VG Stade

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Zitieren als:
VG Stade, Urteil vom 26.09.2013 - 3 A 1523/10 - asyl.net: M21648
https://www.asyl.net/rsdb/M21648
Leitsatz:

Die Erlaubnis zur unselbständigen Erwerbstätigkeit ist ein selbständig begünstigender Verwaltungsakt.

Diese Erlaubnis ist nicht auf den Zeitraum der Duldungsverfügung beschränkt, in die sie nachrichtlich aufgenommen wurde.

Sind keine Ermessenserwägungen im Verwaltungsverfahren angestellt worden, scheidet das Nachholen von Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren aus.

Schlagwörter: Beschäftigungserlaubnis, Arbeitsgenehmigung, Nebenbestimmung, unbefristete Beschäftigungserlaubnis, Ermessen, unselbständige Erwerbstätigkeit, Erwerbstätigkeit, Heilung, Widerruf, Täuschung über Identität, Identität, Staatsangehörigkeit, Falschangaben, falsche Angaben, Duldung, Verwaltungsakt, Rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, Täuschung,
Normen: VwVfG § 48, BeschVerfV § 10, VwGO § 114 S. 2, BeschVerfV § 11,
Auszüge:

[...]

Mit Urteil vom 27.05.2013 (3 A 2654/12), betreffend einen identischen Streitgegenstand, hat die Kammer ausgeführt:

"Rechtsgrundlage für die Rücknahme der bestandskräftigen Beschäftigungserlaubnis ist vorliegend § 1 NVwVfG i. V. mit § 48 VwVfG. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der - wie vorliegend - ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet - als ein solcher begünstigender Verwaltungsakt ist die Beschäftigungserlaubnis vom 1. November 2007 anzusehen - darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden (§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG); insbesondere muss die Rücknahme binnen der maßgeblichen Jahresfrist erfolgen (§ 48 Abs. 4 VwVfG). Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahme sind vorliegend zwar erfüllt.

Die dem Kläger am 1. November 2007 in der Duldung unter der Rubrik "Nebenbestimmung" erteilte unbefristete Beschäftigungserlaubnis war rechtswidrig. Ungeachtet des Umstandes, dass sich aus dem gesamten Verwaltungsvorgang des Beklagten nicht ergibt, ob dem Beklagten für die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis überhaupt ein konkretes Arbeitsangebot des Klägers und die nach § 10 BeschVerfV erforderliche Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zu einer von dem Kläger angestrebten Beschäftigung vorgelegen hat, wäre der Beklagte auch aufgrund der jahrelangen falschen Angaben des Klägers insbesondere zu seiner Identität nicht berechtigt gewesen, dem Kläger die Beschäftigungserlaubnis nach § 10 BeschVerfV [nicht] zu erteilen. Denn einem derartigen Anspruch steht § 11 Satz 1 Alternative 2 BeschVerfV entgegen. Nach dieser Vorschrift darf geduldeten Ausländern die Ausübung einer Beschäftigung nicht erlaubt werden, wenn bei ihnen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Zu vertreten hat der Ausländer insbesondere ein Abschiebungshindernis, das er durch Täuschung über seine Identität oder seiner Staatsangehörigkeit oder durch falsche Angaben herbeiführt (§ 11 Satz 2 BeschVerfV).

Ein solcher die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis ausschließender Fall liegt hier vor. Denn zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Kläger jahrelang seit seiner Einreise im Juli 2001 bis heute gegenüber dem Beklagten falsche Angaben zu seiner Identität und seiner Staatsangehörigkeit gemacht und zudem falsche Angaben auf den Anträgen auf Ausstellung von Passersatzpapieren getätigt hat. Denn aus dem Überprüfungsergebnis der Föderalen Migrationsbehörde in 1. vom 4. Dezember 2012 sowie des Schreibens der Botschaft der Republik Belarus in J. vom 8. April 2013 ergibt sich, dass der Kläger die weißrussische Staatsangehörigkeit besitzt, in E. (Weißrussland) geboren wurde und es sich bei der Verwendung des Namens F. G. lediglich um Alias-Personalien handelt. Das Gericht nimmt zur weiteren Begründung Bezug auf die Ausführungen in dem den Beteiligten bekannten Urteil vom heutigen Tage zum Aktenzeichen 3 A 1453/11. ...

Die Entscheidung des Beklagten, die dem Kläger unbefristet und unbedingt erteilte Beschäftigungserlaubnis vom 1. November 2007 aufzuheben, ist jedoch ermessensfehlerhaft ergangen. Die Rücknahme der - wie ausgeführt - bestandskräftigen Erlaubnis steht nach § 48 Abs. 1 VwVfG im Ermessen der Behörde. Die behördliche Entscheidung ist nach § 114 Satz 1 VwGO von dem Gericht lediglich darauf zu überprüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Vorliegend fehlt es an jeglicher Ermessensbetätigung des Beklagten. Denn weder die Entscheidung des Beklagten vom 6. Dezember 2011, mit der lediglich in der Duldung der Hinweis aufgenommen wurde, dass dem Kläger eine unselbstständige Erwerbstätigkeit nicht gestattet sei, noch das Schreiben des Beklagten vom 11. Dezember 2012 und auch nicht der vorgelegte Verwaltungsvorgang lassen erkennen, dass sich der Beklagte im Klaren darüber gewesen ist, dass die Entscheidung über die Aufhebung der Beschäftigungserlaubnis im behördlichen Ermessen steht und insoweit eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen ist, ob die zuvor unbefristet erteilte Beschäftigungserlaubnis zurückgenommen wird.

Eine Heilung des Ermessensfehlers im gerichtlichen Verfahren scheidet aus. Zwar kann die Verwaltungsbehörde gemäß § 114 Satz 2 VwGO ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des angefochtenen Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Diese Vorschrift betrifft jedoch nur den Fall, dass die Behörde überhaupt Ermessenserwägungen angestellt hat. Der Fall des Ermessensnichtgebrauchs ist davon nicht erfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.05.1998 - 1 C 17.97 - juris)."

An diesen Erwägungen hält die Kammer fest und stützt ihre Entscheidung darauf. Zwar mag im vorliegenden Verfahren bereits zweifelhaft sein, ob der Beklagte die Frist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG eingehalten hat, denn ein konkreter Zeitpunkt, von dem an der Beklagte Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Erteilung der Beachäftigungserlaubnis hatte, liegt nicht vor; vielmehr bestand jedenfalls auf Seiten des Beklagten bereits seit der Vorführung des Klägers vor Vertretern der sierra-leonischen Botschaft im November 2004 Unklarheit über die Staatsangehörigkeit und die Identität des Klägers, denn die Botschaftsvertreter waren zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger kein Staatsangehöriger Sierra Leones sei. Damit lagen bereits zu jenem Zeitpunkt die Versagungsgründe des § 11 BeschVerfV vor, die auch hier zur Rechtswidrigkeit der erteilten Erlaubnis führen.

Diese Erwägungen müssen jedoch nicht vertieft werden, denn dessen ungeachtet hat der Beklagte auch hier den ihm durch § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG eingeräumten Ermessensspielraum nicht erkannt und das Ermessen nicht ausgeübt, wie sich aus seiner Formulierung (S. 2 am Ende des angefochtenen Bescheids), nach der "die Arbeitserlaubnis zu widerrufen ist", ergibt. Unter diesen Umständen war der angegriffene Bescheid aufzuheben. [...]