VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 09.09.2013 - 5 K 195/12 - asyl.net: M21133
https://www.asyl.net/rsdb/M21133
Leitsatz:

Aufgrund der Mängel im Gesundheitsswesen und des Erfordernisses, über finanzielle Mittel zu verfügen, ist bei einer psychischen Erkrankung, die eine regelmäßige Einnahme von Psychopharmaka erfordert, die Behandlung in Afghanistan nicht gewährleistet.

Schlagwörter: Abschiebungshindernis, Afghanistan, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung, Psychopharmaka, Medikamente, Gesundheitswesen,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 3,
Auszüge:

[...]

Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers zu bejahen, wobei die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht eingreift. Denn es ergeben sich aus seinem Vortrag solche individuell nur ihm drohende Gefahren. Dies resultiert aus dem Gesundheitszustand des Klägers. Denn auf Grund der bei ihm bestehenden psychischen Erkrankung und der daraus resultierenden Folgen muss davon ausgegangen werden, dass für den Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine konkrete Gefahr für Leib und Leben besteht. So ist den vorgelegten ärztlichen Attesten der Gemeinschaftspraxis ... vom 26.07.2012, 09.04.2013 und 30.08.2013 sowie des Chefarztes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im ...-Hospital in ... vom 28.09.2012 zu entnehmen, dass der Kläger unter einer dauerhaften psychischen Erkrankung leidet, die eine regelmäßige Einnahme von Psychopharmaka erfordert. Auch der Eindruck des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigte die Einschätzung, dass der Kläger psychisch sehr labil ist und eine kontinuierliche Einnahme von Medikamenten für ihn unentbehrlich ist. Dies ist jedoch nach Überzeugung des Gerichts in Afghanistan im Hinblick auf die dort bestehenden Mängel im Gesundheitswesen und das Erfordernis, über finanzielle Mittel zu verfügen, nicht gewährleistet. Die medizinische Versorgung in Afghanistan stellt sich auf Grund fehlender Medikamente, Geräte und Ärzte als unzureichend dar. Selbst in Kabul, wo es mehr Krankenhäuser als im übrigen Land gibt, ist für die Bevölkerung noch keine hinreichende medizinische Versorgung gewährleistet. Zwar ist das staatliche Gesundheitssystem laut Verfassung kostenfrei, de facto werden aber Patienten für aufwändigere Behandlungen regelmäßig an teure Privatpraxen verwiesen und Medikamente müssen in aller Regel selbst beschafft werden. Insbesondere ist die Behandlung von psychischen Erkrankungen in Afghanistan nur unzureichend möglich. Es gibt nur einigen größeren Städten wenige Kliniken, die zudem klein und überfüllt sind (so Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 10.01.2012 und vom 04.06.2013).

Daher muss davon ausgegangen werden, dass sich die psychische Erkrankung des Klägers in Afghanistan weiter verschlechtern würde. Es ist auch auf Grund der vorliegenden Unterlagen bekannt, dass sich bereits für einen gesunden arbeitsfähigen Afghanen die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan schwierig gestaltet, auch wenn es einer solchen Person grundsätzlich möglich ist, als Tagelöhner mit Aushilfsjobs ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Koblenz vom 23.08.2011 besteht für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche afghanische Staatsangehörige ohne Ausbildung, die der Landessprache mächtig sind, grundsätzlich die Möglichkeit, als Tagelöhner mit Aushilfsjobs ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Dies würde jedoch auf den Kläger auf Grund seiner Erkrankung nicht zutreffen. Unter Berücksichtigung der Auskunftslage ist das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass der Kläger auf Grund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage wäre, in Afghanistan seinen Lebensunterhalt zu verdienen und deshalb bei einer Rückkehr in sein Heimatland einer konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt ist. Dabei ist auch maßgeblich, dass der Kläger, wie er dem Gericht glaubhaft machen konnte, keinen Kontakt mehr zu Verwandten in seiner Heimat hat, so dass er auch insoweit über keinerlei Möglichkeit verfügt, Mittel zum Überleben zu erhalten. [...]