VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 18.09.2013 - 10 K 366/13 - asyl.net: M21531
https://www.asyl.net/rsdb/M21531
Leitsatz:

1. Eine den Ausschlussgrund nach § 104 a Abs. 1 Nr. 6 AufenthG begründende Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat ist solange verwertbar, wie sie nach den Regelungen des Bundeszentralregistergesetzes noch nicht zu tilgen ist.

2. Ein rechtliches Ausreisehindernis i.S.v. § 25 Abs. 5 AufenthG auf der Grundlage des von Art. 8 EMRK gestützten Rechts auf Achtung des Privatlebens kommt nur bei einem rechtmäßigen Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet und einem schutzwürdigen Vertrauen auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausschlussgrund, Bundeszentralregister, Straftat, rechtliches Ausreisehindernis, rechtliche Unmöglichkeit, Achtung des Privatlebens, Tilgungsfrist, Altfallregelung, Bleiberecht,
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 Nr. 6, AufenthG § 25 Abs. 5, EMRK Art. 8,
Auszüge:

[...]

Nach Nr. 3.3 der vorgenannten Bleiberechtsregelung vom 20.12.2006 ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht ausgeschlossen bei einer Verurteilung wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat. Geldstrafen bis zu 50 Tagessätzen können außer Betracht bleiben. Nicht zum Ausschluss führen dagegen Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können. Eine inhaltsgleiche Bestimmung enthält die Altfallregelung in § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG, wonach der Ausländer nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt worden sein darf, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben. Dieser Ausschlussgrund liegt hier ersichtlich vor, da der Kläger ausweislich der von dem Beklagten eingeholten Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 13.01.2012 unter anderem durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert vom 13.11.2001, 2 Ds 463/01/48 VRs 868/01, wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten auf Bewährung verurteilt worden ist. Damit scheidet die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowohl nach der auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 AufenthG ergangenen Bleiberechtsregelung des saarländischen Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport vom 20.12.2006 ebenso wie nach der Altfallregelung des § 104a Abs. 1 AufenthG zwingend aus. Entgegen der Auffassung des Klägers besteht insoweit nämlich kein behördliches Ermessen, denn die Verurteilung wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe stellt einen strikten Versagungsgrund dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.01.2009, 1 C 40.07, DVBl. 2009, 650; ferner Hailbronner, AuslR, Stand: April 2013, § 104 a Rdnr. 23, m.w.N.).

Die fragliche Straftat kann dem Kläger auch nach wie vor vorgehalten werden. Da der Kläger mit weiterem Urteil vom 26.07.2007, 51 VRs 68 Js 859/07 5 Cs 274/07, durch das Amtsgericht Homburg rechtskräftig wegen vorsätzlichen Fahrens mit einem nicht versicherten Kraftfahrzeug zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen verurteilt worden ist, ist die in Rede stehende Verurteilung bei weiterer Straffreiheit des Klägers erst am 26.07.2017 tilgungsreif. Gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 Bundeszentralregistergesetz –BZRG- ist, wenn im Register mehrere Verurteilungen eingetragen sind, die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Da die Tilgungsfrist für die Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Homburg vom 26.07.2007 wegen vorsätzlichen Fahrens mit einem nicht versicherten Kraftfahrzeug gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) BZRG 10 Jahre beträgt, ist mithin auch die Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht St. Ingbert vom 13.11.2001 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten erst am 26.07.2017 tilgungsreif (vgl. die entsprechende Mitteilung des Bundeszentralregisters an den Beklagten vom 09.05.2012, Bl. 560 der Ausländerakte des Klägers (Bd. II)).

Solange eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat im Sinne von § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG nach den Regelungen des Bundeszentralregistergesetzes aber nicht zu tilgen ist, ist die Verurteilung auch noch im Rahmen von § 104 a AufenthG verwertbar. Dass die den in Rede stehenden Versagungsgrund begründende Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht St. Ingbert vom 13.11.2001 nahezu 12 Jahre zurückliegt und ihre Ursachen angeblich in der damaligen Lebenssituation des Klägers hatte, ist dementsprechend ohne rechtliche Relevanz. Die Verwertbarkeit einer strafrechtlichen Verurteilung richtet sich allein nach den einschlägigen Bestimmungen des Bundeszentralregistergesetzes (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 17.07.2013, 2 D 367/13).

Entsprechendes gilt hinsichtlich des inhaltsgleichen Ausschlussgrundes der Bleiberechtsregelung des saarländischen Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport vom 20.12.2006 (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.01.2011, 1 C 22.09, InfAuslR 2011, 240; ferner Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Mai 2013, § 104 a Rdnr. 100, m.w.N.).

Das Begehren des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lässt sich auch nicht hilfsweise auf die Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK stützen. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG soll einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, dessen Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit einem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine Ausreise ist im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dabei aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sowohl der Abschiebung als auch der freiwilligen Ausreise des Ausländers rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder diese als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen insbesondere auch diejenigen Verbote zählen, die etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG aus Verfassungsrecht oder aber aus Völkervertragsrecht, beispielsweise aus Art. 8 EMRK, in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27.06.2006, 1 C 14.05, DVBl. 2006, 1509, m.w.N.).

