VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 29.10.2013 - 34 L 89.13 A - asyl.net: M21329
https://www.asyl.net/rsdb/M21329
Leitsatz:

Homosexualität ist in Uganda gesellschaftlich nicht akzeptiert. Im Oktober 2010 rief ein ugandisches Magazin zur Ermordung homosexueller Personen in Uganda auf. Eine der auf der Titelseite abgebildeten Personen wurde daraufhin ermordet.

Schlagwörter: Uganda, homosexuell, Homosexuelle, soziale Gruppe,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Dass ernsthaft eine politische Verfolgung im Sinne der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt, ergibt sich aus dem Folgenden:

Der Einzelrichter geht nach dem Eindruck, den er von dem Antragsteller in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, davon aus, dass der Antragsteller in identitätsprägender Weise homosexuell veranlagt ist. Hierfür spricht auch das Gutachten zur sexuellen Orientierung des Antragstellers, das von dem Psychologischen Psychotherapeuten A... unter dem 21. August 2012 erstellt wurde. Hierin wurde mitgeteilt, dass kein Zweifel bestehe, dass bei dem Antragsteller die Kriterien einer irreversiblen Prägung auf das eigene Geschlecht vorlägen. Auf der vom Sexualwissenschaftler Alfred Kinsey entwickelten Skala von 1 (ausschließliche Heterosexualität) bis 6 (ausschließliche Homosexualität) sei der Antragsteller mit 6 einzuschätzen. Schließlich spricht für die homosexuelle Veranlagung des Antragstellers auch das Ergebnis der Vernehmung des Zeugen D..., der als Lebensgefährte des Antragstellers glaubhaft zu dessen sexueller Orientierung ausgesagt hat.

Der Antragsteller gehört somit zu einer sozialen Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an, da sie für ihn identitätsprägend ist und Homosexuelle in Uganda eine Gruppe mit deutlich abgegrenzter Identität sind, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird, Art. 10 Abs. 1 d) der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie - QR -).

Danach kommt ernsthaft in Betracht, dass der Antragsteller mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr nach Uganda wegen seiner sexuellen Identität Maßnahmen politischer Verfolgung zu erwarten hat. Diesbezüglich bedarf es jedoch weiterer Sachaufklärung, die nur im Hauptsacheverfahren geleistet werden kann.

Hierbei ist nach der Rechtsprechung des VGH Mannheim (Urteile vom 7. März 2013 - A 9 S 1872/12 - zu Kamerun und - A 9 S 1873/12 – zu Nigeria, beide juris) in Anknüpfung an die neuere Rechtsprechung des BVerwG zur Religionsausübungsfreiheit (Urteile vom 20. Februar 2013, insbesondere BVerwG 10 C 23.12 -, juris), die im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 5. September 2012, Rs. C-71/11 und C-99/11) ergangen ist, das Folgende zu beachten:

Auch öffentlich bemerkbare homosexuelle Verhaltensweisen sind nicht grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 Buchst. d QL ausgenommen.

Sofern Homosexuelle in Uganda gegenwärtig keiner Gruppenverfolgung unterliegen, bedarf es in jedem Einzelfall, in dem ein Antragsteller geltend macht, er werde wegen seiner sexuellen Ausrichtung verfolgt, einer Gesamtwürdigung seiner Person und seines gesellschaftlichen Lebens und darauf aufbauend einer individuellen Gefahrenprognose.

Zu prüfen ist dabei, wie sich der einzelne Schutzsuchende bei seiner Rückkehr im Hinblick auf seine sexuelle Ausrichtung verhalten wird und wie wichtig diese Verhaltensweise für seine Identität ist.

Nicht beachtlich ist, ob er mit Rücksicht auf drohende Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 QL auf das behauptete Verhalten verzichten würde.

Erst recht darf nicht angenommen werden, dass ein Schutzsuchender nur dann tatsächlich von einer Verfolgung bedroht ist, wenn er sich trotz der drohenden Verfolgungshandlung in dieser Weise verhalten würde und praktisch bereit wäre, für seine sexuelle Orientierung Verfolgung auf sich zu nehmen.

Würde er jedoch aus nicht unter Art. 9 QR fallenden Gründen – etwa aus persönlichen Motiven oder aufgrund familiären oder sozialen Drucks oder Rücksichtnahmen – ein bestimmtes Verhalten im Herkunftsland nicht ausüben, ist ein solcher Verhaltensverzicht zu berücksichtigen.

Je mehr ein Schutzsuchender mit seiner sexuellen Ausrichtung in die Öffentlichkeit tritt und je wichtiger dieses Verhalten für seine Identität ist, desto mehr erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass er verfolgt werden wird.

Auch die Situation homosexueller Menschen in Uganda bedarf weiterer Sachaufklärung.

