VG Stuttgart

Merkliste
Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 11.09.2013 - 11 K 1272/13 - asyl.net: M21488
https://www.asyl.net/rsdb/M21488
Leitsatz:

1. Mit den §§ 30 und § 35 StAG hat der Gesetzgeber - abschließend - geregelt, wie mit mängelbehafteten Vorgängen auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsrechts rechtlich umzugehen ist. Diese spezialgesetzlichen Regelungen gehen daher insgesamt den verwaltungsverfahrensrechtlichen generellen Regelungen vor (Rn.19).

2. Ist eine Staatsangehörigkeitsbehörde der Auffassung, ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit sei durch ein vorangegangenes Einbürgerungsverfahren nicht wirksam eingetreten, so hat sie ein entsprechendes Feststellungsverfahren von Amts wegen nach § 30 Abs. 1 Satz 2 StAG einzuleiten. Eine Nichtigkeitsfeststellungsentscheidung nach Landesrecht (§ 44 Abs. 5 LVwVfG) scheidet dagegen aus.

3. Enthält eine Einbürgerungsurkunde falsche Personalien, macht dies sie nicht zu einer "Nicht-Urkunde". Dies stellt keinen Nichtigkeitsgrund nach § 44 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG dar.

4. Eine Einbürgerung unter falschem Namen aufgrund von falschen Angaben stellt keinen jener offenkundigen schweren Mängel dar, die die Nichtigkeit dieser Einbürgerung nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts zur Folge hat (Bestätigung von BVerwG, Urt. v. 08.03.1977 - I C 15.73 -, NJW 1977, 1603, (juris).

5. Lediglich wenn sich ein Einbürgerungsbewerber im vorangegangenen Einbürgerungsverfahren der tatsächlichen Personalien einer anderen realen Person bedient, ergibt sich die Nichtigkeit der Einbürgerung aus dem Umstand, dass ansonsten zwei Personen aus dem Vorgang der Einbürgerung für sich Rechtsfolgen abzuleiten in der Lage wären (Bestätigung von VG Stuttgart, Urt. v. 12.11.2012 - 11 K 3014/12 -, <juris>).

6. Die Klärung der Identität im Einbürgerungsverfahren ist notwendige Voraussetzung und unverzichtbarer Bestandteil der Prüfung der in §§ 10 und 11 StAG genannten Einbürgerungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe. Fehler insoweit machen eine Einbürgerung rechtswidrig und ggf. nach der Vorschrift des § 35 StAG rücknehmbar. Nach Ablauf der in § 35 Abs. 3 StAG genannten Frist wird dies von Rechts wegen hingenommen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Einbürgerungsverfahren, Feststellungsverfahren, falsche Personalien, Falschangaben, Nichtigkeit, Identitätsfeststellung, Klärung der Identität, Identität, Täuschung über Identität,
Normen: StAG § 30, StAG § 35, StAG § 30 Abs. 1 S. 2, StAG § 10, StAG § 11, StAG § 35 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

II.

Die angegriffenen Entscheidungen waren vielmehr aufzuheben, weil die darin getroffenen Feststellungen staatsangehörigkeitsrechtlicher Art nicht zutreffen. Die vorgenommene Einbürgerung des Klägers aus dem Jahre 2001 ist nicht nichtig.

Soweit die Beklagte zunächst auf § 44 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG verweist, ist dieser für die vorliegende Konstellation von vornherein nicht einschlägig (VG Stuttgart, Urt. v. 12.11.2012 - 11 K 3014/12 -, <juris>). Eine Nichtigkeit wäre danach nur gegeben, wenn der Verwaltungsakt der Einbürgerung seinerzeit überhaupt nicht - obwohl vorgeschrieben - durch Aushändigung einer Urkunde bewirkt worden wäre, etwa durch "Handschlag". Solches war aber nicht der Fall. Der Kläger hat am 19.04.2001 eine Einbürgerungsurkunde erhalten. Dass diese Urkunde - auf Grund falscher Personalien - mängelbehaftet war, macht sie nicht zu einer "Nicht-Urkunde" und stellt damit keinen Nichtigkeitsgrund nach § 44 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG dar.

