VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 20.09.2013 - M 11 K 13.30575 - asyl.net: M21242
https://www.asyl.net/rsdb/M21242
Leitsatz:

In Somalia besteht infolge des dort herschenden innerstaatlichen Konflikts landesweit ein derart hoher Gefahrengrad, dass jede dort anwesende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Seit Anfang 2013 hat sich die Sicherheitslage in Mogadishu und den umliegenden Regionen gegenüber 2012 verschlechtert.

Schlagwörter: Somalia, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Italien, gefahrerhöhende Umstände, minderjährig, Rückkehrgefährdung, interne Fluchtalternative,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, AsylVfG § 71a, AsylVfG § 34 Abs. 1 Nr. 3
Auszüge:

[...]

a) In Somalia besteht ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Typische Beispiele für die Annahme eines bewaffneten Konflikts in diesem Sinne sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Auch kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360).

Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne effektive Staatsgewalt. Im Herbst 2012 wurde die auf der Grundlage der Übergangsverfassung von 2004 amtierende Übergangsregierung durch eine neue Regierung unter dem Akademiker Hassan Sheikh Mohamud als Präsidenten und dem Geschäftsmann Abdi Farah Shirdon als Premierminister abgelöst; eine neue Übergangsverfassung wurde ebenfalls verabschiedet. Auch der neuen Regierung ist es nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes bislang nicht gelungen, über weite Teile des Landes außerhalb der Hauptstadt Mogadischu effektive Kontrolle zu erlangen. Zwar hat die Mission der afrikanischen Union AMISOM einige größere Städte im Süden des Landes befreit. Dennoch herrschen in großen Teilen Süd- und Zentralsomalias auch weiterhin Zustände, die im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte und die humanitäre Lage desaströs sind. Von dem weiter andauernden Bürgerkrieg sind nur die westlichen etwa zwei Drittel von Somaliland und Teile von Puntland ausgenommen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12.6.2013, Ziffern I. 1.1 und II. 3.1).

b) Weiter wäre der Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU ausgesetzt.

Eine entsprechende Gefahr kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des betreffenden Ausländers verdichtet. Eine solche Verdichtung bzw. Individualisierung kann sich zum einen aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann zum anderen ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 14.7.2009 - 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188). Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist dabei der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr, in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - InfAuslR 2013, 241). Soweit sich eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise aus dem hohen Gefahrengrad für jede sich in dem betreffenden Gebiet aufhaltende Zivilperson ergibt, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es neben der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos einer wertenden Gesamtbetrachtung, die auch die medizinische Versorgungslage würdigt. Der bei Bewertung der entsprechenden Gefahren anzulegende Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Prüfung der tatsächlichen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK (BVerwG, Urteil v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454).

Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich, dass in ganz Somalia ein derart hoher Gefahrengrad besteht, dass jede dort anwesende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung in diesem Sinne ausgesetzt ist. Dies gilt auch für die von der Zentralregierung überwiegend kontrollierte Hauptstadt Mogadischu. [...]

