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VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 20.09.2013 - A 11 K 5/13 - asyl.net: M21406
https://www.asyl.net/rsdb/M21406
Leitsatz:

Einem iranischen Staatsangehörigen, der zum Christentum konvertiert ist, ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, auch wenn das Gericht von der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts nicht überzeugt ist, da das Gericht staatskirchenrechtlich an die Entscheidung des nach innerkirchlichem Recht zuständigen Geistlichen gebunden ist.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Konvertiten, Konversion, Iran, Christen, Kirchenrecht, staatskirchenrechtlich, richterliche Überzeugungsgewissheit,
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Grundsätzen konnte sich das Gericht nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 20.08.2013 und vom 20.09.2013 von der Ernsthaftigkeit der Konversion des Klägers zum Christentum nicht überzeugen. Zwar hat der Kläger jedenfalls in der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2013 ein Grundwissen über die Inhalte der Bibel offenbart. Er hat auch darlegen können, was aus seiner Sicht den Unterschied zwischen dem Islam und dem Christentum ausmacht. Gleichwohl ist das Gericht nicht der Überzeugung, dass die Konversion auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung beruht. Denn die Kenntnisse des Klägers über Inhalte der Bibel und christlicher Glaubensgrundsätze wirkten lediglich angelernt. Hinzu kommt Folgendes: Auf die Frage des Gerichts, welche Auswirkungen der Glaubenswechsel auf seine Lebensführung habe, wusste der Kläger lediglich zu antworten, er sei sich sicher, dass er gerettet werde und seine Probleme seien nunmehr weg. Auf die weitere Frage des Gerichts, welche Probleme verschwunden seien, gab der Kläger zur Antwort, solange er Muslim gewesen sei, habe ihm keiner geholfen und seine Gebete seien nicht erhört worden. Im Iran habe er seine Ziele nie erreichen können. Sein Ziel sei es, Erfolg und ein gutes Leben zu haben. Dem Kläger war zudem das apostolische Glaubensbekenntnis völlig unbekannt. Gegen eine ernsthafte Gewissensentscheidung spricht des Weiteren das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2013, den im Iran lebenden Familienangehörigen könne er von seinem Glaubenswechsel nicht berichten.

Gleichwohl kommt dem Kläger in vollem Umfang der Schutz des Art. 10 Abs. b RL 2004/83/EG zugute. Denn die Pfarrerin ... hat den Glaubenswechsel begleitet und dokumentiert. Es ist seelsorgerische Aufgabe der zuständigen Amtsträger bzw. Organe der Kirchen und Glaubensgemeinschaften zu prüfen, ob der Glaubenswechsel und die begehrte Taufe ernsthaft gewollt und nicht nur formal wegen des begehrten Flüchtlingsstatus vorgenommen werden soll. Die Überprüfung, ob der Glaubensübertritt ernsthaft gewollt ist, hat der nach innerkirchlichem Recht zuständige Geistliche vorzunehmen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den vorgelegten Taufunterlagen um eine Gefälligkeitsbescheinigung der Religionsgesellschaft und der Pfarrerin handelt oder diese Unterlagen unlauter erlangt worden sind, sind nicht ersichtlich. Da die Pfarrerin der ... einen ernsthaften Glaubensübertritt des Klägers bejaht hat, ist das Gericht staatskirchenrechtlich hieran gebunden.

Den Religionsgesellschaften und Kirchen ist in Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 WRV die Freiheit garantiert, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten. Bei rein inneren kirchlichen Angelegenheiten kann ein staatliches Gesetz für die Kirche keine Schranke ihres Handelns bilden. Aber auch in dem Bereich, in dem der Staat zum Schutze anderer für das Gemeinwesen bedeutsamer Rechtsgüter ordnen und gestalten kann, trifft eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Schranken ziehendes Gesetz seinerseits auf eine ebensolche Schranke, nämlich auf die materielle Wertentscheidung der Verfassung, die über den für die Staatsgewalt ohnehin unantastbaren Freiheitsraum der Kirchen hinaus ihre und ihrer Einrichtungen besondere Eigenständigkeit gegenüber dem Staat anerkennt. Dieser Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck ist durch entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen. Dabei ist dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht beizumessen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.02.1965 - 1 BvR 732/64 - BVerfGE 18, 385; Urt. v. 13.12.1983 - 2 BvL 13/82 - BVerfGE 66, 1, Beschl. v. 04.06.1985 - 2 BvR 1703/83 - BVerfGE 70, 138 und Beschl. v. 14.05.1986 - 2 BvL 19/84 - BVerfGE 72, 278).

Das Mitgliedschaftsrecht zählt zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften, die diese nach ihrem jeweiligen theologischen Selbstverständnis regeln können. Die Taufe, die nach evangelischem Kirchenrecht ein Sakrament ist, gehört als Aufnahmeakt in die christliche Gemeinschaft zum seelsorgerischen Kernbereich einer Religionsgesellschaft oder Kirche. Deshalb ist es allein seelsorgerische Aufgabe der zuständigen Amtsträger bzw. Organe der Kirchen und Glaubensgemeinschaften zu prüfen, ob der Glaubenswechsel und die begehrte Taufe ernsthaft gewollt und nicht nur formal wegen des begehrten Flüchtlingsstatus vorgenommen werden soll. Die Überprüfung, ob der Glaubensübertritt ernsthaft gewollt ist, hat der nach innerkirchlichem Recht zuständige Geistliche vorzunehmen. Staatliche Behörden und Gerichte sind daran staatskirchenrechtlich grundsätzlich gebunden (vgl. VG Schwerin; Urt. v. 13.02.2013 - 3 A 1877/10 As - Juris).

Dem Kläger drohen im Iran auch Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 und 2 RL 2004/83/EG, wenn er dort die durch Art. 10 Abs. 1 b RL 2004/83/EG geschützten Verhaltensweisen praktiziert, also seinen neu angenommenen christlichen Glauben nach außen erkennbar, insbesondere durch eine regelmäßige Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten, lebt. [...]