Aber auch die Annahme der Beklagten, der Nichtigkeitsgrund des § 44 Abs. 1 LVwVfG liege vor, trifft nicht zu. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

Bereits mit Urteil vom 08.03.1977 (- I C 15.73 -, NJW 1977, 1603, <juris>) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass eine Einbürgerung unter falschem Namen aufgrund von falschen Angaben keinen jener offenkundigen schweren Mängel aufweist, die die Nichtigkeit dieser Einbürgerung nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts zur Folge hätte. In einem derartigen Fall werde auch nicht eine nicht vorhandene Person von einem Verwaltungsakt der Behörde betroffen. Gegenstand einer solchermaßen erlangten Einbürgerung sei die Person des Einbürgerungsbewerbers, wenn auch unter falschem Namen.

Der Einzelrichter hält an dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die dieses auch in der nachfolgenden Zeit niemals aufgegeben hat, ausdrücklich fest.

Die Beklagte vermag auch aus der Entscheidung des Einzelrichters der erkennenden Kammer vom 12.11.2012 (- 11 K 3014/12 -, <juris>) nichts anderes zugunsten ihrer Rechtsansicht herzuleiten. In diesem Urteil wurde - allein - die Einbürgerung einer Person für nichtig angesehen, die sich im vorangegangenen Einbürgerungsverfahren der tatsächlichen Personalien einer anderen realen Person bedient hatte. In einer solchen Konstellation ergibt sich die Nichtigkeit der Einbürgerung aus dem Umstand, dass ansonsten zwei Personen aus dem Vorgang der Einbürgerung für sich Rechtsfolgen abzuleiten in der Lage wären. Der seinerzeit unter den falschen Personalien Eingebürgerte könnte sich auf die Wirksamkeit seiner Einbürgerung unter falschem Namen berufen. Zusätzlich aber könnte u.U. auch der real existierende andere ausländische Staatsangehörige - etwa unter Vorlage seiner Geburtsurkunde - sich darauf berufen, er sei durch Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger geworden. Die Gefahr einer solchen Kollision macht eine Einbürgerung unter den tatsächlichen Personalien einer real existierenden anderen Person nichtig.

Für den vorliegenden Fall ist diese Entscheidung jedoch ohne Bedeutung. Eine real existierende Person mit den Personalien, die der Kläger im Jahre 1991 angenommen hat, ist nicht zu erkennen. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, es sei aber auch nicht ausgeschlossen, dass es eine solche Person gebe, ist festzustellen, dass die Beklagte insoweit beweisführungsbelastet wäre. Sie beruft sich gegenüber der Einbürgerung des Klägers auf die Nichtigkeit. Im Übrigen hält das Gericht im vorliegenden Fall eine solchermaßen bestehende Personenidentität für ausgeschlossen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, wie einfach er sich nach Ablehnung seines ursprünglichen Asylantrages eine neue Identität verschafft hat. Die Beibehaltung seines angestammten Vornamens, die Veränderung des Geburtsdatums ausschließlich in der letzten Ziffer der Jahreszahl und seine bildhafte Beschreibung, wie ihn der Schriftzug eines Reisebusses, den er in seiner Erinnerung gehabt habe, zur Namenswahl "inspiriert" habe, sprechen zur Überzeugung (§ 108 VwGO) des Einzelrichters glaubhaft dafür, dass der Kläger insoweit frei erfundene Personalien angenommen hat. Es wäre auch geradezu widersinnig, wenn eine Person in der Lage des Klägers, nachdem ein erstes Asylverfahren unter seinen wirklichen Personalien nicht zum Erfolg geführt hatte, die Personalien einer real existierenden anderen Person annähme mit der Gefahr, falls auch dieses Asylverfahren erfolglos bliebe, entweder unter diesen realen Personalien dann tatsächlich abgeschoben zu werden oder aber Gefahr zu laufen, dass dieser Umstand etwa durch eine Zusammenarbeit der deutschen mit den türkischen Behörden ans Tageslicht käme. Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass die vom Kläger seinerzeit im Einbürgerungsverfahren - und davor - verwendeten Personalien keiner anderen real existierenden Person zuzuordnen sind und eine Nichtigkeit der Einbürgerung des Klägers im Jahre 2001 insoweit ausscheidet.