Davon ausgehend erweist sich die Ausreise des Klägers nicht im Verständnis von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich. Insbesondere kann der Kläger ein rechtliches Ausreisehindernis nicht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK herleiten, weil er bereits 1989 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und hier seither seinen Lebensmittelpunkt hat. Das von Art. 8 Abs. 1 EMRK insoweit geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst zwar die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen – angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt. Ein den Schutz von Art. 8 Abs. 1 EMRK begründendes Privatleben kommt allerdings grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.04.2009, 1 C 3.08, NVwZ 2009, 1239 und vom 26.10.2010, 1 C 18.09, InfAuslR 2011, 92; ferner OVG des Saarlandes, u.a. Urteil vom 03.02.2011, 2 A 484/09, sowie Beschluss vom 08.03.2013, 2 A 16/13, m.w.N.).

Davon kann bei dem Kläger, dessen Aufenthalt ausschließlich zur Durchführung seines Asylverfahrens gestattet und nach dessen erfolglosem Abschluss im Jahre 1996 lediglich geduldet war, erkennbar keine Rede sein. Da sich der Kläger nach dem negativen Abschluss seines Asylverfahrens zu keinem Zeitpunkt rechtmäßig in Deutschland aufgehalten hat, er vielmehr ausreisepflichtig war, konnte er schon von daher trotz seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet letztlich kein schutzwürdiges Vertrauen auf dessen Fortbestand bilden. Die dem Kläger als abgelehntem Asylbewerber langjährig erteilten Duldungen ließen seine Ausreisepflicht gemäß § 60a Abs. 3 AufenthG unberührt.

Zu keiner anderen Beurteilung gibt auch der Hinweis des Klägers darauf Anlass, dass der von ihm bereits im Januar 2007 gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erst mit Bescheid des Beklagten vom 11.06.2012 und damit nahezu fünfeinhalb Jahre nach Antragstellung beschieden worden sei. Denn ungeachtet des Vorliegens etwaiger sachgerechter Gründe für diese überlange Verfahrensdauer blieb der Kläger in diesem Zeitraum auch weiterhin zur Ausreise verpflichtet.

Eine schützenswerte Rechtsposition in Form eines Ausreisehindernisses auf der Grundlage von Art. 8 EMRK kommt darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn von einer abgeschlossenen "gelungenen" Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist es, dass sich der Ausländer eine bestimmte, auch längere Zeit, im Aufnahmeland aufgehalten hat. Eine Aufenthaltsbeendigung kann vielmehr nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das "Privatleben" im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte zum Aufnahmestaat verfügt, das er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch“ zu einem Inländer geworden ist, dem ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann (ständige Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichte, vgl. etwa OVG des Saarlandes, u.a. Beschlüsse vom 19.12.2011, 2 B 405/11, und vom 11.06.2010, 2 B 124/10, m.w.N.; ferner die Urteile der Kammer vom 29.08.2012, 10 K 395/12, und vom 16.06.2011, 10 K 2277/10, m.w.N.).

Das ist hier auch unter Berücksichtigung des langjährigen Aufenthalts des Klägers in Deutschland und seiner seit dem 02.09.2013 in Vollzeit ausgeübten Tätigkeit als Helfer bei der G.-Metall GmbH erkennbar nicht der Fall. Die überwiegende Zeit seines mittlerweile über 23-jährigen Aufenthalts im Bundesgebiet war der Kläger auf öffentliche Leistungen zur Bestreitung seines Lebensunterhalts angewiesen. Zudem ist der Kläger wiederholt straffällig geworden, weswegen er zuletzt mit Urteil des Amtsgerichts Homburg vom 15.07.2007 wegen vorsätzlichen Fahrens mit einem nicht versicherten Kraftfahrzeug zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen verurteilt wurde. Schon mit Blick hierauf kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verwurzelung des Klägers in die deutschen Lebensverhältnisse so ausgeprägt wäre, dass ihm ein Leben in seinem Heimatland nicht mehr zugemutet werden könnte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger erst im Alter von 30 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und damit einen Großteil seines Lebens, insbesondere die prägenden Jahre seiner Kindheit und Jugend, in seinem Heimatland verbracht hat, so dass er mit der Sprache und den dortigen Lebensverhältnissen vertraut ist. Ernsthafte Bedenken, dass es dem Kläger ungeachtet seiner Zugehörigkeit zum Volk der Roma unmöglich sein sollte, sich in seinem Heimatland wiedereinzugliedern, bestehen nicht.

Soweit der Kläger im gegebenen Zusammenhang letztlich darauf verweist, dass er als Angehöriger einer Minderheit im Kosovo dort auch heute noch massiven Diskriminierungen durch die Mehrheitsbevölkerung sowie von Seiten staatlicher Organe ausgesetzt wäre, vermag er damit vorliegend nicht durchzudringen. Die damit geltend gemachten Schwierigkeiten bei einer Rückkehr in den Kosovo kann der Beklagte im Fall des Klägers als abgelehnten Asylbewerber nicht berücksichtigen, da er insoweit gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG an die negativen Entscheidungen des früheren Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in den Asylverfahren des Klägers gebunden ist. [...]