VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 12.11.2013 - 14 K 3401/11.A - asyl.net: M21363
https://www.asyl.net/rsdb/M21363
Leitsatz:

Hinsichtlich der Provinz Logar in Afghanistan besteht bei Vorliegen gefahrerhöhender persönlicher Umständen ein Anspruch auf subsidiären Schutz gem. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (neu: § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG).

Schlagwörter: subsidiärer Schutz, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Afghanistan, Logar, erhebliche individuelle Gefahr, Schiiten, Tadschiken, gefahrerhöhende Umstände, interne Fluchtalternative, interner Schutz, Iran, Auslandsaufenthalt,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7, RL 2004/83/EG Art. 15,
Auszüge:

[...]

Gemessen an diesen Maßstäben ist der Kläger aufgrund in seiner Person vorliegender gefahrerhöhender Umstände als Angehöriger der Zivilbevölkerung bei einer Rückkehr in die Provinz Logar einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt.

In Bezug auf den Kläger ist auf die Verhältnisse in der Provinz Logar abzustellen, weil dies die Herkunftsprovinz seiner Familie in Afghanistan ist. Auch aus der Tatsache, dass der Kläger mit seiner Familie nach der Abschiebung aus dem Iran dorthin zurückgekehrt ist, zeigt, dass die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht verloren hat, zumal der Kläger sich vor der Ausreise und unabhängig vor den fluchtauslösenden Umständen nicht von der Region gelöst und in einem anderen Landesteil Afghanistans mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 16.12 -, Rn. 14). [...]

Der Kläger weist jedoch besondere persönliche Umstände auf, die sich im Rahmen des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Logar als gefahrerhöhend auswirken können und die dazu führen, dass der Kläger potentiell eher in die dort drohenden Gefahrensituationen geraten kann als jeder durchschnittliche Einwohner der Region. Bei der gebetenen wertenden Gesamtbetrachtung erweisen sich diese Umstände zwar nicht unbedingt jeweils für sich, aber doch gleichsam in der Summe als ausreichend, um die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auch für die für Logar im Allgemeinen festgestellte Dichte willkürlicher Gewalt zu bejahen. Für diese Einschätzung ist insbesondere maßgeblich, dass nach dem bereits Ausgeführten zunehmend auch und gerade mit gezielten Übergriffen in der weitgehend von Aufständischen beherrschten Provinz Logar zu rechnen ist (vgl. hierzu bereits HessVGH, Urteil vom 25. August 2011 - 8 A 1657/10.A - UA Seite 30).

So gehört der Kläger nach Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit als Schiit und Tadschike in der von Paschtunen dominierten Provinz Logar (vgl. Gutachten von Dr. Danesch an den HessVGH vom 7. Oktober 2010, S. 4) einer Minderheit an, die - wie ausgeführt - auch im Koshi-Distrikt im Visier der Taliban ist.

Zwar sind Schiiten im Allgemeinen in Afghanistan keiner bekenntnisgebundenen Gruppenverfolgung ausgesetzt (vgl. VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2011 - 14 K 6478/09.A, -, juris Rn. 39 ff. -); dies hindert jedoch nicht daran, dieses besondere persönliche Merkmal des Klägers als gefahrerhöhenden Umstand im hiesigen Zusammenhang heranzuziehen (vgl. HessVGH, Urteil vom 25. August 2011 - 8 A 1657/10 A - UA Seite 30; VG Würzburg, Urteil vom 16. Februar 2013 - 2 K 11.30330 -; juris Rn. 58. Zur Lage der Schiiten, Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 4. Juni 2013, S. 10 und Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update 2012, S. 18 und 2013, S. 18. Keine erhebliche Gefahrerhöhung durch Zugehörigkeit zur schiitischen Minderheit wird hingegen angenommen von VG München, Urteil vom 8. Mai 2013 - 12 K 12.30358 -, juris Rn. 40 und VG Würzburg, Urteil vom 16. Dezember 2012 - 2 K 11.30329-, juris Rr. 60).