Diese Einschätzung der Gefahrenlage in Somalia und insbesondere in Mogadischu entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. U.v. 28.6.2011 - 8319/07, Sufi u. Elmi - Vereinigtes Königreich - NVWZ 2012, 681). Danach herrscht in Mogadischu in einem Ausmaß Gewalt, dass grundsätzlich jedermann in der Stadt tatsächlich einer Gefahr im Sinne einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt ist. Die Gefahrenlage hat sich in Somalia im Allgemeinen und in Mogadischu im Besonderen seit dem Zeitpunkt der vorgenannten Gerichtsentscheidung, d.h. seit dem Sommer 2011 verschlechtert. So wurden von Armed Conflict Location and Event Dataset (ACLED) für das Jahr 2012 insgesamt 3323 Todesopfer der Konflikte in Somalia erfasst. Das International Institute for Strategic Studies, Armed Conflict Database (IISS ACD) hat für 2012 2151 Todesopfer ermittelt (gegenüber 1950 in 2011). Diese Quelle hat angemerkt, dass die wirkliche Zahl für 2012 wahrscheinlich deutlich höher liegen dürfte (vgl. UK Border Agency, Länderbericht zu Somalia vom 5.8.2013, Nr. 1.11, S. 12). Auch aus dem Länderbericht von ACLED zu Somalia vom April 2013 ergibt sich, dass sich die Zahl der seit Anfang 2011 für Somalia gemeldeten Vorfälle von einem Tiefpunkt im Januar 2011 monatlich von ca. unter 10 bis auf rund 200 im April 2013 erhöht hat. Die Zahl der berichteten Todesfälle ist in 2012 und im Frühjahr 2013 gegenüber der Lage in 2011 deutlich höher gewesen. Während sich die monatlichen Opferzahlen in 2011 überwiegend - mit Ausnahme des Oktober 2011 - unter 200 bewegten, lagen sie ab April 2012 deutlich über 200 bzw. teilweise auch über 300 Personen. Auch in Mogadischu und der Region Banaadir ist die Zahl der von ACLED erfassten Vorfälle und zivilen Opfer auf hohem Niveau geblieben, wenn auch eine Abnahme gegenüber den Zahlen für 2010 festzustellen ist. Allerdings geht das Gericht gerade auch für die Lage in Mogadischu von einer erheblichen Dunkelziffer von Vorfällen und verletzten und getöteten Zivilisten aus. In den vergangenen Jahren wurden vor allem die Opfer von Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und Al Shabab bewertet. ACLED geht davon aus, dass die Zahl der Al Shabab zuzurechnenden Gewaltakte unterschätzt wird. Nach Einschätzung z.B. von ACLED bleibt zum einen Al Shabab zwar ein wichtiger Akteur im Hinblick auf Gewaltakte im Rahmen einer Guerillataktik in der Hauptstadt Mogadischu. Daneben hat sich aber ein sehr hohes Niveau von Gewalt entwickelt, das von nicht identifizierten bewaffneten Gruppen ausgeht (vgl. Länderbericht vom April 2013, S. 4). Die diffuse Natur dieser Gewaltakte und die schwere Zuordnung militanter Gruppen zu Organisationen erschwert die Erfassung von Opferzahlen, die den bewaffneten Auseinandersetzungen zuzuordnen sind, erheblich.

