VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 05.09.2013 - 3 A 1382/10 - asyl.net: M21357
https://www.asyl.net/rsdb/M21357
Leitsatz:

Die ruandische Regierung sieht Kritik als feindlichen Akt, der die Würde aller Ruander verletzt und das staatliche Projekt der Konsolidierung und wirtschaftlichen Entwicklung torpediert.

Willkürliche Inhaftierungen ohne angemesse Strafverfahren oder Schuldprüfungen gehören zu den zentralen Menschenrechtsproblemen in Ruanda. Ruander werden bei Rückkehr regelmäßig Befragungen zu ihren Fluchtgründen unterzogen, Festnahmen und Inhaftierungen können nicht ausgeschlossen werden.

Schlagwörter: Ruanda, subjektive Nachfluchtgründe, freiwillige Rückkehr, Asylantrag, Antragstellung als Asylgrund, willkürliche Inhaftierung, Fälschung Fälschung von Dokumenten, Urkundenfälschung, Hutu,
Normen: AsylVfG § 28 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Im Hinblick auf den genannten subjektiven Nachfluchtgrund ist zwar zu berücksichtigen, dass nicht lediglich auf die Folgen einer zwangsweisen Abschiebung abzustellen, sondern auch eine etwaige Gefahrenminderung im Falle einer freiwilligen Ausreise in den Blick zu nehmen ist. Eines Schutzes in der Bundesrepublik Deutschland bedarf nämlich grundsätzlich derjenige nicht, der eine geltend gemachte Gefährdung in seinem Heimatland (oder - dies gilt für nationale Abschiebungsverbote - in einem anderen Zielstaat der Abschiebung) durch zumutbares eigenes Verhalten, wozu insbesondere die freiwillige Ausreise und Rückkehr in den Heimatstaat gehört, abwenden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. November 1992 - 9 C 21.92 -, juris, Rn. 12, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf BVerwGE 91, 150 ff. = NVwZ 1993, 486 ff. zu Art. 16.Abs. 2 Satz 2 GG a.F. sowie § 51 Abs. 1 AuslG, und 15. April 1997 - 9 C 38.96 -, juris, Rn. 27, mit Veröffentlichungshinweis BVerwGE 104, 265 ff. = NVwZ 1997, 1127 ff., zu § 53 AuslG).

