sind keine Hinweise für solche Gründe erkennbar. Anscheinend hat innerhalb des verstrichenen Jahres keinerlei Sachbearbeitung beim Bundesamt stattgefunden. Auch der Antrag des Antragstellerbevollmächtigten auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts ist nach Aktenlage unbearbeitet geblieben.

Das Bundesamt hätte diese lange Zeitdauer zumindest in seine Ermessenserwägungen bezüglich der Ablehnung eines Selbsteintritts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO einbeziehen müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Dies stellt aber einen Verstoß gegen die Verpflichtung dar, die Situation des Asylbewerbers nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates zu verschlimmern. Wie der EuGH (a.a.O.) festgestellt hat, ist deshalb unter Umständen der Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO selbst zu prüfen. Der angegriffene Bescheid leidet daher an einem Ermessensausfall, weshalb er aufgrund der summarischen Prüfung voraussichtlich rechtswidrig ist. [...]