Mangels Zurechnungsnorm hat ein erwerbsunfähiger Einbürgerungsbewerber die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XII nicht im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 2. HS. StAG deshalb zu vertreten, weil sein ihm unterhaltspflichtiger Ehegatte zumutbare Erwerbsbemühungen unterlässt; das fremde Vertretenmüssen wird dem Einbürgerungsbewerber nicht anspruchshindernd als eigenes zugerechnet.
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
a) Die Beklagte hat die das Urteil selbständig tragende Auffassung des Verwaltungsgerichts, der 1930 geborene, schwerbehinderte und pflegebedürftige Kläger habe den Bezug von Leistungen nach dem SGB XII auch nicht mit der Begründung zu vertreten, dass ihm die fehlenden Erwerbsbemühungen seiner (wesentlich jüngeren) Ehefrau zugerechnet werden könnten, nicht mit durchgreifenden Argumenten in Zweifel zu ziehen vermocht.
aa) Der Zulassungsantrag macht nicht anhand des Gesetzes und der Rechtsprechung plausibel, aufgrund welcher Rechtsgrundlage eine solche Zurechnung fremden Unterlassens an den Einbürgerungsbewerber in Betracht kommen soll. Aus dem von der Beklagten zitierten Beschluss des Senats vom 28. Juli 2010 - 13 PA 104/10 -, 5.2 des Beschlussabdrucks, folgt für diese Frage nichts. Soweit die Beklagte inhaltlich eine Rechtsprechung anderer Gerichte wiedergibt, welche die Zurechnung fehlender Erwerbsbemühungen unterhaltsberechtigter Familienangehöriger an den Einbürgerungsbewerber verneint (vgl. etwa die vom Verwaltungsgericht angeführten Urteile d. VG Aachen v. 28. Oktober 2009 - 5 K 758/08 -,juris Rdnr. 27, und d. VG Sigmaringen v. 25. Januar 2006 - 5 K 1868/04 -, juris Rdnr. 32; ebenso VG Ansbach, Urt. v. 9. Januar 2008 - AN 15 K 07.02994 -, juris Rdnr. 28), ist nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte darauf gestützt zu dem gegenteiligen Schluss für das Verhältnis eines unterhaltsverpflichteten Familienangehörigen zum Einbürgerungsbewerber gelangt.
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 2. HS. StAG stellt, wenn der Lebensunterhalt des Einbürgerungsbewerbers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen wie hier nicht ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII gesichert ist, nur darauf ab, ob "er" (d.h. der Einbürgerungsbewerber in eigener Person) die Inanspruchnahme zu vertreten hat. Für ein Vertretenmüssen ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Ausländer durch ein ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den - fortdauernden - Leistungsbezug gesetzt hat. Der Begriff des zu vertretenden Grundes ist im öffentlichen Recht wertneutral auszulegen und setzt kein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten voraus; das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzurechnen sind (vgl. Urt. d. Senats v. 13. November 2013 - 13 LS 99/12 -, juris Rdnr. 34; im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 19. Februar 2009 - 5 C 22.08 -, BVerwGE 133, 153, 160 f., juris Rdnr. 23; Berlit, in: Fritz/Vormeier [Hrsg.], GK-StAR; Stand: 27. EL Juli 2013, § 10 StAG Rdnm., 251, 253; Hailbronner, in: ders./Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 10 StAG Rdnr. 39, jew. m.w.N.). Im Verantwortungsbereich eines jeden Menschen liegt grundsätzlich nur eigenes Verhalten. In Abwesenheit einer Zurechnungsnorm schließt dies ein Vertretenmüssen des Einbürgerungsbewerbers allein aufgrund der Zurechnung fremden Handelns oder Unterlassens von Familienangehörigen aus, seien diese gegenüber dem Einbürgerungsbewerber unterhaltsberechtigt oder -verpflichtet.
bb) Erheblich kann daher im vorliegenden Fall nur ein eigenes Unterlassen des Klägers sein, aufgrund dessen adäquat-kausal und zurechenbar eine zumindest teilweise eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts (vgl. Urt. d. Senats v. 13. November 2013, a.a.O., Rdnr. 39; im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 19. Februar 2009, a.a.O., S. 157 bzw. juris Rdnr. 15) unterbleibt. Dafür hat die Beklagte nichts Substantielles dargetan.
Das von ihr gebildete Beispiel, dass ein Einbürgerungsbewerber die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs gegenüber "gut situierten" unterhaltsverpflichteten Kindern unterlässt, ist im vorliegenden Fall ersichtlich nicht einschlägig. Die Beklagte behauptet auch im zweiten Rechtszug nicht, dass ein notfalls gerichtlich durchsetzbarer Unterhaltsanspruch des Klägers gegen seine Ehefrau aus § 1360 BGB bestünde. Insoweit folgt aus ihrem Verweis darauf, dass der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme einbürgerungsschädlicher Sozialleistungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 1. HS. StAG (zugunsten des Einbürgerungsbewerbers) positiv als gesichert gilt, wenn dieser ihn aus Mitteln Dritter (z.B. Familienangehöriger) bestreiten kann, für den hier vorliegenden negativen Fall, dass der Einbürgerungsbewerber derartige Mittel weder bezieht noch erlangen kann, für ein Vertretenmüssen nichts.
Soweit die Beklagte in ihrer Zulassungsbegründung zu einem vom Kläger aktuell unterlassenen Verhalten allein ausführt, dem Kläger obliege es, "auf zwischenmenschlichem Wege seine Ehefrau dazu [zu] veranlass[en], jedenfalls durch Teilzeitarbeit auch seinen Sozialleistungsbedarf zu mindern", so stellt diese Rüge ein tragendes Begründungselement des angefochtenen Urteils nicht substantiiert in Frage. Denn auch das Verwaltungsgericht hat eine derartige Bitte als die dem Kläger verbleibende Möglichkeit angesehen. Allerdings ist es offenbar von der Fruchtlosigkeit einer solchen Bitte ausgegangen. Die Beklagte macht keine näheren Ausführungen dazu, weshalb diese Annahme unrichtig sein könnte. Weitere (rechtlich zulässige und zumutbare) Maßnahmen, die der Kläger gegenüber seiner Ehefrau ergreifen soll und die erfolgversprechend sein könnten, zeigt die Zulassungsbegründung ebenfalls nicht auf.
Schließlich trägt das Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe sich seit seiner Einreise im Alter von 52 (zutreffend: 55) Jahren niemals um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemüht, nichts aus. Ein derartiges vom Kläger in der Vergangenheit unterlassenes Handeln kann unter dem Gesichtspunkt einer darauf beruhenden unzureichenden Altersvorsorge nur bis zum Erreichen der Altersgrenze von (höchstens) 65 Jahren relevant gewesen sein. Dem nunmehr 83 Jahre alten Kläger können jedoch frühere Unterlassungen, deren Folgen unabänderlich geworden sind, nach der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urt. v. 19. Februar 2009 - 5 C 22.08 -, BVerwGE 133, 153. 163 f., juris Rdnr. 28) höchstens für die Dauer von acht zurückliegenden Jahren zugerechnet werden. [...]