VG Schwerin

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Zitieren als:
VG Schwerin, Urteil vom 20.09.2013 - 3 A 912/12 As - asyl.net: M21255
https://www.asyl.net/rsdb/M21255
Leitsatz:

1. Bei der Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG können die im Art. 8 QualfRL zum Ausdruck kommenden Wertungen nicht außer Acht gelassen werden. Das Schutzniveau des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann als allgemeines Prinzip nicht unter das Niveau des Art. 8 QualfRL zurückfallen bzw. ist mit diesem gleichzusetzen.

2. Zu den Einreisemöglichkeiten nach Berg-Karabach.

3. Zu den sozio-ökonomischen Verhältnissen in Berg-Karabach.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Qualifikationsrichtlinie, Berg-Karabach, Schutzniveau, subsidiärer Schutz, Aserbaidschan, Latschin-Korridor, Erreichbarkeit, aserische Abstammung, Aserbaidschaner, Armenien, interne Fluchtalternative, interner Schutz, Einreisemöglichkeit, Existenzgrundlage, Existenzminimum, Armenier, ausweglose Situation,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, RL 2004/83/EG Art. 8, GG Art. 1 Abs. 1, GG Art. 2 Abs. 2 S. 1,
Auszüge:

[...]

c) Im Fall der Kläger liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebietet die verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mit Blick auf Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) ein Abschiebungsverbot im Einzelfall anzunehmen, wenn bei einer Abschiebung der Ausländer dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sein würde (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 – 9 C 9/95 –, juris Rn. 17; Urteil vom 8. Dezember 1998 – 9 C 4.98 -, juris, Rn. 9 m.w.N.).

Dies ist insbesondere auch der Fall, wenn der Ausländer bei seiner Rückkehr mangels jeglicher Lebensgrundlage dem sicheren Hungertod ausgeliefert wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 – 9 B 617/98 –, juris Rn. 4; Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 54 a.E.)

Für diese Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG spricht auch die in Art. 8 Abs. 1 2. Halbsatz der Richtlinie 2004/83/EG des Rates (Qualifikationsrichtlinie - QualfRL) enthaltende Wertung des Europäischen Gesetzgebers. Danach können bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz die Mitgliedstaaten feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes (Fluchtalternative) zum einen keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden (im Sinne des Art. 15 QualfRL) zu erleiden besteht und zum anderen vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält.

Im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 QualfRL, wonach bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die Mitgliedstaaten die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers berücksichtigen, müssen nach der letzten Alternative des Art. 8 Abs. 1 QualfRL die Lebensverhältnisse in diesem Landesteil zumutbar sein, d. h. jedenfalls muss das Existenzminimum gewährleistet sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 – 10 C 11/07 –, juris Rn. 31 ff., 35 unter Hinweis auf The House of Lords, Urteil vom 15. Februar 2006 - Januzi v. Secretary of State for the Home Department & Others (2006 UKHL 5, Rn.47), 3 A 912/12 As; vgl. auch die deutsche Zusammenfassung des Urteils von Dörig, ZAR 2006, 272 (275 f.); ebenso: BayVGH, Urt. v. 31. August 2007 (Milo) Umdruck Rn. 105 unter Hinweis auf Lehmann, NVwZ 2007, 508 (514 f.); eingehend zu Art. 8 QualfRL Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012 § 19 Rn. 28, 65 ff.; Marx, AsylVfG 2009, § 1 Rn. 236 ff, 249 ff.; Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 60 AufenthG Rn. 1 (S. 1073); Bundestags-Drucksache 16/5065, S. 184 ff. (185); Möller/Stiegeler in: Hofmann/Hoffmann (Hrsg.), Ausländerrecht, § 60 AufenthG Rn. 29; Göbel-Zimmermann/Masuch, in: Huber (Hrsg.), AufenthG, § 60 Rn. 56 m.w.N.).