Es ist in diesem speziellen Einzelfall aber beachtlich wahrscheinlich, dass die ruandischen Sicherheitsbehörden auch im Falle einer freiwilligen Rückkehr der Klägerin nach Ruanda selbst dann, wenn man unterstellen würde, sie hätten noch keine Kenntnis von ihrer Asylantragstellung in Deutschland erhalten, dies entdecken würden. Denn unter Berücksichtigung der bereits dargestellten Ausführungen des Dr. Hankel ist es beachtlich wahrscheinlich, dass die ruandischen Sicherheitsbehörden die Klägerin auch im Falle einer freiwilligen Rückkehr wegen ihrer früheren Tätigkeit im Wirtschaftsministerium und ihres langjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht nur massiv bedrängen würden, die Wahrheit zu sagen und damit auch die Asylantragstellung anzugeben, sondern sie auch befürchten müsste, zum Zwecke der Beantwortung der Fragen inhaftiert und genötigt zu werden, entsprechende Angaben zu machen. Selbst das Auswärtige Amt führte in seiner Auskunft vom 23. August 2012 gegenüber dem Verwaltungsgericht Braunschweig aus, Ruander würden bei Rückkehr regelmäßig Befragungen über ihre Fluchtgründe unterzogen werden und Festnahmen und Inhaftierungen könnten nicht ausgeschlossen werden. Bei einer früheren Beschäftigten des Wirtschaftsministeriums bestünde insoweit eine erhebliche Gefahr. So führt Dr. Helmut Strizek in seiner Stellungnahme von Juli 2013 gegenüber dem Verwaltungsgericht Hannover aus, er charakterisiere das heutige Regime in Kigali als eine klare Diktatur, in der zur Abschreckung jeglicher Opposition von Beginn ihrer Existenz im Jahre 1994 an Menschenrechtsverletzungen zur Tagesordnung gehörten. Ferner führte Amnesty International im Amnesty Report 2013 sinngemäß aus, im Mai und im Oktober 2012 habe Amnesty International Beweismaterial zu Fällen von Verschwindenlassen und Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt durch den ruandischen Militärgeheimdienst veröffentlicht. Die Dokumentation habe auch Vorwürfe über die Anwendung von Folter bei Verhören in den Jahren 2010 und 2011 zur Erzwingung von Geständnissen enthalten. Betroffen seien zumeist Zivilpersonen gewesen. Am 7. Oktober 2012 habe die Regierung eine Erklärung abgegeben, in der rechtswidrige Inhaftierungen bestätigt worden seien, jedoch ohne Hinweise auf Ermittlungen oder strafrechtliche Verfolgung. In seinem Gutachten vom 15. März 2013 führte Amnesty International gegenüber dem Verwaltungsgericht Braunschweig unter anderem aus, in Ruanda habe sich ein paralleles Haftsystem durch das Militär herausgebildet, in dem an geheimen Orten zumeist Zivilisten unter dem Vorwurf, die nationale Sicherheit zu gefährden, ohne Anklage und Verfahren sowie unter Umgehung der im zivilen Inhaftierungssystem bestehenden Schutzmechanismen festgehalten würden. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass Dr. Hankel in seiner gutachterlichen Stellungnahme zu der Frage zu Nr. 3) b), ob es strafverschärfende Auswirkungen hätte, wenn der ruandische Staatsangehörige vor seiner Ausreise im Wirtschaftsministerium beschäftigt gewesen sei, - wie oben schon teilweise dargelegt - ausführte, in diesem Fall wären verschärfende Auswirkungen sehr wahrscheinlich. Als Beschäftigter im Wirtschaftsministerium, das als ein Schlüsselministerium angesehen werde, sei ein Ruander zu besonderer Loyalität verpflichtet. Sie in der angesprochenen Weise zu verletzen, also einen Asylantrag zu stellen, komme einem Verrat gleich. Ferner führte das GIGA in seinem Gutachten vom 22. Oktober 2012 gegenüber dem Verwaltungsgericht Braunschweig aus, willkürliche Inhaftierungen ohne angemessene Strafverfahren oder angemessene Schuldprüfungen gehörten zu den zentralen Menschenrechtsproblemen in Ruanda.

Hiervon ausgehend ist es beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin auch im Falle einer freiwilligen Rückkehr entscheidungserhebliche Rechtsverletzungen zu befürchten hätte.