Die Sicherheitslage in Mogadischu und der umliegenden Region hat sich auch seit Anfang 2013 nach den vorliegenden Informationen gegenüber 2012 verschlechtert. Die Zahl der von ACLED gemeldeten Vorfälle in Mogadischu und in der Region Banaadir seit Dezember 2012 ist auf einem Niveau von 10 bis 15 Vorfällen pro Monat geblieben; die Zahl der Opfer weist seit Jahresanfang wieder eine deutlich steigende Tendenz auf. Der Bericht von Landinfo Norwegen und der dänischen Immigrationsbehörde vom Mai 2013 zur Sicherheit und zum Schutz in Mogadischu und Süd-/Zentralsomalia spricht davon, dass die Situation in Mogadischu nicht stabil ist und dass von Januar bis April 2013 die Zahl der von Al Shabab vorgenommenen Tötungen und Angriffe in Mogadischu zugenommen hat (vgl. S. 20 unten im vorgenannten Bericht). Hinzu kommt, dass die in dem Berichtszeitraum vom 16. April bis 7. Mai 2013 durchgeführten Interviews ersichtlich noch keine genauere Bewertung z.B. der am 14. April und 5. Mai 2013 in Mogadischu von Al Shabab durchgeführten, schweren Anschläge beinhalten konnten. Die dortigen Angaben über diese Anschläge sind lediglich als Annex zu den grundsätzlichen Ausführungen zu angeblichen Verbesserungen der Sicherheitssituation in Mogadischu seit Oktober 2012 (vgl. Ziffer 1.6 des Berichts, S. 18 bis 22) ergänzt worden. Bei dem Anschlag vom 14. April 2013 sind 34 Zivilisten und ein halbes Dutzend Angreifer ums Leben gekommen (vgl. NZZ vom 17.4.2013 - "Somalias Terroristen schlüpfen aus ihren Löchern"). Es handelte sich um den Vorfall mit den meisten Todesopfern in Mogadischu im Jahr 2013 und den schwersten Terroranschlag seit Vertreibung der Al Shabab aus Mogadischu. Bei dem Selbstmordanschlag am 5. Mai 2013 wurden über 10 Personen getötet (vgl. Bericht des Generalsekretärs der VN an den Sicherheitsrat vom 31.5.2013, Nr. 11). Bei einem weiteren schweren Selbstmordattentat von Al Shabab am 19. Juni 2013 auf ein Gebäude des VN-Entwicklungsprogramms in Mogadischu wurden mindestens 18 Menschen getötet (Meldung von DW vom 19.6.2013 - "Keine Stabilität für Somalia"). Insgesamt hat die Zahl von Bombenanschlägen in 2013 gegenüber 2012 zugenommen (vgl. Bericht des Generalsekretärs der VN an den Sicherheitsrat vom 31.5.2013). Dass Al Shabab relativ leicht prominente und theoretisch gut bewachte Ziele in der Hauptstadt angreifen kann stellt nach Einschätzung von Beobachtern eine schwerwiegende Besorgnis für die Regierung dar und schwächt ihre Hoffnungen für eine schnelle Rückkehr zu "Normalität" in Somalia (vgl. Länderbericht der UK Border Agency zu Somalia vom 5.8.2013, dort Ziffer 1.28, S. 23).

Weiter ist der Kläger auch aufgrund gefahrerhöhender Umstände in seiner Person einer individuellen Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausgesetzt.

Zwar hat in jüngster Zeit, insbesondere nach der Vertreibung der radikal-islamistischen Opposition aus Mogadischu und anderen Städten in Südsomalia, die Zahl der Rückkehrer zugenommen. Die Mehrzahl der Somalier, die aus der Diaspora nach Mogadischu zurückkehren, dürfte allerdings vermögend sein und für sich die Möglichkeiten für Geschäfte, politischen Einfluss sowie Posten sehen. Es wird berichtet, dass es extrem schwierig sei, nach Mogadischu zurückzukehren, wenn man bei der Rückkehr niemanden habe, von dem man Unterstützung erhalten kann. Die zurückkehrenden Personen werden als Konkurrenten im Hinblick auf Arbeitsmöglichkeiten und den durch Rückkehrer bedingten Anstieg der Waren- und Grundstückspreise angesehen. Die Sicherheitslage ist in Mogadischu für Flüchtlinge schlechter als für bessergestellte Teile der Bevölkerung. Es kommt offensichtlich u.a. zu Übergriffen auf Rückkehrer durch Angehörige der ortsansässigen Bevölkerung. Rückkehrer sind auch insoweit nicht willkommen, als einige jugendliche Rückkehrer früher an Al Shabab-Attacken in Mogadischu teilgenommen haben (Bericht von Landinfo und dänischer Immigrationsbehörde vom Mai 2013, Ziffern 7.2 und 7.3, S. 51 ff.). Die Lebensbedingungen für Rückkehrer, die nicht über familiäre oder andere soziale Bindungen verfügen, sind nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes extrem schwierig (vgl. Lagebericht vom 12.6.2013, Ziffer IV.1.1., S. 18).

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes besteht die größte Gefahr für Rückkehrer in lokalen, clanbezogenen Rivalitäten, gegebenenfalls auch in Übergriffen radikal-islamistischer Gruppen. Rückkehrer seien, u.a. in Abhängigkeit von ihrer Clanzugehörigkeit, einer im Einzelfall schwer einzuschätzenden, möglicherweise sogar lebensbedrohlichen Gefahr ausgesetzt (vgl. Lagebericht vom 12.6.2013, Ziffer IV. 1.).