Art. 8 Absatz 1 QualfRL kann nach dessen Abs. 3 auch angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen.

Zwar gilt Art. 8 QualfRL ausweislich § 60 Abs. 11 AufenthG bei der Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht, da es sich um eine nationale Bestimmung handelt, die vom Regelungsbereich der Qualifikationsrichtlinie nicht erfasst wird (vgl. Bundestags-Drucksache 16/5065, S. 184 ff. (187); näher Bergmann, in: Ausländerrecht, § 60 AufenthG Rn. 1 (S. 1075)).

Das Gericht ist indessen der Auffassung, dass bei der Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG die im Art. 8 QualfRL zum Ausdruck kommenden Wertungen nicht außer Acht gelassen werden können; das Schutzniveau des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG als allgemeines Prinzip also nicht unter das Niveau des Art. 8 QualfRL zurückfallen darf bzw. mit diesem gleichzusetzen ist.

d) Den Klägern drohen bei Beachtung dieser Maßstäbe (auch zusammen mit ihren Eltern) nach einer Einreise in Berg-Karabach beachtenswerte Nachteile, die sie in eine ausweglose Situation nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG führen würden. [...]

dd) In der Gesamtschau und bei Auswertung der vorliegenden Erkenntnisquellen werden die Kläger nach Einschätzung des Gerichts unabhängig von ihrer Biografie in Berg-Karabach auch nach einer Übergangsphase wirtschaftlich nicht ausreichend existieren können. Es wäre unzumutbar, Schutzsuchende in ein Gebiet abzuschieben, wo ihnen keine Existenz über dem Existenzminimum möglich wäre.

Die sozio-ökonomische Lage Berg-Karabachs ergibt folgendes Bild:

(1) Es ist zwar fraglich, ob Berg-Karabach nur an Investoren und sog. Wehrbauern interessiert ist. Der "Minister für soziale Wohlfahrt" von Berg-Karabach hat in einem Gespräch mit Dr. Koutcharian erklärt, jeder erhalte ein Visum zur Einreise nach Berg-Karabach. Allerdings ist diese Aussage für aserbaidschanische Staatsangehörige durch den zweiten von Dr. Koutcharian Interviewten - den Leiter des Presseklubs von Berg-Karabach, Stepanakert - eingeschränkt worden (siehe Auskunft Dr. Koutcharian v. 3. Mai 2002 an Rechtsanwalt Piening, Hamburg.Wie der "Minister" haben sich auch die von Dr. Savvidis befragten Personen, der Vorsitzende des Rechtsausschusses des "Parlaments" von Berg-Karabach und der Chefredakteur einer Zeitschrift, geäußert; vgl. Dr. Tessa Savvidis, Gutachten vom 14. Dezember 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, S. 10).

(2) Jedoch ist die wirtschaftliche Lage nach wie vor schwierig. Das Auswärtige Amt hat im letzten Lagebericht vom 25. Januar 2013 (Stand: Dezember 2012) ohne nähere Begründung ausgeführt, die wirtschaftliche Lage in Berg-Karabach werde allgemein besser eingeschätzt als in Armenien. Auch früher hat das Auswärtige Amt die wirtschaftliche Lage in Berg-Karabach recht positiv beschrieben. Nach dessen Erkenntnissen (etwa in der Auskunft vom 6. April 2005 an den Hessischen VGH, zu Nr. 5) wird versucht, mit staatlichen Unterstützungen bei der Zuweisung von Wohnraum, Grundstücken, Steuerbefreiungen etc. und humanitären Hilfsgütern, Personen in Berg-Karabach anzusiedeln. Für diesen Personenkreis würden auch einmalige finanzielle Mittel für Familien zur Verfügung gestellt, deren Höhe hänge von der Personenzahl ab. Auch Auslagen für die Transportmittel von der Republik Armenien bis zum zukünftigen Wohnort in Berg-Karabach würden erstattet. Es sollen sich inzwischen Einzelpersonen und Familien, nicht nur armenischer Volkszugehörigkeit, aus den verschiedensten GUS-Staaten in Berg-Karabach ansiedeln. Verlangt werde lediglich das Bekenntnis zu einem unabhängigen Berg-Karabach (vgl. ferner AA, Stellungnahme vom 26. Oktober 2009 an HessVGH zu Frage Nr. 8).