Auch wenn Logar nicht zu den Provinzen in den höchsten Gefahrenstufen gehört, ist zu berücksichtigen, dass nach einer Abschiebung nach Kabul der Weg in die Provinz Logar wenigstens auch über die besonders von Anschlägen betroffenen Hauptverkehrsstraße führen dürfte (vgl. zu dieser Aspekt VG, Ansbach, Urteil vom 11. Juli 2013 - 11 K 13 30299 -, Juris Rn. 32), die überdies nach den oben ausgewerteten Erkenntnissen gerade im Fall der Provinz Logar besonders sicherheitssensible Orte darstellen dürften, weil von dort aus die Taliban den Zugang nach Kabul finden, um dort Anschläge zu verüben. Hinzu kommen die Gefahren durch die von Taliban und Hezb-e-lslami betriebenen illegalen Checkpoints, u.a. an der Hauptstraße zwischen Kabul und Gardez. Dort kommt es offenbar immer wieder zu Überfällen an Straßen, und Bomben werden am Straßenrand gezündet (vgl. Amnesty international, Auskunft an den HessVGH vom 20. Dezember 2010, S. 3).

Eine weitere, die konkrete Gefährdungslage des Klägers verschärfende Besonderheit ist seine fehlende Ortskenntnis und fehlende Vertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen infolge seines insgesamt nur extrem kurzen Verweilens in Afghanistan. Sie werden sich nicht günstig für die Bewältigung der Sicherheitsproblematik auswirken.

Schließlich gewinnt an dieser Stelle aus Sicht des Gerichts auch der Gesichtspunkt der nicht auszuschließenden - wenn auch nicht beachtlich wahrscheinlichen (s.o.) - Gefahr einer Zwangsrekrutierung Gewicht. Der Kläger kehrt in noch jungem Alter in eine von den Taliban in erheblichem Umfang beherrschte Provinz zurück (u.a. hierin einen gefahrerhöhenden Umstand erkennend vgl. auch VG Chemnitz, Urteil vom 27. April 2012 - 4 K 184/11 -, UA Seite 9).

Der Kläger kann schließlich nicht gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL auf einen internen Schutz in einem anderen Teil ihres Herkunftslandes Afghanistan verwiesen werden.

Nach Einschätzung des UNHCR kommt eine interne Schutzalternative grundsätzlich nur dann als zumutbare Alternative in Betracht, wenn Schutz durch die eigene erweiterte Familie, durch die Gemeinschaft oder durch den Stamm des Betroffenen in dem für die Neuansiedlung vorgesehenen Gebiet gewährleistet ist. Alleinstehende Männer und Kernfamilien können unter gewissen Umständen ohne Unterstützung von Familie oder Gemeinschaft in städtischen Gegenden mit entwickelter Infrastruktur und unter effektiver Kontrolle der Regierung leben (vgl. UNHCR Guidelines 2013, S. 76).

Für das Auswärtige Amt (Lagebericht vom 9. Februar 2011, S. 26. vgl. auch Lagebericht vom 4 Juni 2013, S. 5) hängt die Möglichkeit des Ausweichens einer Person vor möglicher Gefährdung auf andere Landesteile maßgeblich von dem Grad der sozialen Vernetzung sowie der Verwurzelung im Familienverband oder Ethnie ab. Nach der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Update 2011, S. 20) bildet die Familien- und Gemeindestruktur in Afghanistan auch heute noch das wichtigste Netz für Sicherheit und das ökonomische Überleben. Ohne diese sei ein Überleben kaum möglich.

Diese Voraussetzungen sind für den Kläger in anderen Landesteilen Afghanistans, insbesondere im Bereich der Hauptstadt Kabul, angesichts der dortigen katastrophalen Versorgungslage und der angespannten Arbeitssituation nicht gegeben. Der Kläger hat in Afghanistan offenbar nur noch seinen Onkel, der ihr jedoch soweit ersichtlich in Kabul nicht unterbringen und versorgen kann. Eine Ausbildung hat der Kläger nicht. Mit den Verhältnissen auf dem dortigen Arbeitsmarkt ist er nicht vertraut. Erst recht gilt dies für andere mitunter angeführte interne Schutzalternativen wie Masar-e Sharif (vgl. etwa VGH BW, Urteil vom 14. August 2013 - 11 S 688/13 - UA S. 12), zu der Kontakte des Klägers nicht bekannt geworden sind. [...]

[Die Seiten 6 bis 19 wurden vom Einsender entfernt, da sie Informationen enthalten, die Rückschlüsse auf die Person des Klägers zulassen]