VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Beschluss vom 06.09.2013 - RN 9 K 12.782 - asyl.net: M21154
https://www.asyl.net/rsdb/M21154
Leitsatz:

Keine Aussetzung des Verfahrens eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Ausländers wegen Befristung der Wirkungen der Ausweisung bis zur Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Freiheitsstrafe, lebenslange Freiheitsstrafe, Ausweisung, Befristung, Befristung der Wirkungen der Ausweisung, Strafaussetzung, Aussetzung des Strafests zur Bewährung, Strafvollstreckung, Strafvollstreckungskammer, Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, Dauer der Befristung, Aussetzung des Verfahrens,
Normen: VwGO § 94,
Auszüge:

[...]

hierfür vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht dargetan sind. Danach kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die demnach erforderliche Vorgreiflichkeit des anderen Verfahrens bedeutet, dass die Entscheidung, die in dem auszusetzenden Verfahren ergehen soll, nicht ergehen kann, ohne dass auch über eine in beiden Verfahren relevante gemeinsame Vorfrage entschieden wird. Dafür ist zwar kein Fall der Rechtskrafterstreckung nötig; es genügt, wenn es in dem anderen Verfahren um eine echte Vorfrage mit präjudizieller Wirkung für das auszusetzende Verfahren geht. Ausreichend, aber auch erforderlich ist ein gesetzlich angeordneter oder rechtslogischer Einfluss mit unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen auf das anhängige Verfahren. Die Möglichkeit irgendeiner sachlichen Verknüpfung genügt dagegen nicht (vgl. Jacob in Gärditz, VwGO, 1. Aufl. 2013, Rn. 7 zu § 94).

Für die vorliegend im Streit stehende Dauer der Befristung der Ausweisungswirkungen kommt es indes nicht entscheidend darauf an, ob die Vollstreckung des Restes der gegen den Kläger verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe nunmehr zur Bewährung ausgesetzt wird oder nicht. Der betreffenden Entscheidung der Strafvollstreckungskammer kommt weder eine Bindungs- noch eine Präjudizwirkung für die Entscheidung der Ausländerbehörde oder des Verwaltungsgerichts über die Dauer der Ausweisungswirkungen zu.

Das gilt selbst dann, wenn die Ausweisung bzw. deren Befristung auf rein spezialpräventiven Erwägungen beruhen würde, was hier nicht der Fall ist. Die Bewilligung der bedingten Haftentlassung einerseits und die Ausweisung bzw. deren Befristung andererseits verfolgen unterschiedliche Zwecke und unterliegen deshalb unterschiedlichen Regeln. Bei der Aussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen "offen" inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es im ausländerrechtlichen Ausweisungs- bzw. Befristungsverfahren um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung bzw. ihrer Befristung zugrundeliegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (vgl. BVerwG, U. v. 15.1.2013 – 1 C 10/12 – juris-Rn. 18 f.).

Vorliegend kommt – als die Entscheidung selbständig tragender Gesichtspunkt – hinzu, dass die Ausweisung und ihre Befristung auf Grund des dem Kläger zur Last liegenden schwersten Verbrechens, nämlich der Ermordung seiner vormaligen Lebensgefährtin als Vergeltung für die zunichte gemachte Hoffnung auf ein Bleiberecht in Deutschland, zulässigerweise (vgl. BVerwG, U. v. 14.2.2012 – 1 C 7/11 – juris-Rn. 19) auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt wird. Insoweit kann einer mit einer individuell günstigen Prognose begründeten Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung von vornherein keine Bedeutung zukommen. [...]