Dabei stützt sich das Gericht auf die gutachterliche Stellungnahme des Dr. Hankel gegenüber dem erkennenden Gericht zur Frage Nr. 1). Er hat ausgeführt, unter Ausnutzung eines Schengen-Visums einen Asylantrag zu stellen, gehöre wegen der einem Asylantrag immanenten notwendigen Kritik an der Politik und/oder an Organen des Herkunftslands zu den Verhaltensweisen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer fühlbaren Sanktion, d. h. mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden würden. Kritik an Ruanda, ob sie nun die Außenpolitik des Landes oder die Situation der Menschenrechte im Land betreffe, werde von der ruandischen Regierung und ihr nahestehenden Personen und Institutionen immer energisch zurückgewiesen, selbst wenn die Kritik offensichtlich berechtigt sei. Seit Mitte 2012 sei die ruandische Regierung überdies in einem Zustand gesteigerter Empfindlichkeit gegenüber in- und ausländischer Kritik. Der Grund dafür sei, dass die treuesten und wichtigsten Verbündeten Ruandas, Großbritannien und die USA, die ruandische politische und militärische Führung deutlich wegen der Einmischung in innerkongolesische Angelegenheiten kritisiert und die Entwicklungszusammenarbeit suspendiert hätten. Dem damit verbundenen Beispiel der Stornierung finanzieller Hilfen seien viele andere Länder (u.a. auch Deutschland) sehr zum Unwillen der ruandischen Staatsführung gefolgt, die sich willkürlich und ungerecht behandelt gefühlt habe. Sie habe von einem Anschlag auf die ruandische Würde gesprochen und, um sich von dem Ausland unabhängiger zu machen, einen Unterstützungsfond aufgelegt, der den Namen "Agaciro" (Würde) erhalten habe. Mit anderen Worten, Kritik an der ruandischen Politik werde als ein geradezu feindlicher Akt wahrgenommen, der die Würde aller Ruander verletze und das Projekt der staatlichen Konsolidierung und der wirtschaftlichen Entwicklung torpediere. Auch wenn es sich um eine Einzelperson handele, sei davon auszugehen, dass dieser Akt nicht folgenlos bleibe, sondern bestraft werden würde. Die Höhe des Strafmaßes hänge davon ab, welches Gesetz herangezogen werde. Drei Rechtsgrundlagen stünden für eine Bestrafung zur Auswahl. Die Höhe des Strafmaßes hänge davon ab, welches Gesetz herangezogen werde. Es stünden drei Rechtsgrundlagen für eine Bestrafung zur Auswahl. Möglich wäre es, Art. 451 des ruandischen Strafgesetzbuchs (RStGB) heranzuziehen, der über Art. 481 RStGB auch bei im Ausland begangenen Handlungen anwendbar sei. Nach Art. 451 RStGB i.V.m. Art. 481 RStGB sei jede Person, die falsche Informationen über Ruanda verbreite, die international eine feindliche Meinung über den ruandischen Staat entstehen lasse, mit einer Gefängnisstrafe von sieben bis zehn Jahren zu bestrafen. Eine weitere Rechtsgrundlage für eine Bestrafung wären die Art. 135 und 136 RStGB. Art. 135 RStGB sehe für die Verbreitung genozidaler Ideologie und anderer, damit zusammenhängender Rechtsverstöße eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf bis zu neun Jahren sowie eine empfindliche Geldstrafe vor. Art. 136 RStGB belege die ethnische Diskriminierung in Wort und Tat mit einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf bis zu sieben Jahren und mit einer Geldstrafe von derselben Spanne wie in Art. 135 RStGB. Nach Art. 13 RStGB sei die im Ausland begangene Tat (Verbrechen, Vergehen) einer Person ruandischer Staatsangehörigkeit so zu bestrafen, als sei sie Im Inland begangen worden. Die schärfste Bestrafung wäre dem Sondergesetz zur Bekämpfung genozidaler Ideologie zu entnehmen. Dieses Gesetz, das über die Begriffsbestimmungen in Art. 2 (Definition of "genocide ideology") und Art. 3 ("Characteristics of the crime of genocide ideology") sehr weit gefasst sei, erlaube eine Bestrafung zu einer Freiheitsstrafe zwischen zehn und 25 Jahren, dazu noch zu einer hohen Geldstrafe (Art. 4 des Gesetzes). Wie schon erwähnt, sei die ruandische Regierung wegen der internationalen Kritik an ihrer Kongo-Politik stark unter Druck. Hinzu komme noch die von Human Rights Watch und Amnesty International immer wieder geäußerte Kritik an der Menschenrechtslage in Ruanda. In beiden Fällen werde die Kritik von der ruandischen Regierung vehement zurückgewiesen und alles versucht, um das Bild eines moralisch integer handelnden Staates, der die Lehren aus dem Völkermord zur politischen Leitlinie gemacht habe, aufrechtzuerhalten. Wo sich jedoch bei der aus dem Ausland kommenden Kritik die Reaktionen auf Gegendarstellungen erschöpften, sei bei der Kritik, die aus dem Land selbst komme, mit großer Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass diese strafrechtlich geahndet werde. Das gelte umso mehr, als die ruandische Regierung gerade in der jetzigen Zeit sehr um ihre Außendarstellung besorgt sei. Inwieweit eine zu erwartende Strafe als unverhältnismäßig zu qualifizieren wäre, hänge von ihrer tatsächlichen Höhe ab. Wegen der angedrohten Mindeststrafe (mehr als fünf Jahre) handele es sich in jedem Fall um ein Verbrechen. Je nach Person des Asylantragstellers und seiner vormaligen sozialen oder beruflichen Stellung könne die Strafe wegen der in Betracht kommenden-Rechtsgrundlagen leicht eine Höhe erreichen, die als unverhältnismäßig zu bezeichnen wäre. Das ergebe sich auch daraus, dass die Justiz (noch) nicht unabhängig sei und die Richterinnen und Richter durchweg der Regierungspartei (RPF/FPR) angehörten. Zwar gebe es derzeit auf internationalem Druck hin Bestrebungen, das inhaltlich sehr unbestimmte Gesetz zur Bekämpfung genozidaler Ideologie aus dem Jahr 2008 klarer zu fassen, doch sei der entsprechende Gesetzesentwurf noch nicht endgültig angenommen worden.

