SG Hannover

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Zitieren als:
SG Hannover, Urteil vom 26.09.2013 - S 53 AY 14/13 - asyl.net: M21578
https://www.asyl.net/rsdb/M21578
Leitsatz:

Bewilligt der Leistungsträger in seinem Bescheidtenor für einen fest umrissenen Zeitraum Leistungen in konkreter Höhe, so begründet auch ein im Fließtext enthaltener Zusatz über die stillschweigende Verlängerung "von Tag zu Tag" sowie der weitere Hinweis auf die Weitergewährung der Leistungen in den Folgemonaten bei unveränderten Verhältnissen keine zeitlich unbegrenzte Bewilligungsentscheidung.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialleistungen, Asylbewerberleistungsgesetz, Bewilligung, Bewilligungsentscheidung, Verwaltungsakt, Dauerwirkung, Bundesverfassungsgericht,
Normen: AsylbLG § 3,
Auszüge:

[...]

Der Beklagte kann sich hinsichtlich der Leistungsbewilligung für den Zeitraum von April 2012 bis Juli 2012 nicht auf eine bestandskräftige Leistungsablehnung im Bescheid vom 01.03.2012 berufen, da dieser Bescheid den Leistungsanspruch für diesen Zeitraum nicht regelt (dazu unter 1). Für die Zeit vom 01.04.2012 bis 31.07.2012 hat der Kläger nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 einen Anspruch auf höhere Leistungen nach § 3 AsylbLG (dazu unter 2).

1) Der Bewilligungsbescheid vom 01.03.2012 regelt nach seinem objektiven Erklärungsgehalt lediglich das Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagten für die Monate Februar und März 2012. Nur insoweit liegt eine bestandskräftige Entscheidung vor. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn dessen Regelungsinhalt – vom Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes her – nach seinen rechtlichen Wirkungen in die Zukunft fortwirken soll, sich also über eine einmalige Gestaltung der Rechtslage hinaus auf eine gewisse – bestimmte oder unbestimmte – zeitliche Dauer in der Zukunft erstrecken soll. Enthält ein Bescheid eine ausdrückliche Bewilligung für einen Monat mit dem Zusatz, dass bei gleichbleibenden Verhältnissen die Leistungen in dieser Höhe erbracht werden, so handelt es sich nach dem Empfängerhorizont nicht um einen sogenannten Dauerverwaltungsakt (BSG, Urt. v. 17.06.2008 – B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 11). Letzterer Zusatz ist dann als Mitteilung zu verstehen, dass die weiteren Bewilligungsentscheidungen konkludent durch tatsächliche Erbringung der Leistung erfolgen sollen (BSG, a.a.O.). Zwar werden im Rahmen der Auslegung auch die weiteren konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sein. Ausgangspunkt der Auslegung muss jedoch nach wie vor der konkrete Bescheidtenor sein (vgl. dazu LSG Niedersachsen-Bremen vom 16.11.2010 – L 8 SO 343/10 ER).

Hier spricht der konkrete Bescheidtenor für die Gewährung von Leistungen lediglich für die Monate Februar und März 2012. Nichts anderes ergibt sich aus der im Bescheid enthaltenen Formulierung, dass sich die Bewilligung stillschweigend von Tag zu Tag verlängere, solange die gesetzlichen und tatsächlichen Voraussetzungen der Leistungen anhalten. Aus dieser Formulierung lässt sich keine belastbare Aussage des Beklagten hinsichtlich der Leistungshöhe für die Monate ab April 2012 herleiten. So werden Leistungen nach dem AsylbLG regelmäßig für den kompletten Monat bewilligt. Würde sich, wie dem Bescheid zu entnehmen ist, die Leistungen lediglich von Tag zu Tag stillschweigend verlängern, könnte der Kläger die für den Monat April 2012 bewilligten Betrag erst am Ende des Folgemonats für sich in Anspruch nehmen. Die vom Beklagten hier standardmäßig verwendete Formulierung lässt sich daher am ehesten als eine Art Widerrufsvorbehalt auslegen.

Daran ändert auch die Formulierung nichts, wonach "die Leistungen für die Folgemonate (…) jeweils monatlich im voraus gewährt (würden), solange sich in (den) persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen" keine wesentliche Änderung ergebe. Diese Formulierung lässt vielmehr in Verbindung mit dem sich unmittelbar anschließenden Hinweis auf Abholung der Wertgutscheine den Schluss zu, dass die eigentliche Leistungsentscheidung erst an der Ausgabestelle erfolgen soll. Soweit der Beklagte hier keine hinreichenden Parallelen zu der vom BSG am 17.06.2008 entschiedenen Fallgestaltung mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Formulierung "gewähren" und "bewilligen" erkennen will, vermag dies im Ergebnis nicht zu überzeugen. Letztlich fehlt es für eine sachgerechte Übertragung der BSG-Entscheidung auf den vorliegenden Fall an der Kenntnis der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage im Parallelfall. In den Entscheidungen von BSG und LSG fehlen ausführliche Darlegungen zum Inhalt des konkret auszulegenden Bescheides. Die Kammer hält es letztlich allerdings für nicht nachvollziehbar, warum der Beklagte, wenn er einen zeitlich unbefristeten Leistungsanspruch des Leistungsberechtigten verfügen will, in seinem Tenor nicht eine unmissverständliche Formulierung ("ab", "bis auf weiteres") im Bescheidtenor verwendet.

Unabhängig davon geht das Gericht davon aus, dass der Beklagte sich bei unklaren Formulierungen in Bewilligungsentscheidungen nicht nachträglich auf dessen Bestandskraft berufen kann. Denn es obliegt dem Leistungsträger nach Maßgabe des § 37 Abs. 1 Bundesverwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) i.V.m. § 1 Abs. 1 Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz (Nds. VwVfG) hoheitliche Entscheidungen, die auf die Begründung von Rechten und Pflichten gerichtet sind, hinreichend bestimmt und unzweideutig in ihrem Anwendungsbereich zu umschreiben. Dies wäre durch die oben genannten Formulierungen ohne Schwierigkeiten möglich gewesen.

2) Der Kläger hat nach den Vorgaben der vom Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) geschaffenen Übergangsregelung einen Anspruch auf weitere Leistungen für die Zeit von April 2012 bis Juli 2012. Der Kläger ist aufgrund seines geduldeten Aufenthalts nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG dem Grund nach leistungsberechtigt. Anhaltspunkte für (bedarfsdeckendes) Einkommen bzw. Vermögen hat das Gericht nicht. [...]