BlueSky

LSG Niedersachsen-Bremen

Merkliste
Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.09.2013 - L 8 AY 61/13 B ER - asyl.net: M21209
https://www.asyl.net/rsdb/M21209
Leitsatz:

Der Widerspruch gegen einen Änderungsbescheid auf Leistungen nach § 1a AsylbLG entfaltet gem. § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung, weil keiner der gesetzlichen Ausnahmegründe des § 86a Abs. 2 SGG vorliegt. Anders als das SGB II in § 39 enthalten weder das AsybLG noch das SGB XII eine Vorschrift, wonach die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage entfällt.

Schlagwörter: Widerspruch, Widerspruchsverfahren, Änderungsbescheid, aufschiebende Wirkung, Suspensiveffekt, Ausnahmegründe,
Normen: AsylbLG § 3, AsylbLG § 1, AsylbLG § 2, SGG § 86a S. 1, SGG § 86a Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die gemäß §§ 172, 173 SGG zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des SG vom 21. Mai 2013 ist begründet. Das SG hat den Antrag auf Weiterzahlung der bislang gewährten Leistungen nach §§ 1, 2 AsylbLG i.V.m. § 19 SGB XII bzw. § 3 AsylbLG zu Unrecht abgelehnt.

Unabhängig von der Frage, ob die Kürzungen der Höhe nach gerechtfertigt sind, folgt der Anspruch auf vorläufige Weitergewährung der bisherigen Leistungen bereits aus § 86a Satz 1 SGG. Denn der Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 19. Dezember 2011 entfaltet ebenso wie die vor dem SG am 23. April 2012 fristgemäß erhobene Anfechtungsklage der Antragsteller gegen den Bescheid vom 19. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2012 gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung, weil keiner der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmegründe des § 86a Abs. 2 SGG vorliegt. Weder das AsylbLG noch das SGB XII enthalten - anders als das SGB II in § 39 - eine Vorschrift, wonach die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage entfällt. Hier tritt deshalb der gesetzliche Normalfall ein, wonach der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. zum SGB XII: Beschlüsse des erkennenden Senats vom 28. Mai 2013, L 8 SO 168/13 B ER, 10. April 2013, L 8 SO 52/13 B ER und 24. Januar 2006, L 8 SO 83/05 ER sowie zum AsyIbLG: Beschluss des 11. Senats vom 8. November 2010, L 11 AY 98/09 B ER). Ein Sofortvollzug im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG ist nicht angeordnet worden.

Den Antragstellern sind mit Bescheid vom 14. November 2011 Leistungen nach §§ 1, 2 AsylbLG i.V.m. § 19 SGB XII bzw. § 3 AsyIbLG "ab 1. Dezember 2011 für den laufenden Monat gewährt worden". Dabei handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt. Ein solcher liegt vor, wenn sein Regelungsgehalt vom Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes her nach seinen rechtlichen Wirkungen in die Zukunft fortwirken soll, sich also über eine einmalige Gestaltung der Rechtslage hinaus auf eine gewisse bestimmte oder unbestimmte zeitliche Dauer in der Zukunft erstreckt (BSGE 56, 165, 58; 27, 61, 286; 78, 109). Zwar stellen Leistungen nach dem AsyIbLG grds. keine rentengleichen Dauerleistungen dar, sondern werden in der Regel zeitabschnittsweise gewährt. Dieser Regelfall gilt jedoch dann nicht, wenn die Behörde den Hilfefall statt für den dem Bescheid nächstliegenden Zeitraum für einen längeren Zeitraum geregelt hat. Maßgeblich ist dabei, wie ein Leistungsberechtigter bei objektiver Würdigung den Verwaltungsakt verstehen kann (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 24. Januar 2006, L 8 SO 83/05 ER; Rothkegel/Grieger in: Sozialhilferecht, 1. Aufl. 2005, Teil IV Kapitel 6 S. 686f, Rdnr. 52ff.). Zwar ist die Formulierung "ab 1. Dezember 2011 für den laufenden Monat" widersprüchlich. Eine Dauerwirkung ergibt sich jedoch für einen verständigen Leistungsempfänger aus den weiteren Regelungen, wonach die Leistungen für die Folgemonate in der im beiliegenden Berechnungsbogen ausgewiesenen Höhe jeweils monatlich im Voraus erbracht werden. Die Zusätze "sofern sich keine Veränderungen in den für die Leistungen maßgeblichen Verhältnissen ergeben" und "solange sich Ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert haben" bewirken nicht, dass die Bewilligung nur so lange gilt, bis sich die entsprechenden Verhältnisse ändern. Nach summarischer Prüfung handelt es sich dabei nicht um eine auflösende Bedingung i.S.d. § 32 Abs. 1 2. Alt. SGB X. Nach § 32 Abs. 1 SGB X darf ein gebundener Verwaltungsakt wie vorliegend der Bescheid vom 14. November 2011 mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn dies entweder durch Rechtsvorschrift zugelassen ist (§ 32 Abs. 1, 1. Alternative SGB X) oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden (§ 32 Abs. 1, 2. Alternative SGB X). Die Sicherstellungsfunktion des § 32 Abs. 1, 2. Alternative SGB X erstreckt sich auch auf den künftigen Fortbestand der gesetzlichen Voraussetzungen von Dauerverwaltungsakten. So kann ein Verwaltungsakten mit Dauerwirkung mit einer auflösenden Bedingung verbunden werden, wenn entweder von der Eigenart des Verwaltungsaktes her typischerweise damit zu rechnen ist, dass dessen Voraussetzungen nach einer gewissen Zeit wieder entfallen können, oder wenn im konkreten Einzelfall greifbare Anhaltspunkte befürchten lassen, die Voraussetzungen könnten möglicherweise wieder wegfallen (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2005, B 6 KA 60/03 R, Juris Rdnr. 25). Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sein sollten, fehlt es für eine Auslegung der aufgeführten Zusätze als auflösende Bedingung jedenfalls an einer hinreichenden Bestimmtheit; aus Sicht eines objektiven Empfängers kann eine derartige Regelung zudem nicht so verstanden werden, dass die Änderung der Verhältnisse sich ohne weiteren Umsetzungsakt auf die Leistungsbewilligung auswirkt, ein Abänderungsbescheid also nicht entbehrlich ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2012, L 15 SO 75/09, Juris Rdnr. 27). Von einer auflösenden Bedingung ist auch der Antragsgegner ersichtlich nicht ausgegangen, denn er hat den aus seiner Sicht vorliegenden Änderungen (fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung) durch Erlass des Änderungsbescheides vom 19. Dezember 2011 Rechnung getragen. Ob dieser Bescheid den Vorschriften der §§ 44ff. SGB X genügt, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein. [...]