Allerdings ist der Wert dieser Auskünfte des Auswärtigen Amtes wegen dessen fehlender Möglichkeit der Recherche vor Ort erheblich beeinträchtigt. Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Aserbaidschan in Baku oder der Botschaft in Armenien in Eriwan können, wollen oder dürfen Berg-Karabach nicht bereisen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 18. November 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort unter Nr. 14). Die dem Gericht aus den sonstigen Auskunftsquellen zur Verfügung stehenden Informationen bestätigen nur in Teilen die Feststellungen des Auswärtigen Amtes, zeichnen aber eine andere Lage zu einer erreichbaren wirtschaftlichen Existenz.

(3) Die schlechte Wirtschaftslage Berg-Karabachs resultiert noch immer aus den Kriegsschäden infolge des Berg-Karabach-Konflikts (vgl. Dr. Savvidis, Gutachten für den HessVGH vom 10. August 2009, S. 22 ff.; Hofmann (= Savvidis), Annäherung an Armenien, 2. Aufl. 2006, S. 176 ff.).

Nach den Ausführungen von Dr. Savvidis (Stellungnahme vom 14. Dezember 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern) leben 50 % der Bevölkerung in Berg-Karabach demgegenüber in "sehr schwierigen sozialen Verhältnissen" (Zitat des "Sozialministers" von Berg-Karabach). Die "Regierung" von Berg-Karabach versuche, die Bevölkerungsstruktur durch die Förderung kinderreicher Familien zu verbessern. So sollen danach Familien mit vier Kindern kostenlos Strom erhalten, eine sechsköpfige Familie ein Haus, eine zehnköpfige Familie ein Auto. Nach dem Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 18. Oktober 2005 (an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort S. 16 ff.) fördere Berg-Karabach die Zuwanderung. Die Nachfrage übersteige die Möglichkeiten von Berg-Karabach aber bei weitem; gefördert würden deshalb nur kinderreiche Familien mit mindestens fünf Kindern. Eine Zuwanderung in die sowieso nur rudimentären Sozialsysteme sei nicht möglich, dazu sei Berg-Karabach weder willens noch in der Lage. Nach einem weiteren Gutachten des Transkaukasus-Instituts (vom 16. April 2005 ebenfalls an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, S. 14 ff.) wird bei einer Zuwanderung jenseits der "Hauptstadt" Stepanakert landwirtschaftliche Erfahrung erwartet, auch eine Wehrbauern-Mentalität. Arbeitsplätze für Außenstehende stehen in der Landwirtschaft nicht zur Verfügung.

Etwa für den Kauf einer das Überleben sichernden kleinen Landwirtschaft mit vier Milchkühen sind laut einer Schätzung des Transkaukasus-Institut (im zuletzt genannten Gutachten) 6.000 € notwendig. Den gleichen Betrag nimmt das Transkaukasus-Institut als die für den Aufbau eines kleinen handwerklichen Betriebes notwendige Summe an. Es gebe zwar solche Förderungen durch Armenier aus der Diaspora, diese erreichten aber nur Eingesessene (so das Transkaukasus-Institut in seinem Gutachten vom 30. Oktober 2004, S. 7). Auch eine Arbeit mit einer das Überleben sichernden Entlohnung in den wenigen gewerblichen Betrieben sei für einen Außenstehenden ohne enge Beziehungen nicht erhältlich (Transkaukasus-Institut im Gutachten vom 16. April 2005).

