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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 19.11.2013 - 10 C 26.12 - asyl.net: M21361
https://www.asyl.net/rsdb/M21361
Leitsatz:

1. Ein Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach § 3 Abs. 2 AsylVfG wegen Beteiligung des Ausländers an bestimmten Straftaten oder Handlungen kann auch auf der Grundlage des abgesenkten Beweismaßes in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG nur angenommen werden, wenn für die erforderliche Haupttat an einzelne Vorfälle angeknüpft wird.

2. Gewichtige ideologische und propagandistische Aktivitäten zugunsten einer terroristischen Organisation kommen als Beteiligung an Zuwiderhandlungen gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 AsylVfG auch dann in Betracht, wenn der Asylbewerber weder eine tatsächliche Einflussmöglichkeit auf die Begehung von Terrorakten hatte noch solche Taten öffentlich gebilligt oder dazu aufgerufen hat.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausschlussgrund, Flüchtlingsanerkennung, Unterstützung, ideologische Unterstützung, PKK, Propaganda, Terrorismus, terroristische Vereinigung, Musiker, Zuwiderhandlung, Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 3 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, AsylVfG § 3 Abs. 2 S. 2,
Auszüge:

[...]

1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht. Insbesondere hat es seine Verfolgungsprognose auf der Grundlage aktueller Quellen gestellt und detailliert begründet (§ 108 Abs. 1 VwGO). Dabei hat es sich auch in (noch) nachvollziehbarer Weise mit der Aussage des Auswärtigen Amtes (Lagebericht Februar 2011) auseinandergesetzt, wonach in den letzten Jahren keine Fälle bekannt geworden seien, in denen zurückkehrende Asylbewerber - selbst exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - wegen früherer Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden seien.

2. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Kläger aber gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 Halbs. 2 AsylVfG von der Flüchtlingsanerkennung ausgeschlossen. Die dafür angeführten Erwägungen halten einer revisionsgerichtlichen Prüfung jedoch nicht stand. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls zwischen 1999 und 2005 aktives Mitglied der PKK war, es hat aber keine tatsächlichen Feststellungen zu terroristischen Aktivitäten der PKK in diesem Zeitraum getroffen, an denen sich der Kläger in sonstiger Weise hätte beteiligen können.

Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG), wenn er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG), oder wenn er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG). Dies gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG).

Ein Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung wegen Beteiligung an Handlungen, die sich gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen richten (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG), setzt zunächst voraus, dass derartige Zuwiderhandlungen vorliegen. Die dafür maßgeblichen Ziele und Grundsätze sind in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt und u.a. in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu den Antiterrormaßnahmen verankert. Aus diesen folgt, "dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen" und dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen" (vgl. Erwägungsgrund 22 zur Richtlinie 2004/83/EG). Wie sich aus den UN-Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) ergibt, geht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von dem Grundsatz aus, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der` Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Daraus folgert der Gerichtshof der Europäischen Union, dass dieser Ausschlussgrund auch auf Personen Anwendung finden kann, die im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu einer in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführten Organisation an terroristischen Handlungen beteiligt waren, die eine internationale Dimension aufweisen (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und C-101/09 - Slg 2010, I-10979 Rn. 82 ff. = NVwZ 2011, 285). Danach können Zuwiderhandlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG jedenfalls bei Aktivitäten des internationalen Terrorismus auch von Personen begangen werden, die keine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben (Urteil vom 7. Juli 2011 - BVerwG 10 C 26.10 - BVerwGE 140,114 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 40 jeweils Rn. 28).

Die Revision rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht für den Zeitraum der Mitgliedschaft des Klägers in der PKK zwischen Juni 1999 und Mai 2005 keine tatsächlichen Feststellungen zu terroristischen Handlungen dieser Organisation getroffen hat. Denn auch auf der Grundlage des abgesenkten Beweismaßes in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG kann eine Beteiligung an den in der Norm genannten Straftaten oder Handlungen nur angenommen werden, wenn für die erforderliche Haupttat an einzelne Vorfälle angeknüpft wird (Beschluss vom 10. Oktober 2013 - BVerwG 10 B 19.13 - juris Rn. 5). Auch wenn die Beteiligung des Klägers an Taten, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen, die Schwelle einer Beteiligung im strafrechtlichen Sinne nicht überschreiten muss, so ist es doch erforderlich, dass es während seiner Tätigkeit für die PKK zu konkreten derartigen Taten gekommen ist. Andernfalls fehlte es an einem Anknüpfungspunkt für eine Verantwortlichkeit des Klägers, die die Grundlage für seinen Ausschluss vom Flüchtlingsschutz darstellt. Das Tatsachengericht muss deshalb konkret feststellen, ob schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass sich eine unterstützende Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG während des Zeitraum, in dem sie geleistet worden ist, in Handlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG niedergeschlagen hat. Entsprechende Feststellungen hat das Berufungsgericht jedoch nicht getroffen, so dass die angefochtene Entscheidung Bundesrecht verletzt.

3. Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig oder unrichtig. Insbesondere kann der Senat in der Sache selbst nicht zugunsten des Klägers abschließend entscheiden. Denn die Würdigung der Vorinstanz, der Kläger habe sich - Handlungen der PKK gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG in dem Zeitraum seiner Mitgliedschaft unterstellt - daran durch seine gewichtigen ideologischen und propagandistischen Aktivitäten für diese Organisation in sonstiger Weise beteiligt, ist revisionsgerichtlich aufgrund der von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen nicht zu beanstanden.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass allein die Zugehörigkeit zu einer in der sog. EU-Terrorliste aufgeführten Organisation wie der PKK und die aktive Unterstützung ihres bewaffneten Kampfes nicht automatisch die Annahme der Beteiligung an Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG rechtfertigen. Es bedarf vielmehr der Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles, ob dem Asylbewerber eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser Handlungen zugerechnet werden kann, wobei dem in der Vorschrift verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 a.a.O. Rn. 99). Anders als bei der Beteiligung an einer schweren nichtpolitischen Straftat gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 AsylVfG, die eine Zurechnung nach strafrechtlichen Kriterien (Anstiftung oder Beihilfe) verlangt (Urteil vom 4. September 2012 - BVerwG 10 C 13.11 - BVerwGE 144,127 = Buchholz 402.25 § 39 AsylVfG Nr. 1 jeweils Rn. 24), müssen sich Unterstützungshandlungen zugunsten einer terroristischen Organisation nicht spezifisch auf einzelne terroristische Aktionen beziehen, um von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG erfasst werden zu können. Denn dieser Ausschlussgrund verlangt keine Zurechnung nach strafrechtlichen Kriterien, da er kein strafbares Handeln im Sinne einer Beteiligung an bestimmten Delikten voraussetzt. Demzufolge können auch rein logistische Unterstützungshandlungen von hinreichendem Gewicht im Vorfeld den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG erfüllen (Urteile vom 7. Juli 2011 a.a.O. jeweils Rn. 39 und vom 4. September 2012 a.a.O. jeweils Rn. 26). Gleiches gilt für gewichtige ideologische und propagandistische Aktivitäten zugunsten einer terroristischen Organisation (vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 9. März 2011 - 11 A 1439/07.A - OVGE MüLü 54, 95 <juris Rn. 61 ff.>; OVG Schleswig, Urteil vom 1. September 2011 - 4 LB 11/10, AuAS 2011, 262 <juris Rn. 52>). Dagegen reicht etwa das bloße Sprühen von Parolen der Organisation oder das Verteilen von Flugblättern nicht aus. Denn das Gewicht des Tatbeitrages eines Gehilfen als "in sonstiger Weise Beteiligten" muss dem der Beteiligung an einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG entsprechen (Urteil vom 7. Juli 2011 a.a.O. jeweils Rn. 39).

Entgegen der Auffassung der Revision ist die Zurechnung bei der Beteiligung an Zuwiderhandlungen gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen allerdings nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Asylbewerber objektiv die Möglichkeit tatsächlicher Einflussnahme auf die Begehung von Terrorakten hatte oder solche Taten öffentlich gebilligt oder dazu aufgerufen hat. Mangels Notwendigkeit eines spezifischen Bezugs zwischen der Unterstützungshandlung und einem einzelnem Terrorakt bedarf es für eine Beteiligung in sonstiger Weise gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG weder einer räumlich-organisatorischen Nähe innerhalb der Organisation zur Ausführung terroristischer Taten noch deren Rechtfertigung in der Öffentlichkeit. Andernfalls genössen reine Schreibtischtäter und Propagandisten Flüchtlingsschutz, obwohl ihr ideologisch-propagandistischer Beitrag zu terroristischen Taten bei der gebotenen wertenden Betrachtung mit Blick auf den Normzweck des § 3 Abs. 2 AsylVfG, asylunwürdige Personen vom Status des bona fide refugee" fernzuhalten (vgl. Urteil vom 24. November 2009 - BVerwG 10 C 24.08 - BVerwGE 135, 252 = Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 8 jeweils Rn. 25 ff.), keinesfalls minder gewichtig als der von unmittelbar Tatbeteiligten erscheint.

In Anwendung dieser Maßstäbe ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger - terroristische Aktionen der PKK in der Zeit seiner Mitgliedschaft zwischen Juni 1999 und Mai 2005 unterstellt - gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylVfG von der Flüchtlingsanerkennung ausgeschlossen ist. Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der Kläger jedenfalls zwischen Juni 1999 und Mai 2005 Mitglied der PKK und Angehöriger der "Volksbefreiungskräfte" gewesen ist. Nach den tatrichterlichen Feststellungen war er Leiter für kulturelle Aktivitäten in einer "Kultur- und Kunstschule" der PKK und hat später in dem von der PKK beherrschten Lager M. an herausgehobener Stelle für die Propaganda und die ideologische Schulung der PKK verantwortlich gezeichnet. Zudem ist er im kurdischen Fernsehen als Musiker in Propagandasendungen für die PKK aufgetreten und hat deren bewaffneten Kampf gefeiert und besungen. Diese Aktivitäten für die PKK hat das Berufungsgericht als hinreichend gewichtig für den Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung angesehen. Das begegnet im Hinblick auf die hohe Bedeutung von Musik, Tanz und Brauchtum als Ausdruck kultureller Identität unter kurdischen Volkszugehörigen und des bewussten Einsatzes dieser Mittel zur Werbung für die PKK und Förderung ihres inneren Zusammenhalts hier keinen Bedenken.

4. Da das Revisionsgericht die fehlenden tatsächlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, ist die Sache zur weiteren Aufklärung gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. In dem neuen Berufungsverfahren wird das Oberverwaltungsgericht unter Berücksichtigung des abgesenkten Beweismaßes in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG Feststellungen zu terroristischen Aktivitäten der PKK in dem hier jedenfalls maßgeblichen Zeitraum zwischen Juni 1999 und Mai 2005 als Grundlage einer Beteiligung des Klägers treffen müssen. Dazu kann es auf allgemein zugängliche Quellen zurückgreifen (z.B. "Global Terrorism Database" der University Maryland: www.start.umd.edu/gtd) oder es wird ggf. dazu ein Gutachten eines Sachverständigen einholen müssen (vgl. die Vorgehensweise des OVG NRW Im Verfahren 8 A 5118/05.A, Urteil vom 2. Juli 2013 <juris>). [...]