Die Beklagte vermag sich zuletzt aber auch nicht darauf berufen, das Bundesverwaltungsgericht selbst habe in seiner Entscheidung vom 01.09.2011 (- 5 C 27/10 -, BVerwGE 140, 311 = ImfAuslR 2012, 27 = NVwZ 2012, 707 = <juris>) entschieden, dass die Klärung der Identität im Einbürgerungsverfahren notwendige Voraussetzung und unverzichtbarer Bestandteil der Prüfung der in §§ 10 und 11 StAG genannten Einbürgerungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe ist, woraus eben geschlossen werden müsse, dass Mängel insoweit zu einer Nichtigkeit der gleichwohl vorgenommenen Einbürgerung führen müssten. Denn diese Schlussfolgerung wird in dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts an keiner Stelle gezogen. Zwar trifft es zu, dass im Einbürgerungsverfahren von einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Klärung der Identität ausgegangen werden muss (so bereits zuvor VG Stuttgart, Urt. v. 01.03.2010 - 11 K 223/09 -, <juris> und ebenso Urteil vom 22.03.2012 - 11 K 3604/11 -, <juris>). Fehler insoweit machen eine Einbürgerung rechts - widrig und ggf. nach der Vorschrift des § 35 StAG rücknehmbar. Eine Nichtigkeit folgt daraus jedoch nicht.

Die Beklagte übersieht insoweit, dass die von ihr diesbezüglich herangezogene Vorschrift des § 44 Abs. 1 LVwVfG ausdrücklich bestimmt, dass bezüglich des zu prüfenden Verwaltungsaktes ein besonders schwerwiegender Fehler vorliegen muss, der auch offenkundig ist. Vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.09.2011 hat er aber im dortigen Verfahren selbst noch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 18.08.2010 (- 19 A 1412/09 -, <juris>) die gegenteilige Ansicht vertreten, wonach es gerade keine Pflicht zur Identitätsklärung als Regelvoraussetzung im Einbürgerungsverfahren gebe, da nach der Systematik des Gesetzes die Identität im ausländerrechtlichen Verfahren geklärt und eine erneute Prüfung vom Staatsangehörigkeitsrecht daher nicht verlangt werde. Wenn aber noch im Jahre 2010 die Frage einer notwendigen Identitätsklärung derart umstritten war, dass ein Oberverwaltungsgericht zu dieser Rechtsansicht kommen konnte, dann scheidet die Annahme aus, im Jahre 2001 sei es offenkundig gewesen, dass die Einbürgerung des Klägers wegen eben eines solchen Identitätsproblems an einem besonders schweren Mangel gelitten habe, was zur Annahme der Nichtigkeit führen müsse.

Der insoweit bestehende Fehler im Einbürgerungsverfahren des Klägers führt daher zur "einfachen" Rechtswidrigkeit seiner Einbürgerung. Nach Ablauf der in § 35 Abs. 3 StAG genannten Frist wird dies von Rechts wegen hingenommen.

III.

Daraus folgt, dass - gerade umgekehrt zu den aufgehobenen behördlichen Feststellungen - auf (gerichtlichen) Antrag des Klägers nunmehr gemäß § 30 Abs. 1 StAG die Feststellung zu treffen war, dass er deutscher Staatsangehöriger ist. [...]