Der Einzelrichter hat in seinem - nunmehr geänderten - Beschluss vom 21. September 2012 - VG 34 L 138.12 A - das Folgende ausgeführt:

Die strafrechtliche Situation homosexueller Personen in Uganda stellt sich wie folgt dar:

Ausweislich einer Auskunft des Auswärtigen Amtes (AA) an die Antragsgegnerin vom 1. Februar 2012 werden einvernehmliche homosexuelle Handlungen in Uganda durch Art. 145 ff. des ugandischen Strafgesetzbuches (unnatural offences) bestraft. Das Höchstmaß werde mit lebenslanger Haft angegeben. Allerdings sei nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes bisher noch kein Homosexueller auf Grundlage der einschlägigen Paragrafen verurteilt worden. Der Vorsitzende des Verbandes sexueller Minderheiten in Uganda (SMUG) habe dies bestätigt.

Demgegenüber wird in dem Wikipedia-Artikel "Homosexualität in Uganda" (Stand: 21.9.2012) ausgeführt, dass laut § 145a des ugandischen Strafgesetzbuchs sexuelle Akte, die "gegen die Natur verstoßen", mit einer Geldstrafe oder einer bis zu 14-jährigen Haft bestraft werden könnten. Dieser Paragraf werde oft angewandt, um homosexuelle Männer einzuschüchtern, zu verfolgen und zu inhaftieren. Auch lesbische Frauen seien verstärkt der Verfolgung ausgesetzt. 2009 habe es laut SMUG acht Fälle gegeben, die aufgrund dieses Paragrafen vor Gericht verhandelt worden seien.

Ausweislich der erwähnten Auskunft des AA vom 1. Februar 2012 wurde im Herbst 2009 von einem ugandischen Abgeordneten mit dem Ziel der Verschärfung der Rechtslage im Parlament ein Gesetzentwurf "Anti Homosexuality Bill 2009" eingebracht, der u.a. eine Heraufsetzung des Höchststrafmaßes bis hin zur Todesstrafe in Fällen von schwerer Homosexualität (aggravated homosexuality) vorgesehen habe. Der Gesetzentwurf sei - auch aufgrund internationalen Drucks - letztendlich nicht weiter behandelt worden. In ihrem Jahresbericht 2009 (erschienen in 2010) habe die Uganda Human Rights Commission unmissverständlich festgestellt, dass durch den Gesetzentwurf verschiedene Menschenrechte wie das Recht auf Privatsphäre, freie Meinungsäußerung und Schutz vor Diskriminierung verletzt würden. Der Gesetzentwurf verstoße somit gegen international abgesicherte Rechte und die ugandische Verfassung. Die Regierung habe sich von der Gesetzesinitiative distanziert.

Ausweislich des Wikipedia-Artikels "Homosexualität in Uganda" hat derselbe Abgeordnete Anfang 2012 eine weniger weitreichende "Anti Homosexuality Bill 2012" dem Parlament vorgelegt. Deren Schicksal ist dem Gericht bisher nicht bekannt geworden.

Die gesellschaftliche Situation homosexueller Menschen in Uganda stellt sich wie folgt dar:

Laut der Auskunft des AA vom 1. Februar 2012 ist Homosexualität in Uganda - wie in den meisten anderen afrikanischen Staaten auch - gesellschaftlich nicht akzeptiert.

In dem Wikipedia-Artikel wird berichtet, dass im Jahre 2006 eine ugandische Zeitung 50 angeblich Homosexuelle geoutet habe; die Geouteten seien daraufhin verschiedenen Anfeindungen ausgesetzt worden.

Andererseits stärkte ausweislich der Auskunft des AA vom 1. Februar 2012 der ugandische High Court im Dezember 2008 die Rechte Homosexueller, indem er feststellte, dass sie - wie alle anderen Bürger auch - den verfassungsmäßigen Schutz der Privatsphäre genössen. Auf dieser Linie liege auch eine Ende Dezember 2010 ergangene Entscheidung des High Court. Vertreter sexueller Minderheiten, in der Publikation "Rolling Stone" öffentlich bloßgestellt, hätten auf Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld geklagt. Der Klage sei vollumfänglich entsprochen worden. Die Beklagte sei zur Zahlung einer für ugandische Verhältnisse empfindlich hohen Entschädigung in Höhe von 750 US-Dollar an die Kläger sowie zur Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt worden.

Ausweislich des Wikipedia-Artikels forderte im Oktober 2010 ein ugandisches Magazin zur Ermordung homosexueller Personen im Lande auf. Der auf der Titelseite abgebildete David Kato sei nach einem erfolgreichen Gerichtsverfahren gegen die Zeitung ermordet worden. Der Täter habe sich für schuldig erklärt und sei zu 30 Jahren Haft verurteilt worden.

Danach sind im Hauptsacheverfahren aktuelle Auskünfte geeigneter Stellen betreffend die aktuelle strafrechtliche, aber auch gesellschaftliche Situation Homosexueller einzuholen. [...]