OLG Bamberg

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Zitieren als:
OLG Bamberg, Beschluss vom 29.08.2013 - 3 Ss 59/2013 (= ASYLMAGAZIN 12/2013, S. 440) - asyl.net: M21086
https://www.asyl.net/rsdb/M21086
Leitsatz:

Das Verfahren wird ausgesetzt

und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Erfasst der persönliche Strafaufhebungsgrund des Art. 31 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (GK) über seinen Wortlaut hinaus auch eine Urkundenfälschung, die durch Vorlage eines gefälschten Passes gegenüber einem Polizeibeamten anlässlich der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland auf dem Luftweg begangen wurde, wenn dieses Gebrauchmachen von dem gefälschten Pass zur Geltendmachung von Asyl in diesem Staat gar nicht erforderlich ist?

2. Lässt die Inanspruchnahme von Schleuserdiensten die Berufung auf Art. 31 GK entfallen?

3. Ist das Tatbestandsmerkmal in Art. 31 GK der "unmittelbaren" Herkunft aus einem Gebiet, in dem das Leben oder die Freiheit des Betroffenen bedroht war, dahingehend auszulegen, dass diese Voraussetzung auch dann erfüllt ist, wenn der Betroffene zunächst in einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union (hier: Griechenland) eingereist war und von dort aus in einen weiteren Mitgliedstaat (hier: Bundesrepublik Deutschland) weiterreist und dort um Asyl nachsucht?

Schlagwörter: Urkundenfälschung, Asylantrag, Schleuser, Schlepper, Fluchthelfer, unmittelbare Einreise, Drittstaat, Drittstaaten, sichere Drittstaaten, Griechenland, EU-Mitgliedstaat, Mitgliedstaat, Europäische Union, Strafaufhebungsgrund, Strafbarkeit, gefälschter Pass, gefälschte Dokumente, falscher Pass, Vorlagebeschluss, Vorlageverfahren, gefälschter Ausweis, Strafbefreiung,
Normen: GFK Art. 31, StGB § 267 Abs. 1, AsylVfG § 55 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Für die Entscheidung über die Revision durch das Oberlandesgericht, das als letztinstanzliches Gericht berufen ist, ist von Bedeutung, ob

- der Strafaufhebungsgrund des Art. 31 GK auch die Urkundenfälschung erfasst, die durch Vorlage eines gefälschten Passes bei der Einreise gegenüber einem am Flughafen kontrollierenden Polizeibeamten verwirklicht wird, wenn die Vorlage des Passes zur Geltendmachung von Asyl in der Bundesrepublik gar nicht erforderlich ist

und, falls diese Frage bejaht wird,

- der Strafaufhebungsgrund des Art. 31 GK auch im Falle einer Inanspruchnahme von Schleusern eingreift?

und, falls die vorhergehenden Fragen bejaht werden,

- der Strafaufhebungsgrund des Art. 31 GK auch dann eingreift, wenn ein Betroffener zunächst in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier: Griechenland) eingereist ist und von dort aus in einen weiteren Mitgliedstaat (hier: Bundesrepublik Deutschland) weiterreist und dort um Asyl nachgesucht.

Der Senat neigt der Auffassung zu, dass Art. 31 Abs. 1 GK jedenfalls dann nicht von einer Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB, die durch die Vorlage des gefälschten Passes verwirklicht wurde, befreit, wenn die Vorlage des Passes im Inland zur Geltendmachung des Asylbegehrens und Erlangung einer hieraus resultierenden Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz gar nicht erforderlich war.

Hierfür spricht nach Ansicht des Senats der Wortlaut des Art. 31 GK, der ausdrücklich die Strafbefreiung auf die unrechtmäßige Einreise und den Aufenthalt beschränkt. Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung ist auch nicht durch den Sinn und Zweck dieser Bestimmung geboten. Hiernach soll dem Flüchtling, der in einem Vertragsstaat Schutz vor Verfolgung sucht, die Möglichkeit eingeräumt werden, um Asyl nachzusuchen, ohne dass er Gefahr läuft, durch den Staat, in dem er Aufnahme begehrt, wegen der Einreise und den Aufenthalt bestraft zu werden. Es soll mithin verhindert werden, dass er durch die Strafdrohung von der Stellung eines Asylantrags abgehalten wird.

Eine derartige Konstellation ist im Hinblick auf das Gebrauchmachen von einem gefälschten Pass im Aufnahmestaat aber gerade nicht gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob für die Ausreise mit dem Flugzeug aus Griechenland ein (gefälschter) Ausweis erforderlich war. Denn zur Last gelegt wird dem Angeklagten nicht etwa der Gebrauch des gefälschten Passes in Griechenland oder das Mitführen des Passes, den er gegebenenfalls bei seiner Ausreise aus Griechenland verwenden musste. Vielmehr wird dem Angeklagten allein eine Urkundenfälschung zur Last gelegt, indem er anlässlich seiner Einreise am Flughafen in München den gefälschten Pass gegenüber den Polizeibeamten vorlegte. Für die Geltendmachung von Asyl in der Bundesrepublik Deutschland war dies aber gar nicht geboten. Vielmehr genügte hierfür die Berufung auf das Asylbegehren bei der polizeilichen Kontrolle. [...]