Deutlich heißt es im Gutachten von Dr. Savvidis (vom 11. November 2004 an den Hessischen VGH) von dem dort Interviewten stellvertretenden Leiter der "Botschaft" von Berg-Karabach in Eriwan:

"Allerdings verstehen wir nicht, wieso Personen, die niemals in Karabach gelebt haben [.], hierher kommen und leben sollen oder wollen. Hier besteht fortgesetzt die Gefahr des Krieges. Die Wirtschaft ist zerstört und liegt danieder, es läuft gar nichts. Die Leute, die man zu uns schicken beabsichtigt, haben früher in Städten gelebt. Nun schicken wir sie in noch nicht wieder hergestellte ländliche Gebiete ohne staatliche Unterstützung. Man fragt sich: Wie sollen sie dort existieren? - Die Republik Berg-Karabach besitzt die Pflicht, in erster Linie die eigenen, von hier stammenden Flüchtlinge zurück nach Hause zu holen und zu reintegrieren."

Die Repatriierungsverwaltung sei ausschließlich für Flüchtlinge aus Berg-Karabach zuständig. Nach den Äußerungen der Interviewten in der Stellungnahme von Dr. Savvidis vom 15. Juli 2003 (an das VG Ansbach, S. 9), ziele die Sozialpolitik Berg-Karabachs - Vergabe von Ackerland, Wohnraum und geringfügige Finanzhilfen - in erster Linie auf aus Berg-Karabach stammende Flüchtlinge und Familien von Kriegsgefallenen ("Märtyrern") ab. In einer Anlage - einer Auskunft von Dr. Koutcharian vom 5. Juli 2002 - heißt es auch, Anbauflächen würden nur an Personen verteilt, die von der Landwirtschaft Ahnung haben. Die Zuteilungsfläche betrage pro Person 0,6 ha. In dieser Auskunft wird auch ausgeführt, dass Arbeitslose ein Jahr eine Unterstützung von (umgerechnet) etwa 6 US-$/Monat erhalten. Nach einer Mitteilung des Transkaukasus-Instituts (wiedergegeben in: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein vom 16. Juli 2007 an das VG Schleswig) würden etwa in Armenien die per se als "reich" geltenden Rückkehrer aus Deutschland sicherlich keinerlei Unterstützung erhalten.

