VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 06.12.2013 - 14 L 2330/13.A - asyl.net: M21439
https://www.asyl.net/rsdb/M21439
Leitsatz:

Für einen Menschen mit Down-Syndrom droht bei einer Rückkehr nach Pakistan im Familienverband keine erhebliche Gefahr für Leib und Leben.

Die UN-Behindertenrechtskonvention bindet deutsche Behörden lediglich beim nationalen Umgang mit Behinderten im Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Es ist jedoch nicht geschuldet, die Einhaltung der völkerrechtlich geschuldeten Maßstäbe in anderen Staaten zu prüfen und ggf. deren Versäumnisse zu kompensieren, etwa im Rahmen des bei Abschiebung von Ausländern zu beachtenden Rechts.

Schlagwörter: Pakistan, medizinische Versorgung, Behindertenrechtskonvention, UN-Behindertenrechtskonvention, Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Kinderrechtskonvention, internationales Recht, Völkerrecht, nationales Abschiebungsverbot, Down-Syndrom, geistige Behinderung, Schwerbehinderung, Gefahr für Leib und Leben,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2, AsylVfG § 4 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 4 Abs. 2 Nr. 2, EMRK Art. 3, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Soweit die Antragstellerin geltend macht, im Falle ihrer Abschiebung werde die gerade eingesetzte heilpädagogische Förderung sowie die hiermit verbundene konkrete Verbesserung ihres Gesundheitszustandes abbrechen, was eine unmenschliche Behandlung darstelle, beruft sie sich sinngemäß auf das Vorliegen eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylVfG (vormals § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.) i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (EMRK). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Abschiebungsverbotes sind indes nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, können Ausländer im Hinblick auf § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylVfG i.V.m. Art. 3 EMRK kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Denn der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Insoweit begründet Art. 3 EMRK keine Verpflichtung der Konventionsstaaten, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 –, Rn. 23 ff., juris; BVerwG, Beschluss vom 25.10.2012 – 10 B 16.12 –, Rn. 8 ff., juris).

Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 –, Rn. 23 ff., juris; BVerwG, Beschluss vom 25.10.2012 – 10 B 16.12 –, Rn. 8 ff., juris).

Ein derartiger Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Das Down-Syndrom führt bei Betroffenen zumeist zu einer geistigen Behinderung, deren Ausprägungsgrad individuell verschieden, aber häufig dem Spektrum einer leichten geistigen Behinderung zuzuordnen ist. Die Entwicklung von Kindern mit Down-Syndrom erfolgt im Vergleich zu der von Regelkindern bis zum fünften Lebensjahr etwa im halben Tempo. Dabei schreitet die kognitive Entwicklung in der Regel schneller voran als die motorische. Danach erfolgt meist eine Umkehrung, und die motorische Entwicklung schreitet dann schneller voran als die kognitive (vgl. de.wikipedia.org/wiki/Down-Syndrom, zuletzt abgerufen am 05.12.2013).

Dies zugrunde gelegt ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass im Fall der Antragstellerin ein Verlauf der angeborenen Behinderung gegeben ist, der von der Regelentwicklung anderer Kinder mit Down-Syndrom in besonderem Maße abweicht und zur Annahme eines humanitären Ausnahmefalles führen könnte. Im Zwischenbericht des Reha-Zentrums P. vom 29.10.2013 heißt es insoweit, dass das Entwicklungsalter der vierjährigen Antragstellerin bei ungefähr zwei Jahren liegt. Dies entspricht dem regulären Entwicklungs- verlauf eines Kindes mit Down-Syndrom im vorgenannten Sinne. Auch in der Stellungnahme der Kinder- und Jugendärztin O. U. vom 08.11.2013 werden bei der Antragstellerin – abgesehen von bestehenden Ernährungsschwierigkeiten mit Schluckstörung (Dysphagie), die ersichtlich keinen humanitären Ausnahmefall begründen – lediglich das Down-Syndrom sowie eine kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung diagnostiziert. Hinsichtlich einer Prognose des zu erwartenden Krankheitsverlaufes ohne Behandlung bzw. Medikation führt die Ärztin aus, dass gegenwärtig nicht vorhergesagt werden könne, wie sich die Antragstellerin aufgrund des bekannten Down-Syndroms letztendlich entwickeln werde. Eine Reisefähigkeit sei gegeben. Es bestehen folglich keine humanitären Gründe, die einer Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise entgegenstehen.

Liegen mithin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylVfG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor, sind gleichfalls auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 –, Rn. 36, juris).

Auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind auf Grundlage der nunmehr vorgelegten Unterlagen weiterhin nicht gegeben. Zwar können die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bereits dann erfüllt sein, wenn sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort faktisch unzureichend sind. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist in diesen Fällen, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung muss jedoch zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führen, also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lassen. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.08.2011 – 10 B 13.11, 10 B 13.11, 10 PKH 11.11 –, Rn. 3, juris; BVerwG, Urteil vom 17.10.2006 – 1 C 18.05 –, Rn. 15, juris; BVerwG, Beschluss vom 24.05.2006– 1 B 118.05 –, Rn. 4, juris).

Nach Maßgabe dieser Kriterien ist nicht feststellbar, das der Antragstellerin infolge des Down-Syndroms bei einer Rückkehr nach Pakistan im Familienverband eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben droht. Der Zwischenbericht des Reha-Zentrums P. vom 29.10.2013 verhält sich von vornherein nicht zu möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen für die Antragstellerin im Falle einer Rückkehr nach Pakistan, sondern gibt lediglich den aktuellen Stand der bei der Antragstellerin derzeit angewandten heilpädagogischen, physiotherapeutischen und logopädischen Behandlung wieder. Darüber hinaus lässt sich auch der Stellungnahme der Kinder- und Jugendärztin O. U. vom 08.11.2013 nicht entnehmen, dass der Antragstellerin im Falle der Rückkehr in ihr Heimatland erhebliche konkrete Gefahren für Leib und Leben drohen. Die Ärztin führt hinsichtlich einer Prognose des zu erwartenden Krankheitsverlaufes ohne Behandlung bzw. Medikation lediglich aus, dass gegenwärtig nicht vorhergesagt werden könne, wie sich die Antragstellerin aufgrund des bekannten Down-Syndroms letztendlich entwickeln werde. Es kann mithin auf Grundlage der ärztlichen Stellungnahme nicht festgestellt werden, dass sich das bei der Antragstellerin vorhandene Down- Syndrom im Falle ihrer Rückführung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt.

Dessen ungeachtet könnte eine medizinisch notwendige Behandlung der Antragstellerin, wie bereits im Beschluss vom 10.10.2013 – 14 L 1890/13.A – ausgeführt, auch in Pakistan vorgenommen werden. Denn nach der gegenwärtigen Auskunftslage ist die medizinische Versorgung in Pakistan insgesamt auf jedem Niveau möglich, von Ärzten und Krankenhäusern bis hin zu Universitätskliniken und psychiatrischen Kliniken (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Pakistan, Stand: September 2012, S. 28; Bericht zur Fact Finding Mission Pakistan 2013 des Bundesasylamtes der Republik Österreich, Stand: Juni 2013, S. 59 ff., abrufbar unter: www.ecoi.net; VG Ansbach, Urteil vom 26.02.2010 – AN 3 K 09.30090 –, Rn. 22, juris).

Die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart führt insoweit zu keiner anderen Beurteilung, weil sie ein vollkommen anderes Krankheitsbild betrifft.

Letztlich führt auch die pauschale Geltendmachung einer Verletzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention zu keinem anderen Ergebnis. Es ist weder ersichtlich noch dargetan, wie aus den genannten UN-Konventionen außerhalb der abschließend normierten nationalen und unionsrechtlichen Abschiebungsverbote für die Antragstellerin ein Abschiebungshindernis hergeleitet werden könnte. Zwar bindet die UN-Behindertenrechtskonvention deutsche Behörden und Gerichte im unmittelbaren Regelungszusammenhang, mithin beim nationalen Umgang mit Behinderten im Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Demgegenüber ist jedoch nicht geschuldet, die Einhaltung der völkerrechtlich geschuldeten Maßstäbe in anderen Staaten zu prüfen und ggf. deren Versäumnisse zu kompensieren, etwa im Rahmen des bei Abschiebung von Ausländern zu beachtenden Rechts (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 10.09.2012 – 5 A 1482/11 –, Rn. 21, juris; VG Magdeburg, Urteil vom 22.01.2013 – 3 A 77/12 MD –, juris).

Gleiches gilt im Ergebnis für die von der Antragstellerin ins Feld geführte UN-Kinderrechtskonvention. Denn auch mit Blick auf die UN-Kinderrechtskonvention müssen die Maßstäbe für die Zuerkennung von Abschiebungsverboten nicht abgesenkt werden (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 10.09.2013 – 2 A 192/11 –, Rn. 40 f., juris; VG München, Urteil vom 08.05.2013 – M 15 K 12.30877 –, Rn. 57, juris, m.w.N.). [...]