Mogadischu wird im Wesentlichen von zwei Untergruppen des Hawiye-Clans beherrscht, den Abgal und den Habr Gedir (vgl. Landinfo und dänische Immigrationsbehörde, Bericht über Sicherheit und Schutz in Mogadischu und Süd-/Zentralsomalia vom Mai 2013, dort unter Ziffer 2.1, S. 33; ACCORD, Clans in Somalia, Bericht zum Vortrag von Dr. Gundel am 15.5.2009, Dezember 2009, Ziffer 3.1., S. 14). Die Clan-Zugehörigkeit hat auch in Mogadischu nach wie vor eine existenzielle Bedeutung für Rückkehrer. Es wird berichtet, dass der Einzelne sich dort zwar frei bewegen kann, aber in einem Gebiet nicht leben kann, in dem der betreffende Clan nicht vorhanden ist. Die Angehörigkeit zu einem Clan biete insoweit einen gewissen Schutz, als bei einem Verbrechen, das nicht von einem Angehörigen von Al Shabab begangen wird, die Angelegenheit zwischen den Clans geregelt werden könne. Ohne Familie in Mogadischu sei der Einzelne ohne Schutz eines Clans (vgl. UK Border Agency, Länderbericht zu Somalia vom 5.8.2013, dort Ziffer 9.14, S. 78). Nicht der Clan, sondern die Kernfamilie bietet zwar nach Angaben von UNHCR Somalia Unterstützung bei dem Lebensunterhalt. Der Clan bietet jedoch einen darüber hinausgehenden Schutz. Um von einem Schutz durch den Clan zu profitieren, muss die betreffende Person UNHCR Somalia zufolge den Clan-Älteren oder anderen Clan-Mitgliedem bekannt sein. Informationen über einen Neuankömmling, besonders wenn er bzw. sie nicht zu den vorhandenen Clans oder Kernfamilien gehört oder wenn er bzw. sie aus einem früher oder derzeit von einer Rebellengruppe kontrollierten Gebiet stammt, würden sicherlich eine ablehnende Aufmerksamkeit hervorrufen. Sogar Personen, die aus Mogadischu stammen, könnten als Neuankömmlinge angesehen werden, wenn sie vor langer Zeit ausgereist sind und die Verbindungen zu ihrer clanbasierten Gemeinschaft verloren hätten (vgl. Landinfo und dänische Immigrationsbehörde, Bericht über Sicherheit und Schutz in Mogadischu und Süd-Zentralsomalia vom Mai 2013, dort unter Ziffer 2.1, S. 32). Es wird berichtet, dass Flüchtlinge wie auch andere Bedürftige nicht im selben Maß wie andere Sicherheit genießen. Sie sind oft ohne Unterstützung und können sich hinsichtlich der Sicherheit nicht an die Behörden wenden. Flüchtlinge müssen oft sehr hohe Mieten und Schutzgelder bezahlen. Flüchtlinge, die diese Zahlungen nicht leisten können, riskieren, geschlagen oder vergewaltigt zu werden (vgl. Länderbericht der UK Border Agency zu Somalia vom 5.8.2013, dort Ziffer 16.08, S. 147).

