VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 29.10.2013 - 26 L 1517/13.A - asyl.net: M21258
https://www.asyl.net/rsdb/M21258
Leitsatz:

Kann eine Mutter ihr eineinhalbjähriges Kind im Heimatland (hier: Georgien) krankheitsbedingt nicht ausreichend versorgen, so bestehen ernstliche Zweifel an der Verneinung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für das Kind..

Schlagwörter: ernstliche Zweifel, Georgien, offensichtlich unbegründet, Gefahr für Leib und Leben, minderjährig, Kleinkind, Kind, psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Kindeswohl,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Vorliegend ist beachtlich wahrscheinlich, dass die etwa eineinhalbjährige Antragstellerin im Falle ihrer Abschiebung nach Georgien einer Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre, da aufgrund des - aktuellen - Gutachtens des Dr. med. Hans Wolfgang Gierlichs, Arzt für Innere Medizin und Psychotherapeutische Medizin, jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit auszugehen ist, dass ihre Mutter sie in Georgien gesundheitsbedingt nicht versorgen kann. In dem vorgelegten umfangreichen Gutachten kommt der Gutachter - zertifizierter Gutachter und Supervisor der Landesärztekammer Nordrhein für die Begutachtung in aufenthaltsrechtlichen Verfahren - nach etwa vierstündiger Untersuchung der Mutter der Antragstellerin zu der Einschätzung, dass die Mutter an einer zumindest mittelschweren Posttraumatischen Belastungsstörung mit überlagernder depressiv getönter chronischer Anpassungsstörung leide, die durch eine schwere sexuelle Gewalterfahrung im fünften Monat der Schwangerschaft mit nachfolgender Fehlgeburt in Russland ausgelöst worden sei. Seiner Ansicht nach ergebe die Überprüfung des Verhaltens der Mutter keine Hinweise auf Simulation oder Aggravation. Im Falle einer Rückkehr der Mutter nach Georgien käme es infolge der erschöpften Stressreserven und der intensiven Überempfindlichkeit des Gehirns gegenüber Auslösereizen alsbald zu einer deutlichen Verschlechterung der Symptomatik (Retraumatisierung); auch sei mit Suizidversuchen aufgrund einer erheblichen Überforderung zu rechnen. Zwar stelle Georgien nicht das Land der Traumatisierung dar. Er sei jedoch davon überzeugt, dass die Mutter krankheitsbedingt nicht ausreichend zwischen Russland und Georgien unterscheiden könne. Bei einer Rückkehr nach Georgien werde ihr Gehirn von Angst überflutet und ihr Stress-System bald dekompensiert werden. Die Mutter werde nicht in der Lage sein, den Kindern in Georgien das Versorgungsminimum zu geben, so dass bei einer Rückkehr nach Georgien das Wohl der Kinder rasch und erheblich gefährdet wäre. Für weitere Einzelheiten wird auf das Gutachten, Bl. 38-74 der Gerichtsakte, verwiesen.

Zwar lässt das Gutachten Fragen offen, wie etwa die Bewertung der widersprüchlichen Angaben der Mutter zu der erlittenen Fehlgeburt. Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist jedoch derzeit aufgrund der in dem Gutachten ausführlich beschriebenen Gefahr einer Retraumatisierung der Mutter von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefährdung der Antragstellerin auszugehen.

Dass die Antragstellerin nach Angaben des Bundesamts zusammen mit ihrem Vater in die Russische Föderation einreisen dürfe, wo dieser sie versorgen könne, steht der Annahme eines Abschiebungshindernisses in Bezug auf Georgien nicht entgegen. Als Zielstaat ist nämlich Georgien in der Abschiebungsandrohung genannt. Ob der Vater mit der - georgischen - Antragstellerin und ihrer Mutter nach Georgien einreisen darf und daher die Versorgung der Antragstellerin in Georgien sichergestellt wäre, kann im Eilverfahren nicht aufgeklärt werden. [...]