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VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 26.02.2014 - A 3 K 339/14 - asyl.net: M21602
https://www.asyl.net/rsdb/M21602
Leitsatz:

Die Gefahr der Inhaftierung eines Asylsuchenden in Ungarn über mehrere Monate hinweg nach der Rückführung im Rahmen des Dublin-Verfahrens ist nicht hinnehmbar.

Schlagwörter: EuGH, Ungarn, Dublinverfahren, systemische Mängel, Dublin II-VO, Inhaftierung, unmenschliche Behandlung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1, VO 343/2003 Art. 13, VO 343/2003 Art. 18 Abs. 1 b, GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

Nach der im vorliegenden Verfahren allein gebotenen summarischen Prüfung liegen hinreichende Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens in Ungarn vor, die geeignet sind, die oben beschriebene Vermutung zu widerlegen. Zwar führte das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen UNHCR in einem Bericht vom Dezember 2012 aus, das ungarische Parlament habe im November 2012 umfassende Gesetzesänderungen verabschiedet, denen zufolge Asylbewerber nicht ohne sachliche Prüfung des Asylantrags nach Serbien oder in die Ukraine abgeschoben und nicht inhaftiert würden, wenn sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise einreichten. Dublin-Rückkehrer würden nicht inhaftiert und erhielten die Möglichkeit, ein noch nicht in der Sache geprüftes Asylverfahren zu Ende zu bringen. Darauf beruhend, ging der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (vgl. Beschl. v. 06.08.2013 - 12 S 675/13 -, InfAuslR 2014, 29) davon aus, es sei nicht (mehr) ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Ungarn systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der dorthin überstellten Asylbewerber erwarten ließen (vgl. auch EGMR, Urt. v. 06.06.2013 - 2283/12 -).

Inzwischen ist aber - jedenfalls was die Frage der Inhaftierung von Asylbewerbern angeht - eine Änderung eingetreten. Denn zum 01.07.2013 ist nach dem ungarischen Asylgesetz, die Verhängung von sog. Asylhaft möglich (vgl. Pro Asyl vom Oktober 2013: "Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit", S. 8 ff.). In Anlehnung an die EU-Aufnahmerichtlinie wurde eine neue Form der Haft für Asylsuchende eingeführt, die sich rechtlich gesehen von Abschiebungshaft unterscheidet und bis zu sechs Monate dauern kann. Als Haftgründe gelten u.a.,

- dass der Antragsteller untergetaucht ist oder die Durchführung des Asylverfahrens auf andere Art und Weise behindert oder

- um Informationen zu erhalten, die zur Durchführung des Asylverfahrens notwendig sind, wenn gewichtige Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Antragsteller die Durchführung des Asylverfahrens verzögern oder behindern oder untertauchen würde, oder

- der Antragsteller wiederholt seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen, und damit die Durchführung des Dublin-Verfahrens behindert.

Pro Asyl (a.a.O., S. 10) hat sich nicht in der Lage gesehen zu beurteilen, ob aufgrund dieser neuen Gesetzeslage tatsächlich mit einer Inhaftierung von Dublin-II-Rückkehrern zu rechnen sei. Allerdings hat es zu Recht zu bedenken gegeben, dass Dublin-II-Rückkehrer (zumindest wenn sie sich - wie auch der Antragsteller - noch in einem laufenden Verfahren befinden) das Inhaftierungskriterium des "Untertauchens" bzw. der "Behinderung/der Verzögerung des Asylverfahrens" erwiesenermaßen erfüllt haben. Nach dem - soweit ersichtlich nur in englischer Sprache verfügbaren - Bericht der Arbeitsgruppe über willkürliche Inhaftierungen des "United Nations Human Rights Office of the High Comissioner" über einen Besuch in Ungarn vom 23.09. bis 02.10.2013 (siehe unter http: /iwww.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?News1D=13816&Lang/D =E) spricht auch viel dafür, dass die Inhaftierungspraxis (auch) bei Asylbewerbern mit erheblichen Mängeln behaftet ist. Die Arbeitsgruppe erkennt zwar die erheblichen Schwierigkeiten an, die sich aus dem starken Anstieg der Asylbewerberzahlen in Ungarn ergeben. Nachdem im Jahr 2012 2.157 Asylanträge registriert worden waren, schätzt die Arbeitsgruppe die Zahl im Jahr 2013 auf 15.000. Sie erkennt auch positive Verbesserungen in der Gesetzesänderung ab Juli 2013 an. Gleichwohl stellt sie eine signifikante Konzentration auf die Inhaftierung von Asylbewerbern fest, die besorgniserregend sei, und berichtet von vielen Bedenken wegen Verletzung der Rechte trotz der neuen Gesetzeslage. Auch ist die Rede von einem System der Verlängerung der Haft ohne angemessene Berücksichtigung der Eingaben des Rechtsanwalts und der individuellen Verhältnisse des Häftlings. Haft solle nicht das allgemeine und erste Mittel sein. Die Arbeitsgruppe kritisiert auch fehlende effektive Rechtsschutzmöglichkeiten und mahnt solide Verbesserungen an. Ein abschließender Bericht wurde für das Jahr 2014 zugesagt. Damit bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass Ungarn zu der von UNHCR im April 2012 (UNHCR, Ungarn als Asylland, Bericht vom April 2012 zur Situation für Asylsuchende und Flüchtlinge in Ungarn) festgestellten systematischen Inhaftierung von Asylsuchenden zurückgekehrt ist.

Angesichts dieses Berichts sind die Erfolgsaussichten der Klage jedenfalls als offen anzusehen. Eine eingehendere Prüfung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Eine Rückführung des Antragstellers mit der Gefahr einer Inhaftierung über mehrere Monate hinweg erscheint nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnis nicht hinnehmbar (ebenso VG München, Beschl. v. 28.10.2013 - M 23 S 13.31082 -, InfAuslR 2014, 33; VG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 24.07.2013 - VG 1 L 213/13.A -; a. A. etwa VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 06.08.2013, a.a.O.; VG Augsburg, Beschl. v. 05.12.2013 - Au 7 S 13.30454 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 05.11.2013 - 18 L 2122/13.A sowie in Hauptsacheverfahren OVG Sachsen Anhalt, Beschl. v. 31.05.2013 - 4 L 169/12 - und VG Hannover, Urt. v. 07.11.2013 - 2 A 4696/12 -, jeweils zitiert nach juris). [...]