Der Kläger ist als Minderjähriger im Jahr 2008 aus seinem Heimatland ausgereist und hat sich mehrere Jahre im Ausland aufgehalten. Seinen glaubhaften und insoweit widerspruchsfreien Aussagen hat er vor seiner Flucht in Mogadischu gelebt. Seine Mutter und seine minderjährigen Geschwister leben derzeit in einem Flüchtlingslager in Kenia. Schon daraus ergibt sich, dass der Kläger von seiner ursprünglichen Kernfamilie, seiner verwitweten Mutter und seinen minderjährigen Geschwistern, keinen Schutz erhalten kann, wenn er nach Somalia zurückgeführt werden würde. Er wäre bei einer Rückkehr nach Mogadischu auf sich allein gestellt und daher unmittelbaren Gefahren für Leib und Leben von allen Seiten aller Bürgerkriegsparteien in Mogadischu ausgesetzt. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger in dem von anderen Clans dominierten Mogadischu wenig Schutz vor Übergriffen in Anspruch nehmen könnte. Er selbst gehört dem Minderheitenclan der Garre an (so auch der Lagebericht vom 12. Juni 2013 unter 11.1.3). Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung insoweit glaubhaft angab, haben Leute von den Hauptclans Abgal und Habr Gedir bereits in der Vergangenheit seinen Clanmitgliedern "Sachen" weggenommen. Er ist daher einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer von Übergriffen und Entführungen zu werden (so UNHCR, UNHCR-Richtlinien des internationalen Schutzbedarfs somalischer Asylsuchender, S. 8 f.). Auch aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Juni 2013 ist zu entnehmen, dass ethnische Minderheiten mit besonders schwierigen sozialen Bedingungen leben (Ziffer 11.1.3). Seine Frau und sein minderjähriges Kind leben in Afgooye. Seine Frau und sein Kind können ihm auch keinen Schutz bieten. Zudem ist dem Kläger ein Ausweichen in andere Gebiete von Somalia nicht zumutbar (§ 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie). Unabhängig von einer aktuellen Bewertung der dortigen Situation wäre es dem Kläger bereits nicht möglich, solche Gebiete ohne existenzielle Gefahren zu erreichen. Wer durch Somalia reist, überquert häufig Frontlinien. Wer in Al Shabab-Gebiete einreist, insbesondere als junger Mann riskiert, als Spion der TFG verdächtigt zu werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12.6.2013, dort Ziffer 11.3., Schweizer Bundesamt für Migration, Focus Somalia - Sicherheitslage in Süd- und Zentralsomalia S. 24 f.).

c) Ferner findet im vorliegenden Fall die Beweiserleichterung in Form einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie Anwendung. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits von einer Verfolgung oder einem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass dessen Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründen sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder von einem solchen Schaden bedroht wird.

Vorliegend ist der Kläger im Jahre 2008 aus Somalia ausgereist. Bereits zum damaligen Zeitpunkt bestand ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung, so dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausgesetzt war. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5. Mai 2008 gab es auch zum damaligen Zeitpunkt kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und anderen Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. Allein im Herbst 2007 flohen nach Angaben des UNHCR etwa 700.000 Menschen aus der Hauptstadt Mogadischu aufgrund wieder aufflammender Kämpfe zwischen äthiopischen Interventionstruppen und den Kämpfern der Union der Islamischen Gerichtshöfe. Die allgemeine Menschenrechtssituation war auch zum damaligen Zeitpunkt extrem schlecht. Die Zivilbevölkerung in Somalia war und ist schweren Menschenrechtsverletzungen sowohl durch die Kampfhandlungen der streitenden Milizen als auch durch die "Justiz" der jeweils obsiegenden Partei ausgesetzt, ohne dass inländische Fluchtalternativen bestehen würden. Zwischen dem Kläger vor seiner Ausreise unmittelbar drohenden Schäden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht ein enger Zusammenhang (BVerwG, U. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454). Wie oben ausgeführt ist der Kläger auch im Falle einer Rückkehr der erheblichen Gefahr für Leib und Leben durch die in Mogadischu aktiven Milizen, u.a. Al Shabab ausgesetzt. Im Unterschied zur damaligen Sachlage sind lediglich neben Al Shabab weitere Akteure mit Gewalttaten in Erscheinung getreten; zudem hat Al Shabab nach weitgehender Beendigung der offenen Kampfhandlungen in Mogadischu die Strategie hin zu einer Guerillataktik mit gezielten Tötungen und Anschlägen verändert, der weiterhin zahlreiche Zivilisten zum Opfer fallen. Es bestehen daher keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland nicht erneut von derartigen Schäden bedroht sein würde (vgl. BayVGH, Urteil v. 14.1.2013 - 20 B 12.30349 - juris, RdNr. 25). [...]