Während Prof. Dr. Luchterhandt in seinem bereits zitierten Gutachten an den HessVGH vom 20. August 2009 (S. 35 ff.) sich vorsichtig positiv zu den Möglichkeiten einer wirtschaftlichen Existenz einer Einzelperson (als Kfz-Mechaniker) in Berg-Karabach äußert, hat UNHCR in einer dasselbe Verfahren betreffenden Stellungnahme an den HessVGH vom 2. März 2010 (Nr. 8: Lebensbedingungen in Berg-Karabach) ausgeführt, es sei bereits angesichts des ungelösten Konflikts um Berg-Karabach nicht gewährleistet, dass Flüchtlinge aus Aserbaidschan armenischer Volkszugehörigkeit in einer Region ausreichend sicher wären, in der dauerhaft eine Gefahr für Leib und Leben bestehen und kein schutzbietender Staat vorhanden sei. Auf Grund der Lebensbedingungen komme Berg-Karabach auch für solche Personen nicht in Betracht, welche zu dem Gebiet früher keine Bindungen gehabt hätten. Für Personen ohne Beziehungen zu Berg-Karabach handele es sich um eine unvertraute Krisenregion. Die – im vorliegenden Fall im Übrigen nur teilweise gegebene - armenische Volkszugehörigkeit allein sei keine ausreichende (familiäre oder sonstige) Bindung. Deshalb sei nicht damit zu rechnen, dass solche Personen in dem landwirtschaftlich geprägten Gebiet eine gesicherte Existenzgrundlage fänden. Auch Frau Dr. Savvidis führt in ihrer dasselbe Verfahren betreffenden Stellungnahme vom 10. August 2009 (S. 21 ff.) aus, dass der Lebensstandard in Berg-Karabach unter demjenigen in Aserbaidschan liege. Aserbaidschaner armenischer Volkszugehörigkeit würden in einer ihnen unvertrauten Gesellschaft angesiedelt, die zutiefst durch die Konflikte und Kriegshandlungen seit 1988 geprägt sei. Die sozioökonomische Lage sei durch Kriegszerstörungen und vorangegangener Vernachlässigung und Unterentwicklung der Region geprägt. Staatliche Mittel für den Wiederaufbau seien zwangsläufig äußert gering. Ein 43-jähriger habe auf dem Arbeitsmarkt geringe Chancen, weil er bereits zu den älteren Arbeitnehmern zählte. Es sei damit zu rechnen, dass solche Personen die Arbeitslosigkeit und damit ein Leben unter dem Existenzminimum drohen. Zudem könne ein Flüchtling ein bestimmter Aufenthaltsort zugewiesen werden, so dass er ggf. in einem unerschlossenen Gebiet leben müsste. Dabei weist Frau Dr. Savvidis in ihrer bereits zitierten Stellungnahme an den HessVGH vom 10. August 2009 (S. 29) unter Bezugnahme auf ein Gespräch mit dem Ombudsman von Berg-Karabach darauf hin, dass auch nicht ausgeschlossen werden könne, dass nach Berg-Karabach eingewanderte Armenier in von Armenien besetzten Gebieten Aserbaidschans außerhalb der Grenzen des früheren Autonomen Gebiets Berg- Karabachs im Korridorgebiet zu Armenien angesiedelt würden. Dort seien die Lebensbedingungen noch schlechter, das gebirgige Gebiet sei weitgehend unerschlossen, es fehle an Kanalisation und Stromanschlüssen und es sei möglich, dass diese Gebiete gemäß den von der Minsker Gruppe der OSCE-Staaten beschlossenen Madrider Grundsätzen (vgl. Kasten in der oben zit. CSS-Studie, S. 3: Rückgabe der besetzten Gebiete um Berg-Karabach an Aserbaidschan), diese Gebiete an Aserbaidschan zurückgegeben werden könnten.

Auch UNHCR hat in seiner zitierten Stellungnahme an den HessVGH zu Frage 8 deutlich gemacht, dass Berg-Karabach als Alternative für Personen, die noch nie dort gelebt haben, über keinerlei Bindungen verfügen auch angesichts der dort bestehenden krisenhaften Situation nicht in Betracht kommt.

ee) Daher ist das Gericht davon überzeugt, dass die Kläger, auch wenn sie zusammen mit ihren Eltern nach Berg-Karabach einreisen würden, in absehbarer Zeit in eine ausweglose Situation mit der Folge geraten könnten, dass ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit in Gefahr gerieten. Es ist auch unzumutbar, von den Klägern mit teilweiser aserische Abstammung zu verlangen, sich zu einem unabhängigen Berg-Karabach zu bekennen. Deshalb erscheint diese Region auch deshalb als Rückkehralternative zweifelhaft. Die Eltern der minderjährigen Kläger bei Beachtung der geschilderten Situation in Berg-Karabach wären nach allem nicht in der Lage, sich dort eine hinreichend sichere Existenz aufzubauen, ohne dass auf deren individuelle Biographie abzustellen wäre. Sie sind teilweise nicht armenischer Volkszugehörigkeit, haben keine Bindungen zu Berg-Karabach, keine verwandtschaftlichen Beziehungen dorthin und würden daher angesichts der beschriebenen sozio-wirtschaftlichen Lage in Berg-Karabach keine hinreichende Existenz aufbauen können.

Deshalb ist auch die Abschiebungsandrohung im Bescheid aufzuheben, soweit diese auf Aserbaidschan als Zielstaat lautet. [...]