Würden die ruandischen Sicherheitsbehörden der Klägerin außerdem die Fälschung von Dokumenten im Zusammenhang mit der Erteilung des Visums vorwerfen, wäre zusätzlich zu berücksichtigen, dass Dr. Hankel die weitere Frage zu Nr. 2) dahingehend beantwortet hat, dass der Grundtatbestand Art. 614 RStGB wäre, der verschiedene Modalitäten der Urkundenfälschung beschreibe. Die dafür vorgesehene Strafe sei eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf bis zu sieben Jahren und eine Geldstrafe zwischen 500.000 und 2.000.000 ruandischen Franc (ca. 800 ruandische Franc = 1 €). Die Personen, die im März 2010 mit gefälschten Dokumenten in der Deutschen Botschaft in Kigali festgenommen worden seien, seien zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Eine Geldstrafe hätten seine beiden Informanten nicht erwähnt, auch nicht, ob die Freiheitsstrafe u.U. geringfügig mehr als fünf Jahre beträgt, wie es das Gesetz als Mindestfreiheitsstrafe verlange. In Anbetracht dieses Umstands könne mit Gewissheit davon ausgegangen werden, dass bei der Konstellation "Erhalt des Schengen-Visums aufgrund gefälschter Dokumente und anschließender Asylantrag" das Strafmaß voll ausgeschöpft werden würde. Nicht ausgeschlossen, sogar wahrscheinlich wäre es zudem, dass die Strafe nach den Grundsätzen der Tatmehrheit noch weiter erhöht werde. Die in der Deutschen Botschaft Festgenommenen hätten keinen Asylantrag gestellt. Das ruandische Strafrecht kenne Konkurrenzen, und zwar in Art. 84 RStGB.

Im Übrigen sind die bereits wiedergegebenen Ausführungen des Dr. Hankel zu den strafverschärfenden Auswirkungen einer Beschäftigung im Wirtschaftsministerium zu berücksichtigen.

Der Beurteilung des Gerichts steht nicht entgegen, dass das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 6. August 2013 gegenüber dem erkennenden Gericht zu der Frage zu 1.) ausgeführt hat, es seien dem Auswärtigen Amt bisher keine Fälle bekannt geworden, bei denen abgelehnte Asylbewerber nach ihrer Rückkehr allein wegen der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung in Deutschland strafrechtlich verfolgt oder sonstigen Repressalien ausgesetzt gewesen seien, zu der Frage zu 2.) nur mitgeteilt hat, das ruandische Strafgesetzbuch sehe in den Art. 609 bis 614 (Urkundenfälschung und verwandte Delikte) Haftstrafen zwischen fünf und sieben Jahren sowie Geldstrafen von 300.000,- bis 3.000.000,- RWF vor, und zur Frage zu 3.), ob es verschärfende - ggf. welche - Auswirkungen hätte, wenn der ruandische Staatsangehörige vor seiner Ausreise im Wirtschaftsministerium beschäftigt gewesen sei, lediglich dargelegt hat, dem Auswärtigen Amt seien keine gesetzlichen Vorschriften bekannt, die strafverschärfende Maßnahmen für die Benutzung gefälschter Dokumente durch Staatsbedienstete vorsähen. Denn diese Auskunft ist zu unsubstantiiert und beurteilt außerdem die gegenwärtige Situation in Ruanda nicht in ausreichendem Maße. Ferner ist nicht nachvollziehbar, warum die Beantwortung der Frage zu Nr. 1) von der oben dargestellten Auskunft vom 23. August 2012 gegenüber dem Verwaltungsgericht Braunschweig abweicht. Das Gericht hält die gutachterliche Stellungnahme des Dr. Hankel auch für plausibel und überzeugend unter der der Stellungnahme offensichtlich zugrundeliegenden Voraussetzung, dass die Asylantragstellung den ruandischen Sicherheitsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bekannt ist oder bei der Rückkehr des Asylbewerbers bekannt wird. Die übrigen Stellungnahmen des GIGA und des Herrn Dr. Strizek führen nach Überzeugung des Gerichts auch zu keiner anderen Beurteilung, weil sie sich ebenfalls nicht mit der aktuellen Lage in Ruanda im Hinblick auf die Asylantragstellung in ausreichendem Maße auseinandersetzen. [...]