VG Schleswig-Holstein

Merkliste
Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 08.11.2013 - 12 A 188/13 - asyl.net: M21281
https://www.asyl.net/rsdb/M21281
Leitsatz:

Die Taliban versuchen, ihr Weltbild gefährdendes Handeln durch Drohungen und Taten auch gegenüber Zivilisten zu unterbinden. Es ist davon auszugehen, dass Drohungen durch die Taliban auch in die Tat umgesetzt werden.

Schlagwörter: Afghanistan, Flüchtlingsanerkennung, Kabul, Musik, Musikproduzent, Taliban, Kultur, Berufsgruppe, Kulturschaffende,
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 4, AsylVfG § 3 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Angesichts der persönlichen Anhörung des Klägers und unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage wird allerdings die Bewertung der Beklagten hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG nicht geteilt.

Nach der durch die persönliche Anhörung gewonnenen Überzeugung des Gerichts hat der Kläger glaubhaft gemacht, einer Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt zu sein.

Der Kläger hat dem Gericht zunächst detail- und kenntnisreich seine Tätigkeit als Produzent populärer Musik geschildert. Ob er tatsächlich den von ihm behaupteten Marktanteil in der Region Kabul gehabt hat, kann für die vorliegend zu beurteilende Frage dahinstehen, da er jedenfalls glaubhaft gemacht hat, mit den Ergebnissen seiner Tätigkeit eine erhebliche Öffentlichkeit erreicht zu haben. Es ist dabei nach den Schilderungen auch plausibel, dass der Kläger grundsätzlich maßvoll, später aber auch deutlich politisierende Musik verantwortet hat. Er hat auch dargetan, selbst einen nicht traditionellen oder gar religiösen Vorstellungen folgenden Lebenswandel gehabt zu haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es nach den allgemein bekannten Bemühungen der Taliban, ihr Weltbild gefährdendes Handeln durch Drohungen und Taten auch gegenüber Zivilisten (vgl. z.B. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan Stand März 2013 vom 04.06.2013, S. 8, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 30.09.2013, S. 4 ff.) zu unterbinden, auch nicht unwahrscheinlich, dass die Tätigkeit des Klägers als Musikproduzent entsprechendes Augenmerk der Taliban oder gleichgerichtet wirkender Gruppen auf ihn gelenkt hat (vgl. United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 06.08.2013, S. 47 f.; zu den Aktivitäten und Einflussmöglichkeiten auch in Kabul vgl. aus jüngerer Zeit etwa Auskunft Dr. Mostafa Danesch an VGH Kassel (7 E 4813/06.A(3)) vom 03.09.2013 oder Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O. S. 11). Es muss damit auch davon ausgegangen werden, dass die glaubhaft geschilderten Drohungen in die Tat hätten umgesetzt werden sollen. Ein Schutz durch staatliche Kräfte oder durch ein Ausweichen in andere Landesteile ist nach der Auskunftslage derzeit nicht anzunehmen. [...]

Einsender: RA Dr. Reinhard Marx, Frankfurt/Main, RBK